Verschleppt und weißgewaschen

Frankreichs "Informations-Mission" in Sachen Ruanda erweist sich als Flop. Offensichtlich besteht an einer Aufklärung der Vorfälle kein Interesse

In Ruanda wartet man noch immer auf ein Schuldbekenntnis aus Paris für die Verwicklung in den Genozid von 1994, der schätzungsweise 850 000 Menschen das Leben kostete. Zwar gibt es seit dem 3. März eine Untersuchungskommission der Nationalversammlung, welche die Rolle der französischen Militärs beleuchten soll. Die nach dem sozialistischen Chef des parlamentarischen Ausschusses für Verteidigungspolitik, Paul Quilès, benannte Untersuchungskommission ist aber umstritten: Menschenrechtsorganisationen wie Teile der regierenden Linkskoalition kritisieren den juristisch unklaren Status des Gremiums als "Informations-Mission". Im Gegensatz zu einer von den Statuten der Nationalversammlung genau definierten "Enqute-Kommission" hat die aktuelle Arbeitsgruppe keine Weisungsbefugnisse gegenüber staatlichen Stellen. Außerdem ist der Untersuchungsauftrag auf die Rolle der französischen Armee beschränkt. Die Ligue des Droits de l'Homme sowie Médecins sans Frontières, unterstützt von Akademikern wie dem emeritierten Politikprofessor Alfred Grosser, forderten deshalb Ende Februar die Bildung einer "echten" Enqute-Kommission. Die Grünen und die französische KP, als kleinere Koalitionspartner der Sozialdemokratie Lionel Jospins, unterstützen diese Forderung nach Bildung einer förmlichen parlamentarischen Kommission mit allen Befugnissen. Die KP-Fraktion hatte diesen Vorschlag bereits im Januar 1995 erfolglos auf den Tisch gebracht.

Während Frankreich die unangenehme Vergangenheit aussitzen zu wollen scheint, legte in Brüssel eine Kommission des Senats bereits zum Jahreswechsel einen über 1 000seitigen Bericht vor. Als ehemalige Kolonialmacht in Ruanda war auch Belgien in die Ereignisse Zentralostafrikas verstrickt. Paris steckte allerdings tiefer drin, was mit der Position Frankreichs als neokoloniale Hegemonialmacht auf dem Kontinent zu tun hat. Erst seit einem guten Jahr bekommt das Land ernsthafte Konkurrenz aus den USA. Diese unterstützten in Ruanda die neue Regierung nach dem Sturz des für den Genozid verantwortlichen Habyarimas-Regimes. US-Präsident William Clinton legte während seiner Afrikatournee Ende März eine dreistündige Stippvisite in Ruandas Hauptstadt Kigali ein. Dort verließ er zwar das Flughafengelände nicht, legte aber ein eindeutiges Schuldbekenntnis ab: Sein Land und die "internationale Gemeinschaft" hätten damals trotz eindeutiger Signale nicht reagiert. Zwar hatte sich Washington im Gegensatz zu Frankreich nicht als aktiver Unterstützer des ruandischen Regimes betätigt, als damaliger Freund des Mobutu-Regimes im benachbarten Zaire wollten die USA dennoch dessen Verbündete in Ruanda bis lange nach dem Beginn des Blutbads nicht "belästigen".

Laut der Pariser Abendzeitung Le Monde ist die Verschleppung der Angelegenheit vor allem auf Quilès zurückzuführen, der mit der Initiierung "seiner" informellen Kommission "um jeden Preis vermeiden wollte, daß diese Angelegenheit seinen Fingern entglitt". Hintergrund des Gremiums, dem Quilès vorsitzt, sei, "daß die Militärs, oder ihre politischen Vertreter, hier ein Mittel finden, um sich weißzuwaschen und alles auf die Außenpolitiker oder auf jeden Fall die zivilen Staatsbehörden abzuwälzen". Darin hat Quilès Erfahrung: Am 20. September 1985 übernahm er das Verteidigungsministerium, als es im Rahmen der "Rainbow Warrior"-Affäre galt, die Militärs nach der Versenkung des gleichnamigen Greenpeace-Schiffes in Schutz zu nehmen.

Bisher hat die Quilès-Kommission in öffentlichen Anhörungen, hauptsächlich akademische Experten angehört. Davon abgesehen ist die Arbeit des Gremiums mehr von Parteiinteressen gekennzeichnet, als wirklich Licht in die Geschehnisse des Jahres 1994 zu bringen. So urteilte Le Monde, die Parlamentarier seien "sichtbar darauf bedacht, die politische Welt, der sie angehören, in Schutz zu nehmen, während die Ruanda-Affäre französische Entscheidungsträger sowohl der Linken als auch der Rechten betrifft". In der Tat: Der Sozialist Fran ç ois Mitterrand war zum fraglichen Zeitpunkt Staatspräsident, der Konservative Edouard Balladur Premierminister.

Balladur hat sich unterdessen am 6. April öffentlich "empört" über die "ungerechten Angriffe" auf Frankreich bezüglich des ruandischen Genozids geäußert. Die französische Armee trage "überhaupt keinerlei Verantwortung" in dieser Sache. Am gestrigen Dienstag - nach Redaktionsschluß dieser Ausgabe - sollten die Anhörungen mit Edouard Balladur sowie seinen damaligen Ministern Alain Juppé (Äußeres), Fran ç ois Léotard (Verteidigung) und Michel Roussin (für die postkoloniale "Kooperation") fortgesetzt werden. Der amtierende Regierungschef Jospin verfügte jedenfalls, staatliche Funktionsträger des Militär- und Staatsapparats, die zum fraglichen Zeitpunkt im Dienst standen oder dies derzeit tun, seien in nicht-öffentlicher Sitzung anzuhören und die dabei gewonnenen Informationen "allein den Kommissionsmitgliedern zur Kenntnis zu bringen". Im Gegenzug sicherte Jospin zu, dem Gremium den Inhalt der "Verteidigungs"-Abkommen Frankreichs mit einer Anzahl afrikanischer Staaten zugänglich zu machen - diese Verträge werden in Paris teilweise als "Staatsgeheimnis" eingestuft.