Über die Proteste im Iran

Die Jubelperser füllen die Straßen nicht

Die iranische Opposition nutzte das schiitische Ashura-Fest für die größten Proteste seit dem Sommer. Mit mäßigem Erfolg organisierte das Regime einen Aufmarsch seiner Unterstützer.

Der Tod des 87jährigen Großayatollahs Hussein Ali Montazeri in der Nacht zum 20. Dezember war wie ein letztes Geschenk des als unerbittlicher Gegner der iranischen Regierung bekannten Geistlichen an die Oppositionsbewegung im Iran. Denn der einst als Nachfolger Khomeinis gehandelte und dann in Ungnade gefallene Kleriker starb eine Woche vor dem Ashura-Fest, dem Höhepunkt der schiitischen Passionsfeiern, dem Jahrestag der Ermordung des Prophetenenkels Hussein.
Das für das Regime sowieso heikle Datum wurde dadurch endgültig zu einem Debakel für die Machthaber in Teheran. Bereits bei der Beisetzung Montazeris, der von seinem ehemaligen Rivalen, dem religiösen Führer Ali Khamenei, für mehrere Jahre unter Hausarrest gestellt worden war und der nach den Wahlen im Juni vergangenen Jahres unter anderem eine Fatwa gegen Wahlbetrug und für das Recht auf Widerstand gegen eine betrügerische Regierung veröffentlicht hatte, kam es zu Zusammenstößen der Trauernden mit den Sicherheitskräften. Beim Ashura-Fest selbst, am 27. Dezember, folgte das erwartete Desaster für das Regime. Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Iranern nutzen in Teheran und weiteren Großstädten des Landes die religiösen Versammlungen für die größten Demonstrationen seit den Auseinandersetzungen im Anschluss an die Wahlen.
Am eindrücklichsten dokumentierten den Kontrollverlust des Regimes wieder einmal Bilder aus den Straßen Teherans, Bilder, die trotz Internetsperren und Abschaltung des Handynetzes umgehend die Weltöffentlichkeit erreichten. Sie zeigen Uniformierte, die vor den sich wehrenden Demonstranten flohen. Erstmals seit dem Sommer wurden auch wieder Demonstranten getötet. Das Regime sprach von sieben Todesfällen, bestritt aber wie üblich jede Verantwortung der Sicherheitskräfte.

Einer der Ermordeten war ein Enkel Mir Hussein Mousavis, eines Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen. Er wurde offenbar fernab der Demonstrationen von einem Trupp Zivil tragender Männer gezielt auf der Straße erschossen. Ähnlich wie im Fall der getöteten Studentin Neda Aga Soltan sprach der Polizeichef von einer mysteriösen »seltenen und speziellen« Pistole, die dabei verwendet worden sei, und von einem »westlichen Szenario«. Der Leichnam wurde nur unter der Bedingung freigegeben, dass die Beerdigung nicht öffentlich stattfände.
Die mutmaßlich als Warnung aus dem Sicherheitsapparat an Mousavi zu verstehende Tötung eines Familienmitglieds unterstreicht dabei ebenso wie die erneute Verhaftungswelle ein weiteres Mal die Hilflosigkeit des Regimes angesichts der schwersten Krise der Islamischen Republik. Wieder waren Studenten, Funktionäre von Parteien islamischer »Reformer«, Berater aus dem Umfeld von Mousavi, Menschenrechtler und ehemalige Mitglieder des Kabinetts von Präsident Mohammed Khatami das vorrangige Ziel der Verhaftungstrupps.
Man könnte sich mittlerweile erstaunt fragen, ob sich überhaupt noch Oppositionelle finden lassen, die noch nicht verhaftet worden sind. Doch ändern all diese Verhaftungswellen nichts an der Bereitschaft zum Protest gegen das Regime. In der Folge von Ashura ist erneut deutlich geworden, dass die Machthaber sich auch weiterhin nicht zutrauen, die prominentesten Oppositionellen direkt anzugreifen. Das ist gerade angesichts der ständig gesteigerten und wiederholten Drohungen und Absichtserklärungen, endlich »durchgreifen« zu wollen, ein Zeugnis der Lähmung, in der das fragmentierte Establishment der Islamischen Republik verharrt.

