In Kalifornien wird in einem Referendum über die Legalisierung von Marihuana abgestimmt

Das Kraut des Teufels in der Stadt der Engel

Am 2. November wird in Kalifornien über die »Proposition 19« abgestimmt. Wenn die Mehrheit der Wähler sich für diese Gesetzesinitiative entscheidet, wird Marihuana weitgehend legalisiert. Brechen goldene Zeiten für die Kiffer Kaliforniens an?

Die sogenannte Oaksterdam University befindet sich in einem unscheinbaren einstöckigen Bürohaus aus Backstein, mitten in dem spießig anmutenden und ebenso unscheinbaren Stadtteil Glendale im Osten von Los Angeles. Auch das ist eine Aussage: Gras ist total normal, Leute. Denn die Oaksterdam University hat einen ungewöhnlichen Lehrplan: Studiert wird hier allein die Kultivierung von Marihuana.
Oaksterdam bietet unter anderem Kurse über den Anbau, die Cannabis-Kochkunst und rechtliche Fragen für den interessierten Kleingärtner an. Die erste Niederlassung wurde in Oakland gegründet, doch mittlerweile gibt es auch in Los Angeles und vielen anderen Städten Filialen. Der Name ist eine Mischung aus den Städtenamen »Oakland« und »Amsterdam« – jenem Paradies, von dem amerikanische Kiffer träumen. Rund 12 000 Studenten haben bereits Zertifikate als Profi-Hanfbauern erworben. Das lassen sie sich etwas kosten, die Studiengebühren fangen bei 250 Dollar für ein Wochenendseminar an, ein dreizehnwöchiger Kurs kostet 650 Dollar.
Gegründet wurde die Oaksterdam University im November 2007 von Richard Lee, einem 47jährigen, querschnittsgelähmten Ex-Roadie, der unter anderem für Musiker und Bands wie LL Cool J und Aerosmith gejobbt hat. Lee kommt aus einer konservativen texanischen Familie, in seinem Elternhaus galt Marihuana als »das Kraut des Teufels«. Seit einem Unfall bei einem Aero­smith-Konzert im Jahr 1990, bei dem Lee auf seinen Werkzeuggürtel gefallen ist, sitzt er im Rollstuhl.

Seine Zukunft als Marihuana-Gelehrter begann ein Jahr nach dem Unfall, als er mit ein paar Freunden im Auto in einem Drive-through in Houston überfallen wurde. Die Diebe klauten das Auto und ließen den Gelähmten einfach auf der Straße sitzen. Als nach einer Dreiviertelstunde endlich Polizisten ankamen und das Protokoll aufnahmen, weigerten sie sich, Lee nach Hause mitzunehmen. Ihre Begründung lautete: »Sehen wir aus wie ein Taxiunternehmen?« Nachdem er tagelang wütend gewesen war, hatte er eine Erkenntnis, nämlich dass es für alle besser sei, wenn Marihuana legal wäre. Was das mit dem Überfall zu tun hat, bleibt offen, aber vielleicht war er bekifft, als ihm diese Erkenntnis kam. Als der Bundesstaat Kalifornien 1996 Marihuana für den medizinischen Gebrauch legalisierte, zog Lee nach Oak­land, außerhalb von San Francisco, und gründete seine erste »Marihuana-Apotheke«. Für Lee ist Gras ein Geschäft, nicht anders als der Verkauf von Coca-Cola, und er verdient gut mit dem »Kraut des Teufels«.
Jetzt hofft er, dass die Wähler Kaliforniens auch den nächsten Schritt gehen. Lee ist einer der engagiertesten Befürworter der Proposition 19, die Gras-Enthusiasten über 21 den Besitz und den privaten Anbau von Marihuana prinzipiell gestatten würde. Zudem ist die Legalisierung von Anbau, Transport und Verkauf vorgesehen. Die Initiative setzt einen Rahmen für Besteuerung und Regulierung durch lokale Behörden.
