Die Arbeitsbedingungen von Migranten in den EU-Ländern – Deutschland

Der DGB und die ungeliebten Kollegen

Papierlose Migranten in Deutschland fordern seit Jahren, von den Gewerkschaften vertreten zu werden. In Berlin und Bremen werden sie nun beraten und zum Arbeitsgericht begleitet. In Hamburg ist man schon weiter.

Ein Staubsauger schabt über den Teppich, das Geschirr ist eingeweicht, und die Trauerränder der Badewanne sind weggeputzt. So beginnt der Aufklärungsfilm des Verdi-Arbeitskreises »Undokumentierte Arbeit« auf Youtube. Aufgeklärt wird darin über Rechte, die illegalisierte Arbeiter und Arbeiterinnen auch unabhängig vom Aufenthaltsstatus einklagen können. Mit Fragen zu ausstehendem Lohn oder zu Arbeitsunfällen kommen die Papierlosen zur Beratung des Arbeitskreises in Berlin oder in Hamburg zu »MigrAr«, der »Gewerkschaftlichen Anlaufstelle für MigrantInnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus«. Neu sind die Probleme, mit denen sich diese Anlaufstellen beschäftigen, nicht. Schon seit Jahren fordert beispielsweise Respect, ein Netzwerk zur Unterstützung von Migrantinnen und Migranten, für illegalisierte Arbeiter und Arbeiterinnen die Möglichkeit einer Verdi-Mitgliedschaft. Langsam scheinen diese Forderungen Gehör zu finden.
Auch im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) wurden beziehungsweise werden ausbeuterische und illegalisierte Arbeitsverhältnisse als Bedrohung für sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze oder für die Chancengleichheit im Wettbewerb angesehen. Bündnisse gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung unter dem Slogan »Illegal ist unsozial«, wie sie die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) mit den Finanz- und Zollbehörden im Jahr 2007 einging, gehören noch nicht der Vergangenheit an. Auch die rassistische Kampagne »Ohne Regeln geht es nicht« der IG Bau von 2004, bei der illegale Beschäftigungsverhältnisse über eine Telefonhotline gemeldet werden konnten, ist noch nicht vergessen. Die IG Bau leitete die Hinweise an die Polizei weiter. Dieser offene Aufruf zur Denun­ziation löste damals auch innerhalb der Gewerkschaften heftige Diskussionen aus.
Umso mehr werden jetzt die Anlaufstellen begrüßt, die das Dilemma auflösen sollen, in dem sich die Gewerkschaften befinden. So sieht eine Sprecherin der NGG, die nicht namentlich genannt werden will, keinen Widerspruch darin, einerseits gegen sogenannte Schwarzarbeit vorzugehen und zugleich Menschen in illegalisierten Beschäftigungsverhältnissen zu unterstützen. Auch Sigrun Heil, Pressesprecherin der IG Bau, teilt diese Ansicht und gibt zu, dass die Baustellenkontrollen ein Risiko für Papierlose bergen. Allerdings müsse unter »illegal« nicht nur die Beschäftigung Papierloser verstanden werden, sondern auch die Beschäftigung zu Niedriglöhnen, gegen die die Gewerkschaften mit der »Mindestlohn-Kampagne« vorgehen wollen. »Man muss differenzieren zwischen Schwarzarbeit und Schwarzarbeit«, erklärt hingegen Jürgen Stahl, der Gewerkschaftssekretär für besondere Dienstleitungen in Berlin und Brandenburg. Es gehe ­einerseits um Menschen, die keine andere Chance hätten, als illegal zu arbeiten, andererseits um »Kollegen, die sich an den Sozialkassen vorbeischummeln«. Neben dem rigiden Aufenthaltsrecht, das vielen keinen legalen Status ermöglicht, sieht auch er den gewerkschaftlichen Ansatzpunkt in der Bekämpfung des Lohndumpings, da weniger gezahlt werde und manchmal gar nicht, wenn papierlose Migranten in Haushalt, Pflege, Gastronomie oder auf dem Bau arbeiteten.
Dies zeigt auch das bekanntgewordene Beispiel der Chilenin Ana S., die als Haushaltsarbeiterin bei einer Familie in Hamburg arbeitete, sieben Tage die Woche ohne geregelte Pausen- oder Arbeitszeiten, für nicht einmal einen Euro die Stunde. Ihr Visum war abgelaufen, und der Lohn für ganze 39 Monate stand aus. Über eine Beratungsstelle der Hamburger »MigrAr« wurde sie Mitglied bei Verdi und zog vor das Arbeitsgericht. Ein Präzedenzfall, der den Aufbau der gewerkschaft­lichen Anlaufstelle vorantrieb.