Hektische offizielle Äußerungen gab es auch nach den Ashura-Protesten. So kündigte der iranische Polizeichef an, »die Zeit der Geduld« sei vorbei, in Zukunft werde mit allen, die an Protesten teilnähmen, »scharf umgegangen«, die Parlamentsmehrheit der »Prinzipalisten«, die hinter Khamenei steht, forderte vollmundig wieder einmal die »strengste Bestrafung« der Demonstranten durch Justiz und Sicherheitsbehörden.
Sadeq Larijani wiederum, der neue Chef des Justizwesens und Bruder von Ali Larijani, dem Parlamentssprecher und Anführer der Prinzipalistenfraktion, will die Vorgänge rund um Ashura »schnell und nachdrücklich« untersuchen. Von »fairen« Urteilen spricht er und im gleichen Atemzug von dem »politischen Einblick«, den die Justizbehörden bräuchten, um die Gesetze »korrekt« anzuwenden. Wenn er die schnelle Bestrafung der »Aufrührer« ankündigt, nennt er auch den Grund: An Ashura sei nur vorgeblich gegen das Wahlergebnis demonstriert worden, die Aufrührer opponierten tatsächlich gegen das »islamische Establishment«. Eine Erkenntnis, die so manchem westlichen Apologeten der Islamischen Republik offensichtlich noch immer verschlossen ist.
Dem Wunschtraum des Regimes gemäß sollten die Demonstranten jedenfalls als »Aufrührer gegen Gott« bestraft werden. Ein Vergehen, das in der Islamischen Republik mit der Todesstrafe geahndet werden kann. Auch die »Anführer« der Opposition könnten angeklagt werden, Apostaten zu unterstützen, drohte Mohseni Ejei, der Generalstaatsanwalt und ehemalige Geheimdienstminister, umgehend nach den Ashura-Protesten. Ob den Machthabern selbst diese Linie durchsetzbar erscheint, ist zweifelhaft. Die Probleme werden für das Regime mit einer steigenden Anzahl der Verhaftungen, Prozessen und dabei wiederum ans Licht kommenden Folterungen und Irregularitäten des iranischen Justizwesens nur ständig größer – ein Entwicklung, die seit dem Sommer anhält.
Ein weiterer Versuch des Regimes, eine Antwort auf die stetig voranschreitende eigene Demontage zu finden, brachte bestenfalls ein Unentschieden. Nach Ashura ließ die Regierung mit großem logistischem und medialem Aufwand Demonstranten zu ihrer Unterstützung aufmarschieren. Nach den ersten weltweit übernommenen eigenen Meldungen über »Millionen« von regierungstreuen Demonstranten folgte eine stetige Reduzierung in den Berichten der internationalen Presse auf Hunderttausende und schließlich Zehntausende von Sympathisanten.
Die wirkliche Anzahl der von ihrer Arbeit freigestellten und mit Verpflegung beglückten Anhänger der Regierung, von denen viele offenbar aus dem weiteren Umland für einen Familienausflug nach Teheran gekarrt wurden, ist nicht nachprüfbar. Eine einigermaßen plausibel erscheinende Berechnung der Opposition anhand eines Fotos vom Teheraner Revolutionsplatz mit Größenangaben, die im Netz kursieren, schätzt die dort versammelte Menge bei der zentralen Kundgebung auf 20 000 Menschen.
Eindeutig sind dagegen Handyaufnahmen von Demonstrationsumzügen aus zwei Provinzstädten. In Karadsh, mit rund 1,5 Millionen Einwohnern nahe bei Teheran gelegen, nimmt der Demonstrationszug für die Regierung für ein paar Momente sogar die volle Breite der dreispurigen Fahrbahn ein. Es folgt noch der schwarze Block der Frauen im Tschador, dann keilen Autokolonnen die Nachzügler bereits ein. In Kerman­shah im Westen Irans hätten die aufmarschierten »Massen«, auffällig auch hier unter den wenigen Teilnehmern die vielen schwarzen Tschadors, zur Füllung einer dreispurigen Straße kaum gereicht.

