Nach dem Putsch in Honduras

Mel kam nicht bis Las Manos

Der gestürzte honduranische Präsident Zelaya muss vorläufig im Exil bleiben. Die Putschisten versuchen, die Bevölkerung einzuschüchtern, und wollen Zeit gewinnen.

Die triumphale Rückkehr musste abgesagt werden. Nur einige hundert Anhänger begleiteten Manuel »Mel« Zelaya, als er am Freitag der vergangenen Woche die honduranisch-nicaragua­nische Grenze überschritt. Der gestürzte Präsident ließ sich vor einem Schild mit der Aufschrift »Welcome to Honduras« fotografieren. Ein Großaufgebot von Soldaten hinderte ihn jedoch daran, den Grenzort Las Manos zu erreichen, und sorgte mit Straßensperren und Ausgangsverboten dafür, dass nur wenige Demonstranten an die Grenze gelangen konnten. Festgenommen wurde Zelaya allerdings auch nicht, obwohl ein Haftbefehl gegen ihn vorliegt. Er kehrte nach Nicaragua zurück und hat nun sein Lager im nicaraguanischen Grenzort Ocotal aufgeschlagen.
Auch diese neue Herausforderung konnten die Putschisten meistern. Sie sind nun seit mehr als einem Monat an der Macht. Der am 28. Juni im Schlafanzug nach Costa Rica abgeschobene Zelaya versuchte mehrmals vergeblich, in das Land zurückkehren, in dem er seit 2005 der gewählte Präsident ist. Doch die Putschregierung um Roberto Micheletti fand bislang nicht die internationale Anerkennung, die sie benötigt, um das kleine, wirtschaftlich am Boden liegende und von ausländischer Finanzhilfe abhängige Land dauerhaft zu regieren.
Heiß war es hergegangen in den Wochen seit dem Staatsstreich. Zunächst hoffte Zelaya, der den Zorn der Oligarchie durch eine Erhöhung des Mindestlohns und eine außenpolitische und ideologische Annäherung an Venezuela auf sich gezogen hatte, auf die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Doch die Putschregierung wollte sich deren Sanktionsgewalt nicht beugen, woraufhin Honduras am 4. Juli als erstes Land seit 1962 aus dem Staatenbund ausgeschlossen wurde. Am nächsten Tag versuchte Ze­laya zum ersten Mal, nach Honduras zurück­zukehren, doch trotz der Anwesenheit Zehntausender Demonstranten konnten Militärs die Landung seines Flugzeugs vereiteln.
Einige Tage später schien sich dann kurzfristig eine Verhandlungslösung abzuzeichnen, als ­Oscar Arias, Friedensnobelpreisträger und Präsident von Costa Rica, zwischen den von ihm ausdrücklich als »Präsidenten« bezeichneten Mel Zelaya und dessen illegitimem Gegner Roberto Micheletti vermittelte. Als dieser Versuch scheiterte, nahmen die EU und die Weltbank dies zum Anlass, Kredite für Honduras in Millionenhöhe einzufrieren. Oscar Arias lud erneut zu Gesprächen in Costa Rica.

