Padeluun im Gespräch über die Volkszählung 2011

»Ich will nicht zum Lügen gezwungen sein«

Ein Bündnis verschiedener Datenschutz­organisationen will die Volkszählung 2011 durch eine Verfassungsbeschwerde stoppen. In der Kampagne gegen den »Zensus 2011«, wie die Volkszählung offiziell heißt, engagiert sich auch der Datenschutzaktivist und Künstler Padeluun. Er ist Vorsitzender der Datenschutzorganisation Foebud, engagiert sich im Arbeitskreis Vorrats­datenspeicherung und ist Jurymitglied des deutschen Big Brother Award.

Gegen die Volkszählung in den achtziger Jahren hatten sich hunderte Bürgerinitiativen gebildet. Die Grünen und die damalige Jugendorganisation der FDP, Gewerkschaften, Teile der Kirchen, ganze Städte protestierten damals gegen die Volkszählung. Sind die Proteste gegen die Volkszählung 2011 mit den Protesten der achtziger Jahren annähernd vergleichbar?
Das ist schwer zu sagen, denn die Proteste gegen die geplante Volkszählung sind ja eingebettet in eine große Bewegung, die sich für Datenschutz ausspricht und die schon gegen die Vorratsdatenspeicherung auf die Straße gegangen ist. Insofern gibt es jetzt nicht tausende von Menschen, deren einziges Thema die Volkszählung ist, sondern die Proteste gehen von Leuten aus, die sowieso schon sehr aufmerksam sind, wenn es um ihre Daten geht. Dazu kommen jetzt auch die Älteren, die schon in den Achtzigern gegen die Volkszählung protestiert haben.
Kann es sein, dass sich viele Menschen denken, angesichts von Google und Facebook oder angesichts von Arbeitgebern, die ihre Angestellten überwachen und nach intimsten Details ausfragen, falle eine staatliche Volkszählung heute gar nicht mehr ins Gewicht?
Ich merke, dass es Leute gibt, die angesichts der Volkszählung einfach mit der Schulter zucken. Aber es gibt auch viele, die es als Bedrohung ansehen, dass diese vielen kleinen Gefährdungen des Datenschutzes ein großes Ganzes ergeben. Bei der geplanten Volkszählung sollen nicht einfach nur Daten erhoben werden. Vielmehr sollen Daten, die es bereits gibt – zum Beispiel Einwohnermeldedaten und Informationen aus dem Hartz-IV-System – zusammengelegt werden. Dadurch entstehen wieder neue Datenbanken – etwa Wohnraumdatenbanken –, und zwar ohne unser Wissen, wodurch das Ganze nochmal etwas unheimlicher wird. Jede verhinderte Datensammlung ist daher schon ein Erfolg.
1983 wurde die Volkszählung zunächst durch eine erfolgreiche Verfassungsklage gestoppt, die vor allem damit argumentierte, dass die erhobenen Daten nicht ausreichend anonymisiert würden. Die Klage, die Sie jetzt beim Bundesverfassungsgericht einreichen, bemängelt ja offenbar dasselbe wie damals.
Ja, da werden heute auch teils dieselben Fehler gemacht. Man konnte damals zeigen, dass die erhobenen Daten auf Personen zurückgeführt werden können. Auch jetzt werden bei der Zusammenführung der Datenbanken wieder Nummern erzeugt, durch die man die Personen, um die es in einem bestimmten Datensatz geht, identifizieren kann.
Ist es nicht verwunderlich, dass die Regierung schon wieder das Risiko eingeht, dass eines ihrer Vorhaben vom Verfassungsgericht gekippt wird? Warum riskiert die Bundesregierung eigentlich ständig juristische Niederlagen vor dem Bundesverfassungsgericht? Haben Sie dafür eine Erklärung?