Bereits anderthalb Millionen Dollar hat Lee in die Kampagne für Prop 19 investiert. Er kann es sich leisten, denn mit seinen mittlerweile vier Apotheken und der Oaksterdam University verdient er angeblich fast sieben Millionen Dollar im Jahr. Dabei behauptet er, dass es ihm nicht um die Politik gehe, sondern ums Prinzip. Doch so viel ist klar: Prop 19 ist eng mit den Interessen der Oaksterdam University verbunden. Gras ist nicht mehr nur etwas für Hippies und Außenseiter. Gras ist Big Business.
Kein Wunder, dass hier, auf dem Campus der Kiffer-Universität in Los Angeles, auch das örtliche Büro der »Yes on Prop 19«-Bewegung untergebracht ist, in einem kargen Raum mit ein paar Schreibtischen, Klappstühlen, politischen Bannern und Gärtnereibedarf. Vorne wird Politik betrieben und hinten sind Marihuanapflanzen unter Sonnenlampen zu bewundern, sorgfältig mit einer Schutzabdeckung aus Alufolie abgeschirmt. Cannabispflanzen wachsen auch ohne menschliches Zutun, der kommerzielle Anbau ist jedoch offensichtlich eine hohe Kunst.
Im Büro sitzt Michael Howard (23) aus New York, der so aussieht, wie man sich einen Cannabis-Aktivisten vorstellt. Er ist ein sympathisch wirkender Rastafari. »Ich bin extra nach Kalifornien gezogen, um an der Oaksterdam University zu studieren. In New York ist nicht mal medizinisches Marihuana legal. Ich bin gekommen, um meine eigene Apotheke aufzumachen. Mir ist klar, was für eine nützliche Droge Cannabis ist. Und was für ein blühendes Geschäft!«

Daheim, an der Ostküste, habe er ohnehin nur herumgesessen und Gras geraucht. »Ich wollte lieber legal rauchen und keinen Ärger mit den Cops kriegen«, erklärt Howard. »Als ich dann von Prop 19 erfahren habe, wurde ich aktiv.« Er meint, dass die Legalisierung von Marihuana vielen Leuten helfen würde, besonders Minderheiten. »Es sitzen viel zu viele Minderheiten im Knast«, sagt er. »Die Cops sollten aufhören, sich auf Grasraucher zu konzentrieren, und lieber echte Verbrecher jagen, Vergewaltiger, Mörder und so.«
Das wird vermutlich so schnell nicht passieren. Denn Bundesstaatsanwalt Eric Holder hat angekündigt, dass der Kampf gegen das Kiffen weitergehen werde. Sollte Prop 19 durchkommen, bahnt sich womöglich ein Konflikt zwischen Kalifornien und der Bundesregierung an. Davor warnt auch Chief Pete Dunbar, der Polizeichef des verschlafenen nordkalifornischen Städtchens ­Pleasant Hill. Dunbar fing 1982 als Streifenpolizist beim Oakland Police Department an. Seit Februar 2006 ist er der Leiter des Pleasant Hill Police Department.
