Hat eine »islamische Boutique« in Berlin-Neukölln besucht

Alles für die Verhüllung

Im Berliner Bezirk Neukölln gibt es seit kurzer Zeit eine »Islamische Boutique«, die ihre Besucherinnen mit einem Koranzitat begrüßt.

Die ermahnenden Worte prangen neben dem Eingang des Geschäfts im Berliner Stadtteil Neukölln: »Und sprich zu den gläubigen Frauen, sie sollen ihre Blicke senken und ihre Scham hüten, ihren Schmuck nicht offen zeigen, bis auf das, was sichtbar ist. Und sie sollen ihre Tücher auf den Schlitz ihres Gewandes schlagen und ihren Schmuck vor niemand anderem enthüllen, als vor ihren Ehegatten … Sure 24 an-Nur/Vers 31.« Seit Dezember ziert das in Goldschrift angebrachte Koranzitat den Eingangsbereich des »Hoor-Al-Ayn«. Die Fassade der Boutique besteht aus schwarzem Glas, das mit goldfarbenen Ornamenten bemalt ist. Nicht nur das Zitat aus dem Koran, sondern auch die Liste der angebotenen Produkte wird in geschwungenen Goldlettern präsentiert. Neben »Gebetskleidung« und »Kopf­tüchern« werden weitere Verhüllungsstoffe mit ihren arabischen Bezeichnungen genannt, die für Mäntel und Gesichtsschleier stehen. Im Schaufenster finden sich drei entsprechend gekleidete Puppen.

Eine andere Koran-Übersetzung zeigt, dass statt »Scham« auch »Keuschheit« verwendet werden könnte. »Schmuck« steht für die sogenannten »Reize« der Frauen, und der »Schlitz des Gewandes« für ihren Busen. Die Passage ist im Original doppelt so lang, da nach den Ehemännern noch weitere männliche und weibliche Familienangehörige aufgezählt werden, denen sich »die gläubige Frau« offener zeigen darf.
Am Samstagabend kurz vor Ladenschluss steht der Inhaber Wasfi Al-Ghzawi selbst an der Kasse und unterhält sich mit Kunden, deren äußere Erscheinung bestimmten Klischeevorstellungen entspricht: Ein Mann mit relativ langem Vollbart und eine bis auf das Gesicht schmucklos verhüllte Frau. In ihrer Begleitung befinden sich zwei Kinder. Eines liegt im Kinderwagen, das andere geht zwischen den Kleiderhaken mit Mänteln hin und her, die auch in Kindergrößen angeboten werden. Die Kleinen tragen jedoch nichts Derartiges. Von außen kaum sichtbar steht neben der Kasse ein Schaufensterpuppe, deren Gestalt der Statur eines 12- bis 14jährigen Kindes entspricht. Sie ist, bis auf das Gesicht, komplett verhüllt.
Auf einem Regal über dem Eingang liegen quadratische Plastikverpackungen. Es sind jeweils acht Bilder darauf zu sehen, die den Prozess der Verhüllung eines kleinen Menschen zuerst mit einem weißen Untertuch und dann mit einem schwarzen Obertuch zeigen. Aus der Distanz wirken die Abgebildeten ein wenig wie Nonnen, doch die kindlichen Züge sind klar erkennbar. Diese Verhüllungsstoffe sind eingeteilt in die Kategorien zwei bis drei, vier bis sechs, sechs bis acht und acht bis zehn. Dass sind keine willkürlichen gewählten Größen, es handelt sich um die Altersintervalle von Kindern. Als die Kundschaft sich verabschiedet hat, gibt der Ladeninhaber freundlich Auskunft über sein Geschäft und andere Boutiquen mit ähnlichem Sortiment.

Dass vorbeigehende Frauen sich von dem Koranzitat gestört fühlen könnten, kann Al-Ghzawi sich nicht vorstellen. Es habe noch keine Beschwerden gegeben. Als das Gespräch auf den Namen des Ladens kommt, hellt sich sein Gesicht auf: Hoor-Al-Ayn seien Frauenwesen im Paradies. Sie seien anders als die »normalen Frauen« hier auf der Erde. Warum aber wird ein Laden nach ihnen benannt, der Mode für die irdischen Frauen verkauft? Al-Ghzawi geht auf diese Frage nicht ein und sagt lediglich: »Im Paradies ist alles anders.«
Eine Internetrecherche zeigt, dass die Namensgeberinnen des Ladens, also die berühmt-berüchtigten Jungfrauen des Paradieses, im Koran oft Erwähnung findet. Der Name steht für eine Figur, die in den verschiedensten Zusammenhängen auftaucht und deren Attribute sich etwa so zusammenfassen lassen: eine von Allah selbst ­geschaffene schöne, treue, bescheidene Jungfrau mit großen Brüsten und weißen Augen, die ­weder menstruiert noch anderes ausscheidet und ihrem geliebten Mann untertan ist.

Gegenüber diesem Idealbild, wie es der patriarchalen Phantasie nicht schöner entspringen könnte, haben die irdischen Frauen viel aufzuholen. Dass sich die im erwähnten Koranzitat enthaltene Normierung negativ auswirkt, glaubt auf Anfrage der Jungle World auch eine Mitarbeiterin des Vereins Offensiv 91, die anonym in Neukölln ­tätig ist und auch in diesem Zusammenhang nicht namentlich genannt werden möchte. Der Verein vermittelt nämlich Fluchtwohnungen an von häuslicher Gewalt betroffene Frauen.
Die Sozialarbeiterin bezeichnet das Geschäft als »Katastrophe«. »Das widerspricht dem Grundgesetz und dem Kampf der Frauen um Eman­zipation.«
Sylvia Edler, Gleichstellungsbeauftragte des Bezirks Neukölln, kann gegenüber der Jungle Wold noch keine offizielle Aussage machen, erklärt aber, den Laden in zivilgesellschaftlichen Arbeitskreisen und in der Bezirksverwaltung thema­tisieren zu wollen.
Vielleicht wird dort auch darüber gesprochen, dass die im »Hoor-Al-Ayn« verkauften Verhüllungsstoffe durch die Bezeichnung des Ladens, »Islamische Boutique«, als per se islamisch dargestellt werden, obwohl es auch Strömungen gibt, die aus dem Koran keinen Verhüllungszwang ableiten. Ladenbesitzer al-Ghzawi gibt zu, dass es »Tausende« Auslegungen des Islam gebe.
Eine davon ist die alevitische. Auf Nachfrage der Jungle World distanziert sich Erdal Caglar, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Ale­vitischen Gemeinde Berlins, denn auch von der Boutique und der Vereinnahmung des Wortes »islamisch«: »Es obliegt den jeweiligen Gemeinden, wie sie den Islam auslegen. Sie müssen aber dabei darauf achten, was das dann für eine Auswirkung auf die Gesellschaft hat. Wir sehen die Frauen nicht unter dem Schleier, sondern gleichberechtigt.«