Der Klimawandel ist eine Option von vielen. Szenarien der Apokalypse

Welche Apokalypse hätten Sie denn gerne?

Wenn der Weltuntergang zu drohen scheint, ist das nicht nur ein Grund zur Sorge, es hat seinen Reiz. Auch in der ­Debatte über den Klimwandel offenbart sich apokalyptisches Denken. Einer Lösung des Problems ist das nicht zuträglich.

Wenn die Vernunft nicht mehr weiterhilft, hofft man auf überirdische Mächte. »Ich glaube an Gott, ich glaube an Wunder«, sagte der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva am letzten Tag der Konferenz in Kopenhagen. Doch er zweifelte am göttlichen Beistand: »Ich bin nicht sicher, ob solch ein Engel oder weiser Mann herabsteigen wird.« Immerhin schien er sich ­sicher zu sein, dass der Engel kommen würde, um beim Abschluss eines Klimaabkommens zu helfen, nicht aber, um eine Schale des Zorns auszuschütten, obwohl die Offenbarung des Johannes berichtet, dass nach dem Erscheinen des vierten Engels »den Menschen heiß ward von großer Hitze«.
Die Apokalyptiker versammelten sich vor dem Konferenzzentrum. Großer Beliebtheit bei Adeligen wie Autonomen erfreut sich die Parole »Save the Planet«. Dass der Gipfel in Kopenhagen in dieser Hinsicht die letzte Gelegenheit sei, behauptet unter anderem Lord Stern of Brentford, Vorsitzender des Klimaforschungsinsituts an der London School of Economics. Bei der radikalen Linken heißt es: »Save the planet – fight ­capitalism!« Zur apokalyptischen Symbolik gehören auch die aus den Zeiten der Friedensbewegung bekannten und nun wieder beliebten die-ins, Kunstwerke, die im Wasser stehende Gerippe und ähnliche Motive zeigen sowie die unvermeidliche Uhr, deren Zeiger auf fünf vor 12 steht.
Nun ist es, was den Klimawandel betrifft, eigentlich schon halb vier. Auch die ehrgeizigsten Pläne sehen nur eine Begrenzung der globalen Erwärmung vor. Doch der Planet Erde hat schon diverse Klassengesellschaften überlebt. Ihm, der in seiner Geschichte schon erheblich wärmer war, als er es in 100 Jahren sein wird, aber auch mindestens einmal vollständig vereiste, kann es herzlich egal sein, wer sich auf seiner Oberfläche tummelt oder ob sich da überhaupt etwas tut.
So genannte Klimaskeptiker weisen gerne darauf hin, wie ähnlich die Prophezeiungen über die Folgen der globalen Erwärmung den klassischen apokalyptischen Vorstellungen sind: Sturm und Hagel, Überschwemmung, Hunger und Krieg. Zwar fehlt auch so manches, von einem scharlachfarbenen Tier mit sieben Häuptern und zehn Hörnern etwa war in Kopenhagen nicht die Rede, und seit dem Ende der Amtszeit George W. Bushs ist die Rolle des Antichrist unbesetzt. Doch tatsächlich ist zumindest für die westliche Welt die Offenbarung des Johannes die Mutter aller Apokalypsen, die auch das säkulare Weltbild prägt. Andere Varianten, etwa die weniger blumig formulierte und knapper gefasste Darstellung im Koran, ähneln im Übrigen diesem Vorbild.
Es geht bei der säkularen Adaption weniger um die Äußerlichkeiten, ob dem Atomkrieg oder einer globalen Seuche der Vorzug gegeben wird, ist abhängig von den gerade akuten Bedrohungen und dem persönlichen Geschmack. »Choose you own Apocalypse«, forderte das Online-Magazin Slate im August, es ging allerdings nur um das »Ende Amerikas«. Angeboten wurden 144 Szenarios. Die Schweinegrippe, die mit einer geringen Todesrate die Erwartungen enttäuschte, kam nicht in die engere Auswahl. Der Favorit waren »Loose Nukes«, Atombomben in den Händen von Terroristen.
Egal welchem Szenario man zuneigt, entscheidend ist die Idee des Untergangs. So ist seit Johannes in den genüsslich ausgemalten apokalyptischen Szenarien immer eine gewisse Sehnsucht spürbar, es möge doch endlich so kommen. Bei Johannes und den Frühchristen ist das konsequent, schließlich ist die Apokalypse für den wahren Gläubigen ein freudiges Ereignis, da sich mit ihr der göttliche Heilsplan erfüllt. In modernen Zeiten verbirgt sich hinter dieser Sehnsucht wohl ein Unbehagen an der Zivilisation, so etwas wie der infantile Wunsch, den Turm, den man gerade aufgebaut hat, zusammenstürzen zu sehen.
Auch unter den Christen verbreitete sich später die Idee, eine rechtzeitige moralische Umkehr könne Gott dazu bewegen, die große Show noch einmal zu verschieben. Vor allem diese Idee prägt die säkulare Apokalyptik. Sie übernahm die moralische Zweiteilung der Welt, die in der Apokalypse eine Bestrafung für die Sündhaftigkeit der Menschen sieht, die durch eine rechtzeitige Umkehr aber noch abgewendet werden könne.