Seit Mai 2008 informieren hier Fredrik Wolze und Tobias Wollborn Papierlose über ihre Rechte und schreiben Lohnnachforderungen an die säumigen Arbeitgeber, mit dem Logo der Gewerkschaft im Briefkopf. »Manchmal reicht das, aber vielfach bestreiten die Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis«, sagt Wolze. Die Beweispflicht liegt bei den Papierlosen, die Stempelkarten sammeln, Arbeitsanweisungen dokumentieren oder Kollegen und Kolleginnen als Zeugen heranziehen müssen. Aber das ist nicht die einzige Schwierigkeit. Der ungesicherte Aufenthaltsstatus wird gegen die arbeitsrechtlichen Lohnansprüche ausgespielt. »Viele kommen zu einer Erstberatung und dann nie wieder«, sagt Wolze. Aus Angst, abgeschoben zu werden, verzichten sie lieber auf ihren Lohn, obwohl die Arbeitsrechte unabhängig vom Aufenthaltsstatus gelten.
Der Weg vor das Arbeitsgericht ist somit nicht leicht, auch weil damit gerechnet werden muss, dass Informationen über einen fehlenden Aufenthaltstitel weitergegeben werden. »Dennoch gibt es die Möglichkeit, nur den Namen und das Gewerkschaftsbüro als Kontaktadresse anzugeben, auch steht es den Arbeitsrichtern frei, ob sie den Aufenthaltsstatus prüfen«, so Wolze. Aber selbst wenn die Lohnforderung vor Gericht ausgetragen wird, kommt es am Ende selten zur vollen Bezahlung. So bekam Ana S. einen Großteil, aber nicht den gesamten ausstehenden Lohn. Ebenso erstritt ein papierloser serbischer Metallarbeiter nur die Hälfte seines Lohns von 50 000 Euro im Rahmen eines Vergleichs.
Aber immerhin würden jetzt in der Gewerkschaft endlich auch einmal andere Töne angeschlagen, sagt Wolze. Seit Januar dieses Jahres ist die Hamburger Anlaufstelle nicht mehr bei Verdi, sondern beim DGB angesiedelt und mit einem Budget und zwei Honorarstellen ausgestattet. Dies wertet Wolze als eine politische Anerkennung des Projekts, und das bedeutet auch, dass sie jetzt Menschen aus allen Berufsbranchen beraten können.
Die Berliner Anlaufstelle träumt noch von solchen Bedingungen. Seit März 2009 wird hier die zweiwöchentliche Sprechstunde unter Ehrenamtlichen verschiedener antirassistischer Gruppen aufgeteilt. Ihre politische Arbeit hat den Vorteil des direkten Kontakts zu Papierlosen, erzählt Conny Roth, eine der Ehrenamtlichen. Schwierig sei es hingegen, eine kontinuierliche Arbeit zu leisten. Auch deswegen brauche diese Problematik mehr Öffentlichkeit, auch innerhalb von Verdi, sagt sie.
Gesundheitliche Versorgung, Durchsetzung von Arbeitsrechten und Mindestlöhnen auch in un­dokumentierten Arbeitsverhältnissen, werden gewerkschaftsintern diskutiert. Und die Gewerkschaften scheinen auch verstanden zu haben, dass die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den Arbeitgebern in die Hände spielen. Eine Legalisierung aller Papierlosen zu fordern, ist aber offenbar ein zu großer Schritt für die Gewerkschaften. Immerhin fordert ein »Diskussionspapier zur Situation von Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus in Deutschland« vom April 2009 eine schnellere Vergabe von Arbeitsgenehmigungen für Menschen mit Aufenthaltsgenehmigungen. Darin wird sich auch für mehr arbeitsrechtlichen Schutz und somit gegen die Übermittlungspflicht öffentlicher Stellen ausgesprochen. »Dies muss im Besonderen in den Bereichen Bildung, Kinderbetreuungseinrichtungen, Gesundheit und Lohneinklagung gelten, damit illegalisierte Menschen ihre menschenrechtlich verankerten Rechte wahrnehmen können«, heißt es in dem Diskussionspapier.
Auch die sicherheits- und ordnungspolitisch orientierte Gewerkschaft der Polizei, die ebenso wie die Hamburger Anlaufstelle für illegalisierte Migranten zum DGB gehört, hat von der »Situa­tion der Ausbeutung« gehört. Doch das Engagement für die Papierlosen ist dem Hamburger Landesvorsitzenden Uwe Kossel offenbar suspekt, er spricht von einem »zweischneidigen Schwert«. Das Thema verursache bei ihm ein »Grummeln im Bauch«. »Aber«, sagt er rechtfertigend, »wir arbeiten da ja nicht mit.«