Die Unhaltbarkeit der Situation liegt deutlich vor aller Augen, das System der islamischen Republik zerfällt mehr und mehr. Es ist kein Zufall, dass nach den Demonstrationen vom 27. Dezember innerhalb des Establishments wieder heftiger über einen »Kompromiss« geredet wurde. Ali Motahari, ein prominenter Abgeordneter der Prinzipialisten und Kritiker Ahmadinejads, hat Vorschläge für eine nationale Versöhnung gemacht. Die »Führer« der grünen Bewegung sollten die Wahlen anerkennen und sich von »anti-islamischen« und »verwestlichten« Positionen distanzieren, gleichzeitig sei die »militärische Atmosphäre« im Land zu beenden, die Meinungsfreiheit müsse respektiert werden und die Justiz dürfe auch gegen »extremistische und sektiererische« Unterstützer der Regierung nicht untätig bleiben.
Eine Stellungnahme Mousavis aus der vergangenen Woche zielt in dieselbe Richtung. Er fordert eine Anerkennung der Tatsache, dass sich das Land in einer Krise befindet, die Freiheit der Presse und der Parteienbildung, die Freilassung der Gefangenen, Verantwortlichkeit der Regierung und Verwaltung gegenüber dem Parlament und eine Neufassung der Wahlgesetze. Von der Absetzung der Regierung oder der Annullierung der Wahlen ist hier interessanterweise nicht die Rede. Nicht ungeschickt weist Mousavi darauf hin, dass eine Verhaftung oder Ermordung seiner Person oder anderer prominenter Oppositioneller wie Mehdi Karroubi die Lage nicht grundsätzlich ändern würde. Denn weder er noch Karroubi hätten zu den jüngsten Demonstrationen aufgerufen, die Menschen seien eben auch ohne Führung auf die Straße gegangen.
Mousavis Vorschläge sind ein Appell, das System mit ihm zu retten, bevor es zusammenbricht. Doch das ist wohl nicht mehr realistisch, und die Hardliner dürften das wissen. Offizielle Zugeständnisse des Regimes brächten das Ende vermutlich sogar noch schneller, als es ohnehin schon naht.
Ahmadinejad muss sich unterdessen mit renitenten Abgeordneten befassen. Das Parlament erzwang im Herbst Änderungen an seiner groß angekündigten Subventionsreform, dem ökonomischen Hauptvorhaben seiner zweiten Amtszeit. Umstritten ist die Frage, wer das Geld verteilen darf, das durch Streichung von Subventionen eigentlich eingespart werden sollte. Ahmadinejad wollte das ganze Vorhaben daraufhin wieder zurückziehen, das allerdings hat das Parlament jüngst abgelehnt.
Wenn auch die ganze Welt voller Demonstrationen, Streit und Missgunst ist, so hat der Präsident der Islamischen Republik doch eine sehr versöhnliche Neujahrsbotschaft verkündet, speziell an die Oberhäupter der christlichen Staaten. Frieden und Gerechtigkeit sollen 2010 über die Welt kommen, zudem das »Licht der Spiritualität« und der Messias, den doch alle Propheten vorausgesagt haben. Es wird aber wohl noch eine Weile dauern, bis Frieden im Iran einkehrt. Anfang Februar endet der 40tägige Trauerrhythmus nach dem Ashura-Tag, es folgt Mitte des Monats der 31. Jahrestag des Sturzes des Schahs.