In populären zeitgenössischen Darstellungen der Apokalypse tauchen diese Ideen auch dann auf, wenn das Szenario kaum noch einen Bezug auf das christliche Vorbild hat. In Roland Emmerichs »Independence Day« ist es, nachdem die Zerstörung der wichtigsten Symbole der USA zelebriert wurde, ein reuiger Säufer, der sich opfert, um die Superwaffe der Aliens zu zerstören. »Das fünfte Element« Luc Bessons lässt sich im letzten Moment von Bruce Willis davon überzeugen, dass die Welt ungeachtet ihrer Sündhaftigkeit der Rettung vor dem nahenden feurigen Kometen wert ist.
So einfach ist das beim Klimawandel nicht. Da müssen wir alle reuig umkehren. In der misanthropen Variante werden die Menschen an sich zum Problem ­erklärt: Es gibt einfach zuviele davon. Der Optimum Population Trust propagiert: »Weniger Emittenden, niedrigere Emissionen, geringere Kosten.« Zu den patrons der britischen NGO zählen renommierte Wissenschaftler, unter anderem Jane Goodall und David Attenborough. In den praktischen Empfehlungen bleibt der Trust vergleichsweise humanitär, er propagiert die Familienplanung und eine online abzugebende Selbstverpflichtung, nicht mehr als zwei Kinder zu zeugen. Es ließe sich allerdings auch eine Apokalypse mit einer anderen kontern, ein indisch-pakistanischer Atomkrieg etwa könnte den Berechnungen Alan Robocks von der Rutgers University zufolge die Durchschnittstemperatur zehn Jahre lang um mehrere Grad senken.
Beliebter sind die carbon footprints, Rechenmodelle, die es gestatten, den persönlichen CO2-Ausstoß zu ermitteln und und nach Wegen zu suchen, um ihn zu reduzieren. Die meisten Umweltschutzorganisationen propagieren den Verzicht, in der reuigen Umkehr konstituiert sich die Gemeinschaft der Gläubigen, um die Zögerlichen zu beschämen und Babylon die Stirn zu bieten.
Im Konferenzzentrum von Kopenhagen, das für knapp zwei Wochen Babylon, das »Behältnis aller unreinen Geister«, war, ließ sich kein hilfreicher Engel blicken. Die Absurdität der dort geführten Verhandlungen ist eigentlich offensichtlich. Debattiert wird über Maßnahmen, die in zehn oder 30 Jahren wirksam werden sollen, und nicht einmal darüber kann Einigkeit erzielt werden, während die CO2-Emissionen weiter steigen. Warum ein Klimaschutzabkommen, sollte es einmal zustande kommen, wirksamer sein sollte als andere »rechtlich verbindliche« Zusagen in der Vergangenheit, ist nicht ersichtlich. Wenn es einmal um Sofortmaßnahmen geht, kann man anfangen, den staatlichen Klimaschutz ernst zu nehmen.
So werden die Umweltschützer in den kommenden Jahrzehnten wohl vornehmlich die Konsumenten mahnen, deren carbon footprint zu groß ist, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt ist, Politiker zu mahnen, ihre Versprechen endlich zu erfüllen. Das apokalyptische Denken mitsamt seinen moralischen Zuordnungen führt auf falsche Wege. Um ein Hirngespinst übersättigter Wohlstandsbürger handelt es sich allerdings nicht.
Historisch betrachtet war die Apokalypse, ursprünglich erfunden wohl von den zoroastrischen Persern und über die jüdischen Propheten an die Christen weitergereicht, ein gewaltiger Fortschritt. Sie erlöste die Menschen von der ewigen Wiederkehr des Gleichen, der aus dem landwirtschaftlichen Produktionsrhytmus abgeleiteten Vorstellung, es könne nichts Neues unter der Sonne geben. Erstmals war eine bessere Welt möglich, wenn auch zunächst nur durch das Eingreifen eines Gottes, der erhebliche Kollateralschäden hinterlässt. Doch die säkulare Idee des Fortschritts und alle Utopien wären ohne diesen ersten geistigen Schritt im wörtlichen Sinne undenkbar.
Überdies hatten die Apokalyptiker häufig so Unrecht nicht, auch wenn die Zerstörung hinter den Erwartungen zurückblieb. Das gilt schon für Johannes. Seine Welt, die römische Sklavenhaltergesellschaft, ging schließlich unter, und schön war die folgende Zeit der »Völkerwanderung« nicht. Dass es mit der modernen Apokalypse nicht geklappt hat, war vielleicht nur ein glücklicher Zufall.

