Matthias Berninger, Staart 21

Schmeckt Ihnen die Pizza mista?

<none>

Werden Sie sich demnächst selbständig machen und als risikofreudiger Unternehmer neue Märkte erschließen?

Kommt ganz darauf an. Wenn meine Partei mich abstraft, weil ich ein böser "Neoliberaler" bin, ist das in der Tat eine Perspektive, über die ich mir schon Gedanken gemacht habe.

Ihr Papier vermittelt den Eindruck, daß Politik gegen die Zwänge der globalisierten Wirtschaft ohnehin nichts ausrichten kann.

Die Politik hat zwar weniger Einflußmöglichkeiten auf viele Dinge - so ist das Geld in der Tat mobiler geworden, man kann nicht mehr mit Steuerpolitik voll darauf zugreifen -, aber wir haben noch enorme Gestaltungsspielräume. Ein Beispiel ist die Bildung, ein anderes die Ermutigung zu mehr Solidarität in der Gesellschaft, indem man beispielsweise die Rahmenbedingungen für Teilzeitarbeit verbessert.

Andererseits fehlen in Deutschland Ihrer Meinung nach Selbständige, die um so länger arbeiten.

Die OECD sagt, Deutschland hat eineinhalb Millionen Selbständige zu wenig.

Was heißt zu wenig? Viele sind doch ohnehin Scheinselbständige, die nur ausgegliedert werden, um Kosten zu sparen.

Zu wenig heißt: 1,5 Millionen weniger als im Durchschnitt aller Industrieländer. Natürlich ist der erste Reflex, über Scheinselbständigkeit zu reden. Es ist völlig richtig, daß wir das Rentensystem und die soziale Sicherung reformieren müssen, damit die Leute nicht in die Scheinselbständigkeit gedrängt werden. Aber auf der anderen Seite müssen junge Leute, die Ideen haben, auch in die Lage versetzt werden, sich selbständig zu machen.

Mit wem wollen Sie denn Ihre Politik umsetzen?

Da gibt es keine Alternative zur SPD. Die entscheidendere Frage ist: Was muß noch getan werden, damit wir Kohl ablösen?

Aber Ihr Papier könnte doch zu großen Teilen auch die FDP unterschreiben.

Es wäre ja sehr schön, wenn die FDP und die Union für mehr Selbständigkeit in Deutschland gesorgt hätten. Statt dessen haben sie einen Pleitenrekord zu verantworten.

Wie sieht das denn mit den Kollegen aus, mit denen Sie gelegentlich Pizza essen gehen?

Wir sind die Opposition von heute und gehen mit der Opposition von morgen essen. Lange Zeit hat ja zwischen der CDU/CSU und den Grünen absolute Funkstille geherrscht, das war eine völlig alberne Veranstaltung. Wir wollten diese Funkstille überwinden. Und das ist durch die Pizza-Connection ganz gut gelungen.

Zurück zu Ihrem Papier. Sie schimpfen ja ausgiebig auf die 68er. Ist das überhaupt Ihr richtiges Feindbild? Mit vielen 68ern in ihrer Partei müßten Sie sich doch gut verstehen?

Das ist richtig. Wenn ich mit Joschka Fischer jogge, dann ist er schneller als ich. Ihm Unbeweglichkeit vorzuwerfen, ist deshalb nicht ganz so leicht. Ich kann ihm auch nicht vorwerfen, daß er dick und satt ist, weil er nur noch Möhren ißt und Mineralwasser trinkt.

Dann ist der entsprechende Passus in ihrem Papier genau so ein rhetorisches Ritual, wie Sie es den 68ern vorwerfen.

Nicht wirklich, denn die 68er insgesamt haben auf jeden Fall die Meinungsführerschaft bei der Frage, ob sie den 68jährigen Kohl ablösen. Der entscheidende Punkt ist, daß eine Grundstimmung bei den 68ern und auch bei den Novizen dieser Bewegung, die zum Teil jünger sind als ich, vorherrscht, die da glaubt, daß die Linke mal hopplahopp mit großer Klassenkampfrhetorik an die Macht kommt.

Was erwarten Sie konkret von dem Papier?

Das Wichtigste für mich ist eine innerparteiliche Debatte - und die ist in Gang gesetzt worden. Was ich etwas bedauere, ist, daß bei einigen jungen Grünen alte Feindbilder und - wie ich finde - so etwas von albernen Begriffe wie alles sei neoliberal und rechts-von-was-weiß-ich-wem verwendet werden. Aber auch mit den jüngeren erhoffe ich mir einen Dialog, denn eines muß doch klar sein: Wir wollen 1998 den Kohl ablösen, und da muß es doch erlaubt sein, ein Jahr vor der Wahl zu diskutieren, ob die bisherige Strategie ausreicht - vor dem Hintergrund, daß sich die Welt seit 1989 gravierend verändert hat.

Aber sind Ihre Positionen mit dem Etikett "neoliberal" wirklich so falsch beschrieben?

Kohl ist der Ober-Keynesianist, wenn man nach diesen Etiketten geht. Er hat in wenigen Jahren über tausend Milliarden Mark in den Osten gepumpt. Ich glaube, wir brauchen - frei nach Anthony Giddens - eine Politik der radikalen Mitte.

Weil Vollbeschäftigung illusorisch sei, fordern Sie eine höhere gesellschaftlich Achtung für Kindererziehung und soziales Engagement. Von der gesellschaftlichen Wertschätzung kann sich beispielsweise eine arbeitslose Mutter auch nichts kaufen.

Natürlich nicht. Für mich ist wichtig, daß wir wegkommen von den Ritualen. Die einen sagen Arbeitszeitverkürzung ist das Patentrezept, die anderen sagen, länger arbeiten sei nötig. Beides isoliert ist nicht richtig. Im Öffentlichen Dienst ist sicherlich kürzer arbeiten angesagt,
in anderen Bereichen kann es vernünftig sein, daß Leute länger arbeiten und vielleicht dann auch am Unternehmensgewinn beteiligt werden. Profit-Sharing wird das entscheidende Thema. Wir müssen von der Mitbestimmungs- zur Miteigentümergesellschaft kommen.

Matthias Berninger ist MdB von Bündnis 90 / Die Grünen und Mitautor von Staart 21