Als die geplante Volkszählung beschlossen wurde, hatte die Regierung den Schuss noch nicht so deutlich gehört, denn die Zählung wurde vor einem Jahr verabschiedet, als die Regierung noch dachte, sie könne machen, was sie wolle. Erst bei der Bundestagswahl zeigte sich, dass sie das nicht können, weil sich die Menschen dann etwa der »komischen« Piratenpartei zuwenden, und dass es intelligente Menschen gibt, die sich gegen Anmaßungen wehren. Das Beispiel der Netzsperren etwa hat gezeigt, dass die Menschen auch »gut gemeinte Zensur« als Zensur begreifen und gegen sie protestieren. Die Politik bekommt langsam mit, dass die Menschen aufgewacht sind und ihre Daten nicht irgendjemandem ausliefern wollen – sei es der Industrie oder dem Staat. Die Menschen wollen schlicht nicht, dass Leute, die über Macht oder Geld verfügen, auch noch die Macht über alle Daten haben.
Die Volkszählung 2011 sieht vor, dass Eigentümer von Gebäuden Angaben zu ihren Wohnungen und ihren Mietern machen müssen. Heißt das, dass mein Vermieter bei der Volkszählung angeben muss, dass ich in dieser und jener Wohnung zur Miete wohne? Wenn dessen Angaben dann nicht mit den Angaben zusammenpassen, die ich beim Einwohnermeldeamt gemacht habe – was passiert dann?
Was dann passiert, kann ich noch nicht sagen, aber in einigen Ländern können auch Bußgelder verhängt werden – da wird auf der Ebene der Verwaltungen versucht, »Auskunftsehrlichkeit« herzustellen. Ob sich das machen lässt, ist aber eine andere Frage. Wenn die Menschen einfach erzählen würden, was ihnen gerade in den Sinn kommt, kann es vielleicht einige erwischen, die dann Bußgeld zahlen müssen, aber an den meisten dürfte dieser Kelch vorübergehen. Massenverfahren wird niemand wollen. Wir müssen uns klarmachen, dass aus so einer Zählung – wir sollten besser von Erfassung reden, die Menschen werden ja nicht einfach gezählt, sondern es werden intimste und vielfältigste Daten abgefragt –, dass daraus nicht irgendeine Form von Wahrheit resultiert. Man bekommt eben einen Haufen Zahlen heraus, man kann darauf irgendwelche Voodoo-Formeln anwenden und mit dem Ergebnis dann Entscheidungen legitimieren. An den Entscheidungen selbst wird das in der Regel nichts ändern.
Ergänzend zum Registerabgleich soll auch eine gewisse Prozentzahl der Bevölkerung durch Fragebögen erfasst werden. Da immerhin könnte man sich weigern, die Bögen auszufüllen, oder zu anderen Sabotagemethoden greifen. In den achtziger Jahren stand das unter Strafe – wird das auch jetzt wieder strafbar sein?
Man rechnet damit, das fast drei Millionen Menschen einen Fragebogen ausfüllen sollen. Wer das nicht macht, dem soll ein Bußgeld drohen. Man kann natürlich irgendetwas eintragen. Aber das finde ich am unangenehmsten. Ich möchte nicht lügen, ich möchte auch nicht zum Lügen gezwungen sein. Ich würde eher sagen: »Ich mache das nicht, verklagt mich doch.« Und dann darauf hoffen, dass das keine größeren Konsequenzen hat. Ich selbst lebe in Bielefeld, und hier hat man in den achtziger Jahren die Menschen, die die Volkszählung boykottiert haben, einfach ignoriert. Man hatte nämlich Angst, dass herauskommt, dass in Wirklichkeit weniger als 300 000 Menschen in Bielefeld leben. Deshalb haben sie die fehlenden Daten irgendwie aus dem Melderegister ergänzt. Bielefeld wollte auf jeden Fall Großstadt bleiben und weiterhin Landeszuschüsse bekommen. Letztlich muss man sagen: So eine Zählung ist eine Farce. Deshalb sollte man spielerisch mit ihr umgehen.
Was sind denn Ihrer Meinung nach die brisantesten Fragen im Fragenkatalog der Volkszählung?
