Mafia-Vorwürfe und Proteste gegen Berlusconi in ¬Italien

Die Farbe Lila

In Italien folgten Hunderttausende einem Internet-Aufruf und forderten den Rücktritt von Silvio Berlusconi. Dessen Koalition hat bereits eine neue Justizreform er­arbeitet, die Verjährungsfristen verkürzen soll. Davon würde an erster Stelle Berlusconi profitieren.

Silvio Berlusconi wird nicht zurücktreten. Die Mitglieder der Facebook-Gruppe, die am Samstag zum weltweiten »No-Berlusconi-Day« aufgerufen hat, sind dennoch zufrieden. Sie waren zwar mit der Forderung nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten angetreten, hatten dann allerdings bereits vor der Demonstration beteuert, es ginge ihnen vor allem darum, ihren Unmut aus dem virtuellen Raum auf die geschichtsträchtige ­Piazza San Giovanni in Rom zu tragen. Dort versammelten sich einst die großen linken Parteien und Gewerkschaften. Mehrere hunderttausend Menschen folgten dem Internet-Aufruf und de­mons­trierten damit nicht nur ihre Wut auf Ber­lusconi, sondern auch ihre Enttäuschung über die Oppositionsparteien. Obwohl überraschend viele rote Fahnen zu sehen waren, überwog eindeutig eine neue, bisher nicht von der Politik besetzte Farbe: das Violett der Blogger.
Die »No-B-Day«-Bewegung entstand Ende November. Der Oberste Gerichtshof hatte ein von der Regierungskoalition vorgelegtes Immunitätsgesetz, das den vier höchsten Repräsentanten des Staates für die Dauer ihrer Amtszeit Straffreiheit garantieren sollte, für verfassungswidrig erklärt (Jungle World 43/09). Damit konnten die gegen Berlusconi anhängigen Gerichtsverfahren wieder aufgenommen werden. Der Ministerpräsident reagierte mit einer propagandistischen Offensive gegen alle staatlichen Kontrollorgane, die im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Befugnisse darauf bestanden, seine Exekutivgewalt einzuschränken. Er ließ seinen Justizminister ein Regierungsdekret ausarbeiten, das bezeichnenderweise unter dem Titel »Kurzer Prozess« bekannt wurde. Die Gesetzesvorlage sieht vor, dass Prozesse zukünftig innerhalb von sechs Jahren abgeschlossen werden müssen. Da keine weiteren Mittel für den völlig überlasteten Justizapparat zur Verfügung gestellt werden, ist damit zu rechnen, dass insbesondere Prozesse, die die Wirtschaftskriminalität betreffen und erfahrungsgemäß länger dauern, in Zukunft »verjähren«. Durch geschickte Strategien können Verfahren lange genug verschleppt werden. Die neue Bestimmung gilt rückwirkend für alle Verfahren in erster Instanz, also auch für den Mailänder Korruptionsprozess gegen Berlusconi. Das Gesetz soll noch vor Weihnachten in Kraft treten.

Daraufhin schlug eine Gruppe von Bloggern Alarm: »Viola la Carta!« (Er verstößt gegen die Verfassung!) Der Slogan zitierte den Obersten Gerichtshof und richtete sich direkt gegen den Ministerpräsidenten. Dass die Rücktrittsforderung mit einem violetten Band symbolisiert wurde, ist eher der Doppeldeutigkeit des italienischen Worts »viola« zuzuschreiben als der bewussten Abgrenzung von allen anderen Farben des italienischen Parteienspektrums. Allerdings wurde die Forderung nur von der kleinen Partei Italia dei Valori aufgegriffen, die einen dezidierten Antiberlusconismus vertritt, die anderen Oppositionsparteien hielten sich zurück: Es gab keine rechtliche Grundlage für die Forderung der Blogger. Als die Facebook-Gruppe innerhalb weniger Tage mehr als 200 000 Mitglieder zählte, entstand die Idee zum »No-B-Day«. Dabei handelt es sich um eine spontane Bewegung, die vor allem die moralische Empörung über Berlusconi eint, deren Angehörige ansonsten aber sehr diffuse politische Überzeugungen hegen.
Immerhin meldete sich auf dem »No-B-Day« auch die Antimafia-Bewegung zurück. Schließlich werden dem Ministerpräsidenten nicht nur »Kavaliersdelikte« wie Steuerhinterziehung und Korruption vorgeworfen. Im Zusammenhang mit dem Berufungsprozess gegen Berlusconis engsten Vertrauten Marcello Dell’Utri, der derzeit in Turin stattfindet, geht es auch um die immer wieder behaupteten mafiösen Ursprünge des Bau- und Medienunternehmers Berlusconi und um seinen politischen Aufstieg. Dell’Utri war Anfang der neun­ziger Jahre maßgeblich am Aufbau von Berlusconis erster Partei, der Forza Italia, beteiligt, derzeit sitzt er für die neue Rechtspartei Volk der Freiheit im Senat. 2004 wurde Dell’Utri in erster Instanz wegen »externer Unterstützung einer mafiösen Vereinigung« zu neun Jahren Haft verurteilt.

