Griechische Entschädigungsforderungen wegen NS-Verbrechen

Die nächste Lektion

Dass die Bundesrepublik der Zuchtmeister der EU ist, durften die Griechen während der Krise erfahren. Dass Deutschland auch Weltmeister der »Vergangenheitsbewältigung« ist, müssen sie nach Ansicht von Guido Westerwelle noch lernen.

Ein Anruf des griechischen Außenministers Dimitrios Droutsas hat in der vergangenen Woche für Empörung im deutschen Außenministerium gesorgt. Der Minister teilte Guido Westerwelle (FDP) mit, dass die griechische Regierung sich an einem laufenden Verfahren zwischen Deutschland und Italien vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) beteiligen werde. In dem Prozess soll entschieden werden, ob die Überlebenden von während des Zweiten Weltkriegs verübten deutschen Kriegsverbrechen die Bundesrepublik auf Schadenersatz verklagen können oder ob sich Deutschland auf den Grundsatz der Staaten-immunität berufen kann. Griechenland geht es um das Massaker in Distomo. Dort ermordeten SS-Mitglieder im Juni 1941 218 Dorfbewohner.
Westerwelle schrieb am Tag nach dem Anruf in einer Erklärung: »In Deutschland wissen wir um unsere Verantwortung für unsere Geschichte. Und wir wissen auch um das besondere Leid der griechischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg.« Auch im deutschen Außenministerium liegt also das Phrasenbuch »Deutsche Erinnerungspolitik« aus. Worte wie »Leid« und »Verantwortung« haben einen großen Vorteil: Ihr Gebrauch kostet nichts. Deutschland hat im Jahr 1960 115 Millionen Mark Entschädigung an Griechenland gezahlt. Angesichts der Summe von 476 Millionen Reichsmark (heutzutage etwa fünf Milliarden Euro, ohne Zinsen), die die Deutschen den Griechen während des Zweiten Weltkriegs geraubt haben, sieht die deutsche Habenseite immer noch sehr passabel aus. Westerwelle müsste also selbst dann nicht mit Erinnerungsfloskeln geizen, wenn er für jede Äußerung 100 000 Euro in die Kaffeekasse des griechischen Außenministeriums zu zahlen hätte.
Dennoch war er ungehalten. »Ich habe kein Verständnis für die Entscheidung der griechischen Regierung« schrieb er in der Erklärung. »Was Klagen gegen die Bundesrepublik betrifft, erwarten wir, dass international anerkannte Rechtsgrundsätze und insbesondere Deutschlands Immunität als Staat respektiert werden.« Westerwelle fordert also wie sein Amtsvorgänger Frank-Walter Steinmeier die staatliche Immunität vor der rechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit ein. Ein ganz so großes Sakrileg wie die Entscheidung der griechischen Regierung war die zwar nicht juristische, aber dennoch gravierende Einmischung in die Belange eines anderen Staates nicht, als es darum ging, an den Griechen ein Exempel zu statuieren, wie in der Krise mit denen zu verfahren sei, die nicht sparen wollen und »über ihre Verhältnisse leben«. Dank deutscher Anstrengungen wurde den Griechen einen drastischen Sparhaushalt und ein »Hilfspaket« auferlegt, über dessen Rückzahlung sich vor allem deutsche Banken freuen.
Dass Deutschland der Zuchtmeister der EU ist, durfte Griechenland in einer ersten, großen Lektion also schon lernen. Dass dem Weltmeister der »Vergangenheitsbewältigung« gefälligst keine juristischen Schwierigkeiten zu machen sind, muss Guido Westerwelle den Griechen wohl noch einbläuen. Es bleibt zu hoffen, dass der IGH diese zweite Lektion vereitelt.