Die Putschisten waren nicht zu Kompromissen bereit, hatten aber ein Interesse an den Verhandlungsrunden, weil sie Zeit gewinnen wollten. Nun aber sind die Anhänger Zelayas im In- und Ausland an der Reihe, Nachrichten über schein­bare und tatsächliche Versuche des Präsidenten, nach Honduras zurückzukehren, bereiten den Putschisten schlaflose Nächte.
»Kommt alle nach El Paraíso! Es sind nicht viele Soldaten, wir können es schaffen!« rief ein junger Mann über Radio Globo auf, das sich mehr und mehr zum Sender des Widerstandes gegen die Militärdiktatur entwickelt und über Internet zu empfangen ist. Nachdem Zelaya seine Rückkehr nach Honduras von Nicaragua aus angekündigt hatte, zogen Tausende von Menschen Richtung Grenze in den Bundesstaat westlich der Hauptstadt Tegucigalpa. Doch Militär und Polizei reagierten prompt und sperrten die Landstraße, die zu dem Grenzposten Las Manos führt.
Am Samstag wurde die im gesamten Land verhängte nächtliche Ausgangssperre im Bundesstaat El Paraíso auf 24 Stunden ausgeweitet. »Wir sind praktisch alle festgenommen«, berichtet ein Aktivist des Bloque Popular, der sich in der Landeshauptstadt Danlí aufhält. »Wir stehen auf der Straße und können weder vor noch zurück wegen dieser wahnwitzigen Sperrstunde.«
Ein Demonstrant wurde vom Militär erschossen, ein weiterer Oppositioneller mit offensichtlichen Folterspuren ermordet aufgefunden, nachdem er von der Polizei verhaftet worden war. Die vom Militär gestützte Putschregierung hat die individuellen Freiheitsrechte in Honduras außer Kraft gesetzt und versucht, Kritiker zum Schweigen zu bringen. Die internationale Menschenrechtskommission wurde am Freitag vo­riger Woche in Tegucigalpa von Polizeibeamten und Journalisten, die den Putsch unterstützen, vorläufig an der Veröffentlichung ihres Berichts gehindert.
»Ausländische Staatsangehörige werden in einem aggressiv-nationalistischen Ton öffentlich zu Staatsfeinden erklärt. Und insbesondere Journalisten aus El Salvador, Nicaragua und Venezuela fallen willkürlichen Verhaftungen zum Opfer«, sagt Bertha Oliva vom Komitee der Angehörigen von Gefangenen und Verschwundenen in Honduras (Cofadeh) der Jungle World. »Die Informationsfreiheit und die Freiheit der Meinungsäußerung sind aufgehoben. Wer als Gewerkschaftsführer oder Menschenrechtler öffentlich bekannt ist, wird von zuhause abgeholt. Andere werden auf den Demonstrationen verhaftet; da lautet der Straftatbestand dann offiziell ›skandalöses Auftreten in der Öffentlichkeit‹«, erklärt die Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation.

Fast 1 300 Menschen sollen mittlerweile festgenommen worden sein, und mindestens die Hälfte von ihnen soll in Tegucigalpa auf einem umfunktionierten Sportplatz festgehalten werden. Cofadeh berichtet von einer zunehmenden Mili­tarisierung des öffentlichen Lebens unter General­stabschef Romeo Vázquez Velázquez und der Reaktivierung der Todesschwadron Batallion 3-16, die in den achtziger Jahren berüchtigt war. Ihr Anführer Billy Joya Améndola gilt als enger Mitarbeiter des Putschpräsidenten Micheletti, der ihn zum »beratenden Minister« ernannte. Die Menschenrechtlerin Gladys Lanza, die auf Anweisung Joyas bereits in den achtziger Jahren eingesperrt und misshandelt worden war, erhielt erneut eine Todesdrohung von ihm. »Ich solle mich ruhig verhalten, ließ er mir ausrichten.«
Auch diejenigen, die nicht auf den Demonstrationen zu finden sind, haben Angst vor Repres­sion. »Ich versuche, in scheinbarer Normalität zu leben«, sagt Karla, die in einer Nichtregierungsorganisation in Tegucigalpa arbeitet, im Gespräch mit der Jungle World. »Es sind viele Menschen auf der Straße, aber die meisten harren einfach aus, auch wenn sie gegen den Staatsstreich sind. Die Medien, die auf Seiten der Putschregierung stehen, führen derweil einen psychologischen Krieg gegen die Bevölkerung. Immer wieder heißt es, venezolanische Truppen stünden an der Grenze zu Nicaragua, bereit, in Honduras einzumarschieren.« Mehr möchte sie nicht sagen, sie hat Angst, dass das Telefon abgehört wird.
Nach der weltweiten Empörung über den Militärputsch beginnen sich nach einem Monat nun in der internationalen Politik die Fraktionen herauszukristallisieren. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez und andere Staatsoberhäupter der Bolivarianischen Alternative für die Amerikas (Alba) werfen mittlerweile der Regierung von Barack Obama offen eine Beteiligung am Putsch vor. Die US-Regierung kritisiert nun Zelaya, Außenministerin Hillary Clinton verurteilte seinen Grenzübertritt, der ohne Absprache erfolgt war, als »rücksichtslos«.