Er führt eine Reihe von Gründen auf, warum Marihuana seiner Meinung nach weiterhin illegal bleiben sollte. Der wesentlichste Grund ist wohl der Konflikt mit dem Bundesgesetz. »Der Control­led Substances Act besagt, dass Marihuana eine Droge der Klasse 1 ist. Das heißt, sie ist laut Bundesgesetz absolut illegal. Die Polizeibeamten in Kalifornien können aber nur die örtlichen Gesetze durchsetzen, nicht die bundesstaatlichen. Das Eigenartige an Prop 19 ist, dass es damit jeder Kommune freigestellt wird, ob sie sozusagen der Legalisierung zustimmt oder nicht. Von den über 400 Kommunen in Kalifornien werden wohl nur sehr wenige sich anschließen, es wird ein rechtlicher Flickenteppich werden. Wahrscheinlich werden die Leute ihr eigenes Marihuana anbauen, aber dann kann es passieren, dass die Bundesbeamten vor der Tür stehen und einen wegen Drogenbesitz verhaften. Und die werden sicherlich durchgreifen.«
Der Hauptgrund für die Illegalität ist für Dunbar, dass Marihuana eine bewusstseinsverändernde Droge ist. »Sie beeinflusst die Hirnzellen«, erklärt er. »Vielleicht ist es falsch, sie als eine Einsteigerdroge zu bezeichnen, aber es ist und bleibt nun einmal die erste Droge, die die Leute benutzen, bevor sie dann zu anderen Drogen greifen.« Er befürchtet, dass mit zunehmender Akzeptanz von Marihuana neue Probleme auf die Polizei zukommen werden. »Wir haben herzlich wenig Lust, uns mit Leuten auseinanderzusetzen, die Marihuana nehmen und dann beispielsweise Auto fahren. Wir wissen, dass mehr Leute die Droge nehmen werden, und die Preise werden sinken. Das bestätigen Studien. Es wird zu mehr Unfällen kommen. Wir haben jetzt schon kaum genug Potential, um uns angemessen mit Trunkenheit am Steuer auseinanderzusetzen. Der zusätzliche Einfluss von Marihuana stellt für die Städte und Kommunen ein Sicherheitsrisiko dar.«
Dunbar muss wissen, wovon er spricht. 24 Jahre lang ist er als Polizist durch die Straßen von Oak­land patrouilliert. »Das größte Problem ist die Drogenkriminalität«, sagt er. »Die Menschen sind bereit, für Drogen und Drogengeld zu töten. Ich wünschte, wir könnten diese Gewalt irgendwie loswerden, aber Prop 19 wird darauf auch keinen Einfluss haben.« Er ist entschlossen, weiterhin nach Drogendealern zu fahnden. Dabei liegt der Prozentsatz derer, die wegen Marihuana im Gefängnis sitzen, unter einem Prozent. Faktisch ist Marihuana bereits entkriminalisiert. Ab dem 1. Januar 2011 gibt es in Kalifornien für den Besitz von weniger als 18 Gramm Marihuana nur noch einen Strafzettel.
Erstaunlicherweise sind jedoch auch viele Konservative für die Legalisierung. James Gray, ein ehemaliger Richter des Obersten Gerichtshofs in Kalifornien, sagt: »Basierend auf meinen 25 Jahren Erfahrung als Richter ist mir klar geworden: Je härter wir in Bezug auf Drogendelikte, insbesondere Marihuana, zugreifen, desto nachlässiger sind wir bei der strafrechtlichen Verfolgung von allem anderen.« Umfragen zeigen, dass etwa die Hälfte der Wähler den Gesetzesentwurf befürwortet. Angeblich hat etwa ein Drittel aller Amerikaner in den vergangenen vier Wochen Gras geraucht. Keine Frage, Marihuana ist gesellschaftsfähig geworden. Es ist nicht mehr nur etwas für gesellschaftliche Aussteiger, auch Beamte und Rentner greifen zur Bong. Gras ist für alle da. Kiffer stehen mitten in der Gesellschaft.

Dass nicht allein die üblichen Verdächtigen die Legalisierung befürworten, erhöht die Chancen der Prop 19. »Ich denke, das Gesetz kommt durch«, meint Michael Howard. »Die Zeit ist reif. Es ist allen klar, dass es nur eine Pflanze ist. Wenn wir sie besteuern, können die Kommunen ordentlich Geld verdienen.« Bereits jetzt nimmt die Stadt Oak­land im Jahr fast eine Million Dollar an Steuern ein, und das allein mit Apotheken und der Oaksterdam Univeristy von Richard Lee. »Mit dem Geld könnten wir Schulen bauen. Wir könnten eine ganze Menge erreichen«, sagt Ho­ward.