Einen Tag vor dem »No-B-Day« trat der Kronzeuge Gaspare Spatuzza, ein Auftragskiller der sizilianischen Mafia, in Turin auf. Er behauptet, der Boss seines Clans habe ihm Anfang 1994 mitgeteilt, dass die Cosa Nostra ihre Serie von Bombenattentaten beenden würde: »Wir haben bekommen, was wir wollten«, soll er gesagt haben, »wir haben das Land in der Hand.« Die Cosa Nos­tra könne sich zukünftig wieder auf »zuverlässige Personen« verlassen. Auf seine Nachfrage hin hätte der Pate die Namen dieser Personen genannt: Berlusconi und Dell’Utri.
Dell’Utris Verteidiger haben Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen, Berlusconi weist die Vorwürfe als »Verleumdungen« zurück. Unter seiner Regierung seien so viele Mafiabosse verhaftet worden wie nie zuvor, zuletzt just einen Tag nach Spatuzzas Vernehmung. Die Erfolge bei Ermittlungen gegen den militärischen Arm der sizilianischen Mafia sind unbestritten. Für die Aussagen von Spatuzza liegen dagegen bisher keine Beweise vor. Seine Zusammenarbeit mit der Justiz weist allerdings einige interessante Besonderheiten auf. Spatuzza tritt nicht als typischer pentito, als Reumütiger auf. Er beteuert seine ungebrochene Treue gegenüber seiner Mafia-Familie, den Brüdern Graviano. Diese wiederum beschimpfen ihn nicht, wie sonst bei Kronzeugen üblich, als »infamen« Verräter. Ihr Schweigen wird von erfahrenen Prozessbeobachtern quasi als Autorisierung interpretiert. Spatuzza selbst behauptet, einer der Bosse habe ihm gegenüber deutlich gemacht, man müsse mit der Justiz zusammen­arbeiten, wenn von anderer Seite nichts komme.

Ob der Mafioso damit andeuten wollte, dass es konkrete Vereinbarungen zwischen der Cosa Nostra und Berlusconi gab, muss juristisch noch nachgewiesen werden. Allerdings bekommt nun Berlusconis vorgeblich witziger Schwur, er wolle den Autoren der Krimiserie »Allein gegen die Mafia« erwürgen, der dem Ansehen Italiens schade, einen neuen Klang. Wer könnte an diesem vor wenigen Tagen abgegebenen Versprechen Interesse haben? Sicher nicht das Fernsehpublikum, das dem TV-Kommissar Corrado Cattani höchste Einschaltquoten beschert.
Auffällig ist, dass die Regierung Berlusconis in den vergangenen Wochen eine Serie von Gesetzen vorlegte, die jene begünstigen, die selbst nicht zur Mafia gehören, aber mit den kriminellen Kartellen Geschäfte machen. Illegal erworbenes und im Ausland angelegtes Geld kann neuerdings nahezu steuerfrei auf italienische Konten zurückgeführt werden, beschlagnahmte Güter verurteilter Mafia-Bosse müssen künftig nicht mehr an soziale Einrichtungen übergeben, sondern dürfen frei versteigert werden. Zuletzt galten auch die Kronzeugenregelung und der Straf­tatbestand der »externen Unterstützung« nicht mehr als unantastbar. Sollte dennoch ein Strafverfahren drohen, können sich die Geschäftemacher zukünftig immer noch auf die verkürzten Verjährungsfristen verlassen.