Bascha Mika

»Alice Schwarzer tickt mal so, mal so «

Bascha Mika arbeitete als freie Journalistin, seit 1988 als Redakteurin und Reporterin bei der taz. 1994 erhielt sie den Emma-Journalistinnenpreis. "Die
Autorin erzählt neugierig, verwundert und mit Witz", begründete die Jury ihre Entscheidung. Jetzt hat Bascha Mika eine kritische Biographie der Emma-Chefin geschrieben. Alice Schwarzer, die sich geweigert hatte, mit der Autorin zu sprechen, betont, es handele sich um eine nicht-autorisierte Biographie. 1996 hatte sich Bascha Mika bei ihr bereits unbeliebt gemacht, als in der taz der Artikel "Retten Sie sich vor Alice!" erschien. Bascha Mika soll zukünftig in der Chefredaktion der taz arbeiten.

Gerade sind zwei Bücher über Alice Schwarzer erschienen: Eins von Ihnen, eins von Anna Dünnebier und Gerd von Paczensky. Die beiden kommen aus dem Freundeskreis der Porträtierten, und es scheint, wenn man die öffentliche Resonanz zum Maßstab nimmt, als habe niemand auf diese Alice-Schwarzer-Biographie gewartet - eine, die treu und brav den Lebensweg von Schwarzer nachzeichnet. Ihre kritische Biographie scheint dagegen einen Nerv getroffen zu haben.

Alice Schwarzer ist eine sehr ambivalente Person und war immer eine umstrittene Figur. Das ist sie ansatzweise auch heute noch, selbst wenn sie inzwischen ein Medienstar ist, der sich bei einem breiten Publikum großer Beliebtheit erfreut.

Sie haben sich mit Gerd von Paczensky in der Zeit gestritten. Er wirft Ihnen vor, Sie hätten mit Haß geschrieben.

Ihm fällt einfach nichts mehr ein. In seinem Buch widmete er mir bereits das Kapitel "Der Fall Bascha Mika". Ich sei von Haß zerfressen und grüner kann gelber Neid nicht sein, schreibt er. Ein klasse Satz und unendlicher Quatsch. Was mich angetrieben hat, ist eine Mischung aus Detektivarbeit und Abenteuerlust. Es ist der Versuch, herauszukriegen, wie diese Frau so tickt.

Wie tickt Frau Schwarzer denn?

Sehr unterschiedlich. Sie hat einerseits eine unglaubliche innere Stärke, eine herzliche Ausstrahlung und Charisma. Dadurch kann sie Menschen stark in ihren Bann ziehen. Andererseits ist sie dominant und hat ein tyrannisches Naturell.

In Ihrem Buch formulieren Sie es schärfer. Sie behaupten, Schwarzer sei eine Frauenhasserin, und begründen dies psychoanalytisch mit traumatischen Kindheitserfahrungen.

Das ist ein zunächst mal ein Interpretationsmuster, um eine Charakterstruktur zu erklären. Ich behaupte ja nicht, die Person ist so und so, sondern biete eine mögliche Erklärung an. Die Psychoanalyse kann da methodisch sehr viel leisten. Ich beziehe mich dabei auf die Arbeiten von Karen Horney - auch deshalb, weil Alice Schwarzer sich selbst explizit auf diese Psychoanalytikerin beruft, um Biographien zu beschreiben, so z.B. in ihrem Buch über Petra Kelly und Gert Bastian.

Was Sie wiederum kritisiert haben.

Ich kritisiere die Art, wie sie Horney verwendet, denn jeder, der etwas von Psychoanalyse versteht, sollte etwas vorsichtiger mit diesem Instrumentarium umgehen als Frau Schwarzer es macht. Z.B. argumentiert sie: Hätte Petra Kelly nur Karen Horney gelesen und hätte sie die innere Freiheit gehabt, sie überhaupt zu verstehen, dann, so behauptet Schwarzer, hätte Kelly viel über ihr Leben erfahren können. Das bedeutet doch: Wenn du, Petra Kelly, nicht ganz blöd gewesen wärst, hättest du dich über deinen Charakter aufklären können.

