Was deutsche Unternehmen im Iran von den Protesten halten

Familienkultur ohne Widerworte

Deutschen Unternehmen, die im Iran tätig sind, passen die Proteste gegen das Mullah-Regime überhaupt nicht ins Konzept. Eine Firma untersagte ihren Mitarbeitern sogar die Teilnahme an Demons­trationen im Iran.

Bei der Knauf Gips KG legt man viel Wert auf die »Nähe zum Kunden« und die »Schaffung von langjährigen und besonderen Kundenbindungen durch erstklassige Beratung und fachlich angemessenen Service«. So ist es jedenfalls auf der Homepage des Unternehmens mit Sitz im bayerischen Weinort Iphofen zu lesen. Man biete »maßgerechte, zuverlässige Trockenbau- und Boden- sowie Putz- und Fassaden-Lösungen« an und zeichne sich durch »kurze Entscheidungswege und den Ideenreichtum aller Mitarbeiter« aus. Außerdem werde im Betrieb »eine ›Familien-Kultur‹ gelebt«, und zu dieser Familie gehörten »unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter« – insgesamt 22 000 in über 40 Ländern – sowie »unsere Kunden und Konsumenten«.

Der Knaufsche Familienfrieden ist allerdings schwer gestört, seit das Wall Street Journal Europe kürzlich aufdeckte, dass die Unternehmensleitung ihren im Iran tätigen Angestellten schriftlich untersagt hatte, sich an den Protesten gegen das Regime zu beteiligen. In einem von der Zeitung dokumentierten Schreiben an alle Mitarbeiter der Firma im Iran, das von Isabel Knauf, Mitgründerin des Konzerns und Mitglied des Aufsichtsrats in seiner iranischen Dependance, unterzeichnet worden war, hieß es: »Wir befürworten keine Handlungen gegen die derzeitige iranische Regierung und möchten alle unsere Angestellten daran erinnern, dass sie nicht nur ihre persönliche Meinung vertreten, wenn sie politisch aktiv sind. Ihre Aktionen könnten auch negativ auf die Knauf-Betriebe im Iran zurückfallen. Daher wird von nun an jedes Mitglied des Unternehmens, das bei Demonstrationen gegen die Regierung erwischt wird, sofort entlassen.«
Dem Wall Street Journal Europe zufolge beugte sich das zu den Branchenführern zählende Baustoffunternehmen mit dieser Anweisung dem Druck des iranischen Regimes. Wie das Blatt berichtete, war zuvor ein 34jähriger leitender deutsch-iranischer Angestellter der Firma bei einer Kundgebung von Oppositionellen verhaftet worden. Nachdem das Unternehmen einer Aufforderung der iranischen Behörden, die Teilnahme an Demonstrationen zu untersagen, Folge geleistet habe, sei er wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Ihm stehe nun ein Gerichtsprozess bevor.