Ganz sicher die Fragen zur Religionszugehörigkeit. Ich finde es unmöglich, dass in einem Land wie Deutschland wieder so eine Frage gestellt wird und darüber Listen geführt werden. Zur Antwort ist man bei dieser Frage nicht verpflichtet – aber wer weiß das dann schon. In einer Gesellschaft, in der wir mittlerweile wieder rechte Parteien in Länderparlamenten sitzen haben, sind das sicherlich nicht die Listen, die wir haben wollen. Da wird auch nach dem Migrationshintergrund gefragt. Das sind Dinge, die einfach nicht in eine Datei geschrieben werden dürfen. Ich will als historisches Beispiel Dänemark und Norwegen nennen – beides Länder, in die die Nazis einmarschiert sind. In Norwegen fanden sich Listen, in denen die Religionszugehörigkeit von Teilen der Bevölkerung aufgeführt war. Das waren Listen, die ursprünglich etwas mit dem Rundfunk zu tun hatten. In Dänemark gab es solche Listen nicht. In Norwegen wurden etwa 80 Prozent der dort lebenden Juden deportiert und zum großen Teil im KZ getötet, während es in Dänemark, wo es solche Listen nicht gab, nur ungefähr zwei Prozent waren. Es gab dort eben keine Karteien, die Nazis konnten dort nicht einfach die Listen mitnehmen und dann die dort verzeichneten Menschen aus den Häusern holen. Dieses Beispiel zeigt deutlich, warum wir diese Volkszählung verhindern müssen.
Man könnte jetzt natürlich sagen, wir lebten doch in einem demokratischen Rechtsstaat, hier sei das kein Problem. Da muss man erwidern: Wir müssen bei der Datenerhebung mit bedenken, dass die Daten eines Tages Menschen mit böseren Absichten in die Hände geraten könnten. Wenn Politiker dann sagen: Wir müssen darauf bauen, dass wir ein freies Land bleiben, dann finde ich das ja schön, aber auch ein bisschen naiv. Wenn ich mir den Rechtsruck in Italien oder in den Niederlanden ansehe, wird mir schon ganz anders, und da muss ich sagen: Nein, diese Daten lassen wir besser weg.
Die Befürworter der Volkszählung würden Ihnen wahrscheinlich entgegnen, dass der Staat die Bedürfnisse der Bevölkerung kennen müsse, um diesen gerecht zu werden – etwa wenn es um Integrationspolitik gehe.
Was haben wir davon, wenn der Staat die Religionszugehörigkeit der Bevölkerung zählt, und dann weiß, in der und der Region gibt es so und so viele Muslime, aber er gar nicht bereit ist, Mittel zur Verfügung zu stellen, um die dort eventuell bestehenden Integrationsprobleme zu lösen? Solche Probleme lassen sich nur unter Zusammenarbeit aller Beteiligten lösen, aber doch nicht dadurch, dass man die Menschen in Statistiken packt.
Die Kampagne gegen die Volkszählung 2011 will Ihrer Homepage zufolge auch »datenschutzfreundlichere Lösungen« vorschlagen. Was wären denn die Voraussetzungen einer solchen »datenschutzfreundlicheren Lösung«?
Wie das gehen soll, dazu habe ich mir persönlich noch keine Gedanken gemacht, denn ich würde einfach sagen: Lasst das blöde Zählen sein! Das ist nicht der Konsens der Initiative, bei Bündnissen wie dem unseren gibt es immer Menschen, die vor Maximalforderungen zurückschrecken. Viele gehen davon aus, dass man schon ein paar Daten braucht. Wenn man ehrlich ist, stimmt das wohl auch ein Stück weit: Wenn man gar nichts weiß, kann man auch nichts machen. Wir schreiben auf unserer Website: Jegliches staatliche Handeln muss maximale Datensparsamkeit als Grundsatz haben. Es darf keine Aufhebung der Zweckbindung von Verwaltungsdaten geben. Eine Auskunftspflicht für intime Daten, die zudem auch noch strafbewehrt ist, erinnert eher an eine Diktatur als an einen freiheitlichen Staat.
Sollte man Volkszählungen nicht auch schon deshalb ablehnen, weil es staatlichem Handeln meist weniger darum geht, sich an die angeblich durch die Statistik erfassten Bedürfnisse der Bevölkerung anzupassen, sondern vielmehr um die Anpassung der Bevölkerung an die Bedürfnisse des Staates?
Wenn mich Leute fragen, warum ich Datensammlung an sich ablehne, entgegne ich immer, dass es dabei ja nicht darum geht, dass jemand an mir interessiert ist, sondern dass Menschen an mir desinteressiert sind, aber sie trotzdem wollen, dass ich funktioniere, und zwar in ihrem Sinne. Und das ist eben in der Regel nie in meinem Sinne.