Gemeinsam ist dem Kelly-Buch von Schwarzer und Ihrem Schwarzer-Porträt, daß eine politische Biographie psychologisiert wird.

Nein, das glaube ich nicht. Wenn ich versuche, die Person auch mit tiefenpsychologischen Erklärungsmustern zu beschreiben, bedeutet es nicht, daß ich nicht auch andere Zugänge aufzeige. Henryk M. Broder hat im Spiegel eingewandt, man müsse eigentlich viel stärker auf Wilhelm Reich und seine Theorie des autoritären Charakters zurückgreifen - das kann man natürlich machen, aber mir hätte es nicht ausgereicht festzustellen, daß Alice Schwarzer ein klassischer autoritärer deutscher Charakter ist. Das kann man wahrscheinlich über 50 Prozent der Deutschen sagen.

In Ihrem Buch kommt beides vor: Die Kritik der Frauen, die mit Alice Schwarzer zusammengearbeitet haben, und die Häme-Kampagnen derjenigen, denen die ganze Richtung nicht paßte, die Anti-Emanzipationsfraktion. Sie zitieren Pressestimmen mit misogynem Touch, Schwarzer als Männerschreck usw. Die Berliner Morgenpost fragte 1975: "Warum, verflixt nochmal, bringt es diese intelligente Frau nicht fertig, ein einziges Mal durch die Gitterstäbe ihrer Ideologie zu blicken auf jenen Mann etwa, der zärtlich den Arm um seine Frau legt und sagt: Ich hab dich lieb."

Das bekam Alice Schwarzer zu hören, als sie ihr Buch "Der 'kleine Unterschied'" veröffentlichte. Zu diesem Zeitpunkt stand die Frauenbewegung noch relativ am Anfang. Und daß die Männer dann sofort angefangen haben zu jammern, sobald es an ihr Eingemachtes ging, und sich plötzlich auf die Liebe besannen, ist ja wohl lächerlich.

Sie betonen, Schwarzer habe auch große Verdienste. Welche genau?

Sie hat es immer wieder geschafft, Binnenthemen der Frauenbewegung nach außen zu tragen, z.B. hat sie sehr früh angefangen, über sexuellen Mißbrauch zu diskutieren, über Pornographie, Sexualität. Angefangen hat dies mit dem "Kleinen Unterschied", die Entzauberung des Mythos vom vaginalen Orgasmus, alles Themen, die die Frauenbewegung debattierte.

Schwarzer hat den Feminismus popularisiert. Die Abtreibungs-Kampagne - Frauen sagen öffentlich, daß sie abgetrieben haben - importierte sie aus Frankreich. Es war nicht ihre Erfindung, gehört aber zu den Highlights der Frauenbewegungsgeschichte. Sie kritisieren jetzt, daß Schwarzer es verstanden hat, die Aktion mit ihrem Namen zu verknüpfen. Das war aber das Konzept. Nur durch die Personalisierung wurde Wirkung erzielt, indem diese Aktion mit den Namen prominenter Frauen verbunden wurde.

Daß ohne Personalisierung nichts funktioniert, sehen wir ja gerade wieder im Vorfeld der Bundestagswahlen, es braucht diese symbolischen Figuren, die mit bestimmten Inhalten identifiziert werden. Die Frage ist aber, ob eine sich hinstellen und sagen kann: Hier bin ich, die anderen haben keine Rolle gespielt. Heldinnen, Vorkämpferinnen sind doch nie isoliert, sondern spielen eine Rolle in einem bestimmten gesellschaftlichen Umfeld. Und von dem Moment an, wo Alice Schwarzer gleichgesetzt wird mit der Frauenbewegung, was Paczensky ja auch tut, gleichgesetzt wird mit den gesellschaftlichen Erfolgen, die die Bewegung errungen hat, wird es zum Humbug. Sie ist eine Vorkämpferin, aber sie hätte nicht viel erreicht, wenn es nicht so viele Frauen gegeben hätte, die das unterstützt haben, und zwar ganz konkret und praktisch wie im Fall der 218-Kampagne.