Das Bekanntwerden des Briefes löste teilweise heftige Reaktionen aus. Über den Internetdienst Twitter rufen zahlreiche Nutzer dazu auf, keine Knauf-Produkte mehr zu kaufen und massenhaft Protest-E-Mails an den Konzern zu schicken. Verschiedene exiliranische Gruppierungen sprechen sich ebenfalls für einen Boykott aus. Das Auswärtige Amt in Berlin erklärte, es lägen bislang keine eigenen Erkenntnisse über den Vorfall vor. Sollten sich die Informationen aber bestätigen, »würden wir es nicht begrüßen und nicht gutheißen«.
Der Geschäftsführer der Unternehmensgruppe, Manfred Grundke, teilte daraufhin am Freitag voriger Woche der Presse mit, die Anweisung an die iranischen Angestellten sei »unglücklich formuliert« und bedürfe »einer Korrektur«. Zu den Grundsätzen der Geschäftspolitik des Unternehmens gehöre es, »dass wir in allen Ländern, in denen wir tätig sind, politische Zurückhaltung üben und uns als Unternehmen nicht an politischen Meinungsäußerungen für oder gegen bestehende Regierungen des jeweiligen Gastlandes beteiligen«. Dennoch könnten die Mitarbeiter »jederzeit an politischen Demonstrationen teilnehmen, ohne dass sie mit arbeitsrechtlichen Sanktionen rechnen müssen«.
Der Skandal um die Knauf Gips KG zeigt einmal mehr, dass den im Iran tätigen deutschen Unternehmen Proteste und Sanktionen gegen das Regime überhaupt nicht ins Konzept passen, weil sie die langjährigen guten Geschäftskontakte gefährden und für Umsatzeinbußen sorgen. Immer noch gehört Deutschland neben China und den Vereinigten Arabischen Emiraten zu den wichtigsten Handelspartnern des Iran, auch wenn das Handelsvolumen – nach einem mehr als zehnprozentigen Anstieg im Jahr 2008 auf rund vier Milliarden Euro – inzwischen rückläufig ist. Daniel Bernbeck, der Geschäftsführer der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer mit Sitz in Teheran – die zu den mitgliederstärksten Auslandshandelskammern Deutschlands zählt und nach eigenen Angaben »eine der wichtigsten Stützen für die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen« zwischen der Bundes- und der Islamischen Republik ist –, beklagt eine »unspezifische Sanktionspolitik« der Bundesregierung, die dazu führe, dass deutsche Firmen immer mehr vom iranischen Markt verdrängt würden. Außerdem verstehe er die Proteste von Menschenrechtsorganisationen nicht. »Es gibt kein moralisches Problem«, findet Bernbeck. »Wir machen schließlich keine Geschäfte mit dem Iran, sondern mit iranischen Firmen.«
Diese Sichtweise verkennt jedoch, wie sehr das Business deutscher Unternehmen im Iran dem Regime nützt. Abgesehen davon, dass ihm wirtschaftliche Prosperität generell zugute kommt und diese nicht zuletzt das vor allem gegen Israel gerichtete Atomprogramm trägt, sind Produkte made in Germany einfach unverzichtbar: 75 Prozent aller kleinen und mittelständischen Betriebe im Iran sind nach Angaben der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer mit deutscher Technologie ausgestattet; der Iran ist dadurch auf deutsche Ersatzteile und Zulieferer angewiesen, insbesondere im Bereich des Maschinen­baus. Allein Siemens setzte im Jahr 2008 rund 438 Millionen Euro im Iran um. Erst kürzlich sorgte der Konzern für Schlagzeilen und Proteste, als bekannt wurde, dass er gemeinsam mit dem finnischen Mobiltelefonhersteller Nokia moderne Überwachungstechnologie an den Iran geliefert hatte, die gegen Minderheiten und Oppositionelle eingesetzt werden kann.

Auch die Münchner Linde-Gruppe ist im Mullah-Staat tätig und liefert seit Jahren wichtige Infrastruktur für dessen Energiesektor, der eine wesentliche Einnahmequelle des iranischen Re­gimes ist und einen Teil seiner Machtbasis bildet. Nach eigenen Angaben setzte das Unternehmen im vergangenen Jahr 89 Millionen Euro im Iran um; zu seinen Partnerfirmen gehören unter anderem zwei Tochtergesellschaften des iranischen Ölministeriums und die National Iranian Oil Company. Die Bundesregierung sicherte die Geschäfte von Linde durch Hermes-Bürgschaften ab, deren Höhe sich im Jahr 2008 auf 16,5 Millionen Euro belief.
Seit Anfang dieses Jahres werden solche Ausfuhrgewährleistungen nach Regierungsangaben zwar nur noch »für Geschäfte mit geringem Umfang« bewilligt. Ein allmähliches Ende der staatlichen Unterstützung für das deutsche Iran-Business bedeutet das jedoch keineswegs. Denn nicht zuletzt die Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Bundesrepublik namens Germany Trade and Invest, die aus Mitteln des Wirtschafts- und des Verkehrsministeriums gefördert wird, vermittelt in enger Kooperation mit den Außenhandelskammern weiterhin Geschäftskontakte aller Art. Auf diese Weise trägt sie ihren Teil zur »Schaffung von langjährigen und besonderen Kundenbindungen« im Iran bei, auf die nicht nur die Firma Knauf so überaus stolz ist.