Kann die Legalisierung den Kaliforniern tatsächlich bei der Bewältigung der finanziellen Krise helfen? »Selbstverständlich«, glaubt Howard. »Wir haben mit einer Spendenaktion an einem Tag bereits 16 000 Dollar gesammelt.« Doch Steuern sind etwas anderes als Spenden. Da Marihuana auf Bundesebene illegal bleiben wird, kann es nur auf kommunaler Ebene besteuert werden. Ist die Steuer zu hoch, wird der Schwarzmarkt weiter bestehen. Ist die Steuer aber zu gering, werden die Kommunen angesichts der zu erwartenden Kosten und des Aufwands der Besteuerung und Regulierung nicht von der Legalisierung profitieren können. Polizeichef Dunbar meint, die Zahlen, die die Befürworter angeben, seien übertrieben und unzuverlässig. Dass mit der Legalisierung die Geschäfte der Drogenkartelle unterbunden werden können, bezweifelt er. »Der Schwarzmarkt wird auf jeden Fall weiterhin existieren«, urteilt er. »Die Drogenkartelle sind zu mächtig. Prop 19 wird ihre Macht nicht brechen.«
Die mexikanischen Drogenkartelle konnten in den vergangenen Jahren ihren Einfluss erhöhen, die USA sind ihr wichtigster Absatzmarkt. Erst vor kurzem hat das mexikanische Militär in der Grenzstadt Tijuana 105 Tonnen Marihuana mit einem Marktwert von mehreren hundert Millionen Dollar konfisziert – der bislang größte Fund dieser Art. Doch macht Schätzungen zufolge der Verkauf von Marihuana höchstens 15 Prozent des Handelsvolumens für Kartelle wie die berüchtigte Fernando-Sanchez-Organisation aus. Profitabler sind Kokain und Amphetamine – die seltsamerweise von der US-Regierung für weniger gefährlich erklärt werden als Marihuana.
Die Legalisierung von Marihuana wird daher vermutlich keine nennenswerten Auswirkungen auf den Einfluss der Kartelle haben. Allerdings würde wohl die mexikanische Landwirtschaft darunter leiden. Denn die Kartelle lassen Cannabis immer mehr in Mexiko anpflanzen. Viele Anbauprodukte sind, nicht zuletzt wegen der US-amerikanischen Agrarsubventionen, unprofitabel geworden. Marihuana hingegen ist weiterhin gefragt, so kommen aus Mexiko im Jahr rund 7 000 Tonnen über die Grenze.
Über die Legalisierung von Marihuana wird auch in Lateinamerika diskutiert. Der mexikanische Präsident Felipe Calderón lehnt die Legalisierung strikt ab. Er befürwortet eine harte Repressionspolitik, in weit größerem Ausmaß als seine Vorgänger setzte er das Militär im »Krieg gegen Drogen« ein. Für Calderón ist das ganze Gerede über die Legalisierung von Marihuana, insbesondere in den USA, verlogen.
Michael Howard hingegen betrachtet das Marihuanaverbot als verlogen: »Jeder, der Wein trinkt oder eine Zigarette raucht, sollte besser den Mund halten. So einer hat keine gültigen Argumente.« Einen gesellschaftlichen Nachteil sieht er bei der Legalisierung nicht: »Das Einzige, was zu befürchten wäre, ist, dass dann ganz Kalifornien auf einmal zu den Schokoriegeln greift. Mehr nicht.«
Auch die Süßwarenhersteller könnten also von der Legalisierung profitieren. Ob es der informellen Koalition von Kiffern und Konservativen gelingt, der Prop 19 zum Erfolg zu verhelfen, bleibt fraglich. Umfragen sind nicht immer zuverlässig. Möglicherweise werden Menschen, die sich bei einer Befragung nicht für Marihuana aussprechen wollen, in der Anonymität der Wahlkabine eine andere Entscheidung treffen. Auf der anderen Seite gibt es gerade von zahlreichen konservativen Gruppen und vielen katholischen Einwanderern aus Lateinamerika ernsten Widerstand. Denn obwohl der Marihuanakonsum faktisch geduldet wird, bleibt die Droge für viele des Teufels Unkraut.