»Plötzlich schlägt der Alarm an, und eine schrille Sirene heult fürchterlich los«, berichtet Oberst Stanislaw Petrow. Der Monitor »zeigt rot das Wort START an. Das Überwachungssystem hat mit höchster Wahrscheinlichkeit den Start einer Interkontinentalrakete von einer amerikanischen Basis entdeckt.« Der Einschlag ist in 25 Minuten zu erwarten, und es werden noch vier weitere Raketenstarts vom Computersystem angezeigt. Die Daten werden überprüft und bestätigt. Die visuelle Überwachung hingegen meldet keinen Start, doch über der US-Raketenbasis bricht gerade die Nacht an, die Sicht ist schlecht. Petrow muss sich entscheiden, ob er dem Politbüro einen Computerfehler melden will oder die Starts bestätigt und damit einen nuklearen Gegenschlag auslöst.
Dies ist keine Filmszene, es geschah am 26. September 1983. Petrow meldete einen Computerfehler. Ob das Politbüro andernfalls die Raketen hätte starten lassen, wird sich ebenso wenig ergründen lassen wie die tatsächliche Konfrontationsbereitschaft beider Seiten während der Kuba-Krise. Möglicherweise war das von der Friedensbewegung verbreitete apokalyptische Szenario des »nuklearen Winters« übertrieben, und die US-Strategen, die mit einem Bevölkerungsverlust von 25 Prozent rechneten, hätten Recht behalten. Doch gilt hier das Sprichwort: Wenn du paranoid bist, bedeutet das nicht, dass niemand hinter dir her ist.
Es gibt genug Gründe, sich über den Zustand der Welt Sorgen zu machen. Im Gegensatz zu Johannes sind wir in der Lage, die Gefahren abzuschätzen oder sogar zu berechnen und Lösungen zu finden, die ohne Schwertträger auf weißen Pferden und vielköpfige Monster auskommen. So wissen wir, dass es seit der Entstehung des Lebens keinen Asteroideneinschlag gab, der alle Lebensformen ausgelöscht hätte. Dementsprechend gering ist die Wahrscheinlichkeit, dass so ein Einschlag in näherer Zukunft droht. Sich Gedanken über die Abwehr dieser Gefahr zu machen, ist nicht gänzlich überflüssig, zumal auch kleinere Einschläge katastrophale Folgen haben, hat aber keine Priorität.
Wir wissen auch, dass die globale Erwärmung große Landstriche verwüsten oder unter Wasser setzen, Millionen Menschen das Leben kosten, vielleicht sogar eine negative Aufhebung des Kapitalismus bewirken könnte, einen dem Untergang der Römischen Reiches vergleichbaren zivilisatorischen Zusammenbruch. Das sollte als Motiv für ein politisches Engagement eigentlich ausreichen. Das apokalyptische Denken, oft verbunden mit romantischen Vorstellungen über eine Rückkehr zur Natur, behindert jedoch die Lösung des Problems.

Die globale Erwärmung ist im Wesentlichen eine Folge archaischer Methoden der Energiegewinnung. Andere Methoden sind längst bekannt und erprobt, hilfreich könnte möglicherweise auch die Kernfusion sein. Das Problem ist nicht zuviel Fortschritt, sondern ein kapitalistisches System, das innovativ nur im Marketing ist, aber auf überkommenen Institutionen wie den Nationalstaaten beruht, deren Konkurrenz die Lösung globaler Probleme fast unmöglich macht, und nur marktwirtschaftliche Maßnahmen zulässt wo eine weltweite demokratische Wirtschaftsplanung notwendig wäre.
Derzeit sieht es nicht so aus, als werde es gelingen, die globale Erwärmung rechtzeitig zu bremsen. Einen richtigen Weltuntergang wird es wohl dennoch erst in etwa fünf Milliarden Jahren geben, wenn die Erde in der Außenhülle der Sonne verschwindet, die dann zu einem roten Riesen geworden ist. Vorläufig werden Sie also weiterleben müssen. Doch das sollte Sie nicht bekümmern, denn die meisten Menschen versprechen sich ohnehin viel zu viel vom Weltuntergang.