Die meisten Regierungen verhalten sich zögerlich, obwohl gerade jetzt, da die Putschregierung um Micheletti offensichtlich Zeit gewinnen will und hofft, dass die neuen Verhältnisse de facto akzeptiert werden, eine konkrete Stellungnahme vor allem der US-Regierung gegen die Putschisten unerlässlich wäre. Zwar haben die USA die Streichung von Finanzhilfen für Honduras in Höhe von 180 Millionen Dollar angedroht, doch blieb es bislang bei der Drohung. Zelaya hat in einem Brief Präsident Obama aufgerufen, nicht nur staatliche Hilfsgelder zurückzuhalten, sondern auch Sanktionen gegen die für den Putsch Verantwortlichen zu verhängen, ihnen keine Visa mehr auszustellen und Geldüberweisungen zu unterbinden.
Die Putschisten versuchen offenbar, bis zu den für November geplanten Wahlen durchzuhalten. Dann könnte die honduranische Oligarchie sich eine demokratische Legitimation verschaffen. Dass Zelaya sich für eine linke Politik entschied, kam überraschend, eine Basis in den etablierten Parteien hat der gestürzte Präsident nicht. Ohne eine Verfassungsänderung, die ihm eine Wiederwahl ermöglicht, gibt es im rechtskonservativen Zweiparteiensystem des Landes kaum Hoffnung auf eine radikale Änderung der Politik.
Sollte es Zelaya gelingen, zurückzukehren und das durch den Putsch vereitelte Referendum nachzuholen, dürfte das einen Aufstand auslösen, diesmal einen der Oberschicht. Doch fraglich ist, ob die »zehn Familien, die um ihre Pfründe bangen«, wie Zelaya seine politischen Gegner benennt, ihre Herrschaft stabilisieren können. Die Wirtschaftslage wird prekärer, mehr denn je bedarf Honduras ausländischer Kredite und Hilfszahlungen.
Überdies könnte der Widerstand gegen den Putsch die Linke stärken und die Unterschicht, die bislang von jeglicher politischer Mitbestimmung ausgeschlossen war, mobilisieren. Vielleicht wird die linke Demokratische Union (UD), die bisher nur einen Bruchteil der Stimmen erhielt, bei zukünftigen Wahlen größeren Erfolg haben. Ein korrupter und repressiver Staatsapparat, der sich als exklusiv begreift, steht ihr dabei entgegen. »Die Parteien in Honduras sind vielmehr politische Clubs, in denen zwischen einigen wenigen die wichtigen Posten im Land vergeben werden«, kritisiert eine deutsche Fachkraft in Tegucigalpa, die nicht beim Namen genannt werden will.
Sollte der eigentlich recht miserabel inszenierte Militärputsch in Honduras tatsächlich Erfolg haben, so könnte der Staatsstreich für die rechten Oligarchien Zentralamerikas wieder eine willkommene Alternative zu demokratischen Wahlen werden. Insofern dürfte die große Unterstützung, die Manuel Zelaya bei seinen Amtskollegen genießt, nicht ganz uneigennützig sein. Der salvadorianische Staatspräsident Mauricio Funes musste sich in den vergangenen Wochen immer wieder gegen offene Drohungen von Abgeordneten der ultrarechten Oppositionspartei Arena wehren, die er mit seinem Wahlsieg verstört hat.