Mao und die Deutschen

Mao war ein Deutscher

Von Uli Krug

Der Maoismus ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Mao, die MLPD und die deutsche Ideologie.

Im Südwesten wird besonders viel Wert auf Tradition gelegt: Die Wahlkampfauftritte der schwäbischsten aller ML-Parteien, der MLPD, gehören dabei schon zum lokalen Brauchtum und das nicht ohne Grund: Die MLPD-Vorgängerorganisation, der im August 1972 gegründete Kommunistische Arbeiterbund Deutschlands (KABD), war und ist traditionell rund um Tübingen und Stuttgart beheimatet. Deshalb tritt die Partei in den Fußgängerzonen zwischen Calw und Schwenningen häufig auf und hinterlässt einen Eindruck ähnlich dem der Heilsarmee: »Komm mit uns, wir gehen voran«, so singen derzeit in den Kaufmeilen des Ländles etwas verbittert wirkende Mitt-Fünfziger von der »Partei des echten Sozialismus«. Eine Partei, die die Renegaten Chruschtschow und Deng Xiaoping ebenso scharf verurteilt, wie sie die Mao-Zedong-Ideen und die große proletarische Kulturrevolution auch heute noch in Ehren hält.
Dementsprechend sehen auch die Plakate aus, real-sozialistischer Pathos im Internet-Zeitalter. Das alles wäre natürlich keiner weiteren Erwähnung wert, würde da nicht eine der MLPD-Wahlbotschaften mächtig aus der Reihe tanzen: Sie nämlich besteht – auf markigen Grüntönen – nur aus einem einzigen Wort mit Ausrufezeichen: Kreislaufwirtschaft! Ein Begriff, der einem zwar gleich bekannt vorkommt, aber nicht im Zusammenhang mit Marx, Engels oder Lenin, sondern mit Silvio Gesell, seines Zeichens Öko-Esoteriker, Kämpfer gegen das raffende Kapital und Vertreter einer »natürlichen Wirtschaftordnung«, sprich einer »Kreislaufwirtschaft«.
Auf nichts ist mehr Verlass: Denn einst noch ließ ein aufrechter Marxist-Leninist nichts auf Staudämme und Zentrale Planung, Fortschritt und Produktivkraft kommen. Reaktionärer Firlefanz, wie die von Gesell-Anhängern angestrebte »stationäre Wirtschaft« ohne Entwicklung und Wachstum, wäre dem Historischen Materialisten nicht in den Sinn und schon gar nicht aufs Plakat gelangt: War es doch gerade das industrielle Wachstum, mit dem ein aufrechter Marxist-Leninist die Massenmorde durch Verhungern bei Maos »Großem Sprung nach vorn« oder bei Stalins »Kampf gegen das Kulakentum« rechtfertigte. Und nun? Stalin ohne Steigerungsraten? ÖDP/ML?
Wenn diese esoterische Wende der MLPD zunächst auch überraschen mag, so ist sie doch das passende Schlusswort für den Maoismus in Deutschland. Denn dessen Geschichte ist schlicht die einer nationalen Selbstfindung, die nur vorübergehend der Verfremdung durchs exotische Gewand, in diesem Falle Maos blauer Volksuniform, bedurfte. Und das beschränkte sich nicht nur auf die Lust am Totalitären, die sich in den eigentlich absurd unzeitgemäßen Parteiritualen von KPD/AO bis KPD/ML austobte, Rituale, die in Protzigkeit und Uniformiertheit eben nicht nur an Chinas Rote Garden und die alte KPD erinnerten. Die China-Begeisterung reichte in noch weit tiefer liegende ideologische Schichten herab: Die populäre Drei-Welten-Theorie in ihrer ursprüng­lichen Fassung war die Wiederkunft nationalrevolutionärer Rhetorik und übte gerade deshalb eine solche Faszination aus: Moeller van den Bruck sprach aus Maos Mund, wenn der große Steuermann die jungen Völker der Dritten Welt gegen die vom Westen aufoktroyierten Gesellschaftsformen rebellieren ließ, um den je eigenen nationalen Weg zum Sozialismus zu gehen.
Deshalb waren die brachialen Deutschtümeleien eines Ernst Aust, KPD/ML-Gründer und erster Ansprechpartner für Albaniens ehemaligen Diktator Enver Hoxhas, auch keine Entgleisung, sondern Programm. Ein Beispiel: Man könne nicht akzeptieren, so Aust, »dass die Identität der europäischen Völker ausgelöscht wird und dass sich diese Völker in eine Masse verwandeln, die durch die vom amerikanischen Großkapital beherrschten multinationalen Gesellschaften unterdrückt wird«. Und es waren nicht nur die ML-Sekten, die sich für das maoistische China begeisterten, aber ein autoritäres Deutschland meinten. Klaus Mehnert etwa, der alten Bundesrepublik reakti­onärer Experte in Sachen Ost, schrieb in seinem China-Bestseller von 1971, der in nahezu jedem Bücherschrank stand: »Einer Gemeinschaft anzugehören, in sie einzutauchen, von ihr getragen zu sein, das gibt dem Menschen an sich schon ein Gefühl der Geborgenheit und des Glücks«.
Die Mao-Begeisterung war also eine erste ideologische Lockerungsübung des postfaschistischen Deutschlands. Viele weitere sollten folgen, insbesondere im Zeichen von Heimatschutz und Naturbegeisterung, getragen von den so genannten neuen sozialen Bewegungen der achtziger Jahre. Es ist also nur konsequent, wenn jetzt der Rest-Maoismus auch noch auf die Alternativökonomie kommt. Mao ist dafür allerdings schon lange nicht mehr nötig.