Unplanmäßige Angriffe

Der norwegische Fußball-Nationaltrainer Egil Olsen will mit seinem Team Weltmeister werden

Jahrzehntelang arbeitete Norwegen geduldig auf ein großes Ziel hin: der sportliche Schrecken des Nordens zu sein. Die Nachbarn mußten mit ansehen, wie Medaillen in allen Sportarten, die weitestgehend mit Schnee zu tun haben, an Norwegen gingen, bis sie sich schließlich damit abgefunden hatten, immer bloß die Plätze hinter den Norges zu belegen.

Die Norweger verlegten sich, seit sie wintersportlich mit ihren nördlichen Nachbarn fertig sind, aufs Singen. Seit einem Jahrzehnt gewinnt man immer mal wieder den Grand Prix der Eurovision und erfreut sich an den Zeitungs-Sonderseiten, die sich detailliert mit den bösen Kommentare der Schweden beschäftigen. Aber das reichte nicht, und so verlegten die Norweger sich aufs Fußballspielen. Dabei orientierte man sich am Mutterland des Fußballs - Großbritannien. Dort spielen viele norwegische Profis, die das Semi-Profidasein in Norwegen satt haben - Rosenborg Trondheim ist der erste Club, der richtig Geld verdient.

Die notorische Erfolgslosigkeit des Nationalteams hatte man in Norwegen lange Jahre stoisch hingenommen - nicht ohne insgeheim auf Erfolge zu hoffen: Der Wirt einer Osloer Künstlerkneipe erinnert sich an Abende in den siebziger Jahren, an denen er einfach in die Runde rief: "Norwegen hat gerade Schweden im Fußball geschlagen!", und sofort begann eine riesige Jubelfeier, "daß das gar nicht stimmte, haben die Leute ja erst am nächsten Mittag, als sie aus der Kneipe wankten, gemerkt."

1990 war es dann soweit: Egil Olsen, genannt Drillo, ein ehemaliger Nationalspieler, übernahm das Amt des Nationaltrainers. Der damals 48jährige hatte selbst 16 Spiele für die norwegische Auswahl bestritten, das erste Match unter seiner Regie wurde mit 6:1 gegen Kamerun gewonnen. 1991 gelang in der Qualifikation zur Fußball-EM ein 2:1-Sieg gegen Italien, ein Erfolg, der nicht alle Norweger vorbehaltlos glücklich machte: "Der letzte Sieg gegen ein großes Fußballand gelang bei der Olympiade 1936 gegen Deutschland - kurz darauf wurden wir von den Deutschen besetzt. Was werden die Italiener mit uns machen?" fragte das Magazin Pulse.

Zwei Jahre später konnte man ausgerechnet gegen den Angstgegner Polen, gegen den man seit 48 Jahren nicht mehr gewonnen hatte, siegen und die Teilnahme an der WM in den USA sichern. Das Drillosche Dreamteam wurde dort durch das langweiligste WM-Spiel aller Zeiten, das 0:0 in der Vorrunde gegen Irland, bekannt. Zwei monolithische Defensivblocks hatten so minimalistisch agiert, daß sie alle Vorurteile amerikanischer Sportfans gegenüber "soccer" übererfüllten. Die Nation war enttäuscht, 80 Prozent hatten auf ein Endspiel Norwegen gegen Deutschland getippt, nahm jedoch die Entschuldigung ihres obersten Trainers an: "Ich würde auch gern schönen Kombinationsfußball spielen, aber mit meiner Mannschaft kann ich das eben nicht."

Drillo ist ein Meister des knappen Interviews, was im Ausland immer wieder für in der Heimat genüßlich zitierte Verwirrung sorgt. So auch bei einem recht kurz ausgefallenen Gespräch mit dem niederländischen Fernsehen. Auf die Frage: "Holland spielt offensiv mit vier Angreifer. Das tut Norwegen nicht?" antwortete Drillo: "Wir greifen mit elf Männern an, wenn wir den Ball haben. Ich verstehe nicht, was Sie meinen." "Ist das typisch für Norwegen?" "Ja," erklärte Drillo, "wir spielen kollektiv!" Norwegische Reporter haben sich an ihren Nationaltrainer und seine Spielweise dagegen sehr gut gewöhnt. "Kaum zwei Minuten gespielt und schon in der Nähe des gegnerischen 16-Meter-Raums!" bestaunen sie unplanmäßige Angriffe des Drillo-Teams. In den langen Jahren der Erfolgslosigkeit haben sie sich daran gewöhnt, auch aussichtslos erscheinenden Spielsituationen Positives abzugewinnen: "Das war jetzt natürlich ein ausgesprochen schlechter Moment, ein Gegentor zu kassieren!" - "Ja, aber nun müssen die Holländer hoffen, daß wir nicht ausgleichen, und das wird sie nervös machen!"

Egil Olsen ist ein Star, auch wenn er das gar nicht möchte. Seine politische Haltung, er ist überzeugter Kommunist, wird von den Fußballfans gelassen hingenommen. Die von Drillo unterstützte Röd Valgallians (rote Wahlallianz), abgekürzt RV, ein Zusammenschluß mehrerer kleiner sozialistischer Parteien, verlor bei den Parlamentswahlen im Oktober sogar ihren einzigen Sitz. "Ist es wirklich so viel weniger radikal, für RV zu stimmen?" hatte Drillo kurz vorher auf die Frage geantwortet, ob sich seine politische Meinung geändert habe. "Ich stehe immer noch zu meiner Überzeugung. Ich habe nur damit aufgehört, alle Konservativen Faschisten und alle religiös Überzeugten Idioten zu nennen."

Die Norweger werden sich jedoch bald an einen anderen Nationaltrainer gewöhnen müssen. Schon im vorigen Jahr waren sie durch eine Pressemeldung, nach der Olsen als Trainer bei Juventus Turin im Gespräch sei, aufgeschreckt worden. Erst der Anruf eines Reporters bei Juve ließ die Nation aufatmen, denn der Turiner Boss erklärte: "Ich kenne diesen Spieler nicht!"

Nach der WM in Frankreich will Drillo jedoch seinen Job aufgeben. Der Mann, der einst bei der "Fußballer-Wahl des Jahres" als erster Trainer überhaupt seine Stimme einer Kickerin gegeben hatte, will dann irgendeinen renommierten europäischen Club coachen. Nachdem er Weltmeister geworden ist: "Natürlich haben wir die Chance, den Titel zu gewinnen. Warum denn auch nicht?"