Die Bewegung war doch immer auf der Suche nach Vorbildern, das ist ein Essential der Frauenliteratur.

Es ist ein Unterschied, ob ich mir ein Vorbild suche oder einen Mythos schaffe.

War die Bewegung deshalb so schwach, weil sie Alice Schwarzer so stark werden ließ?

Für eine bestimmte Zeit, für die siebziger Jahre, trifft das in gewissem Sinne zu. Man kann an Schwarzer exemplarisch zeigen, daß es auch innerhalb bestimmter Szenen der Frauenbewegung ein Bedürfnis nach autoritären Strukturen gab.

Was ist denn so besonderes daran, wenn eine Chefredakteurin bestimmt, wo es lang geht? Mobbing, Schreiereien, Zerwürfnisse und Krach hinter verschlossenen Türen - es gibt wenige Chefredakteure, die kein Schwarzer-Problem haben.

Der entscheidende Punkt ist, daß es einen extremen Widerspruch gibt zwischen dem, was Frau Schwarzer öffentlich propagiert, und dem, was sich in der Praxis abspielt. Eine Frau, die öffentlich eintritt für die Würde der Frau und gleichzeitig ihre Angestellten, die ja Frauen sind, so behandelt, daß von ihrer Würde und ihren Rechten nicht mehr viel übrig bleibt, ist kritikwürdig. Das ist in vielerlei Hinsicht der Knackpunkt bei Alice Schwarzer. Sie vermittelt ständig den Eindruck, als würde sie nicht nur programmatisch, sondern auch als Person für ihre Sache stehen. Und dann wundert man sich eben, wenn sie es doch nicht tut. Z.B. in bezug auf ihre Homosexualität.

1994 veröffentlicht Emma das berüchtigte Tierrechts-Dossier, Alice Schwarzer entdeckt das "Hühner-KZ". 1995 steht sie in der Küche von Alfred Biolek und bereitet ein Brathühnchen zu, Zitronenhuhn ˆ la Alice. Die Leserinnen von Emma waren empört. Sie werten dies ebenfalls als Indiz für Schwarzers Unglaubwürdigkeit, sprechen von Schmiegsamkeit. Man könnte doch auch sagen: Na, ist ja klasse, wenn ihr das Fleisch wieder schmeckt. Immerhin war es auch ein Bio-Hühnchen.

Das ist eine eher witzige Episode. Ich glaube nicht, daß Alice Schwarzer je die Absicht hatte, Vegetarierin zu werden. Schlimmer war, daß sie Frauen und Tiere in diesem Dossier gleichgesetzt hat.

Alice Schwarzers PorNo-Kampagne hat eine ganz bestimmte deutsche Version von PC mitgeprägt. Wenn eine öffentliche Pornographie-Verbote fordert - wobei die für Schwarzer schon mit Helmut Newton beginnt -, dann ist es egal, ob sie eventuell mal privat die Filme guckt. Frau Schwarzer vertritt in ihrer PorNo-Kampagne die Auffassung, Pornographie sei Faschismus. Da ist der Punkt, nicht, was sie privat damit macht, ob sie glaubwürdig ist. Kritik an Schwarzer-Dogmen kommt in ihrem Buch viel zu kurz.

Mein Buch ist keine Abhandlung über die vielen Themen der Frauenbewegung, die ja auch Schwarzers Themen waren, sondern eine Biographie, die eine Person mit politischen Kontexten verknüpft.

Gibt es einen weiblichen Führungsstil?

Nein, das ist ein Irrtum. Frauen in Führungspositionen werden häufig mit der Erwartung konfrontiert, daß sie nicht nur effektiv arbeiten müssen, sondern darüber hinaus, noch das leisten sollen, wozu Männer häufig nicht in der Lage sind, z.B. kooperativ und kommunikativ zu sein. Solche Ansprüche - wenn man sie stellt - müssen für Männer und Frauen gleichermaßen gelten.

Sie werden voraussichtlich in die Chefredaktion der taz aufrücken und alles anders machen als Frau Schwarzer?

Es gibt jenseits von Alice Schwarzer so viele unterschiedliche Führungsstile, daß ich einen mir angemessenen finden werde.