Ein Megawatt zum Mitnehmen, bitte

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Es gab einmal eine Zeit, in der es notwendig war, Privatisierung und Liberalisierung zu begründen. Zum Glück ist das so lange her, dass sich kaum noch jemand an diese Begründungen erinnert. Man sagte damals, der Wettbewerb werde die Preise senken und den Service verbessern. Den Verdacht, die Privatunternehmen würden niedrigere Löhne zahlen, um einen Wettbewerbsvorteil zu erringen, wies man empört zurück. Nun weisen 13 private Bahnunternehmen empört die Forderung der Gewerkschaft GDL zurück, den Lokführern die gleichen Gehälter wie die Deutsche Bahn zu zahlen. Sie meinen, die Übernahme der Tarife »aus der Zeit der Bundesbeamtenbahn« sei realitätsfern und gefährde die Erfolge des Wettbewerbs.
Die wohl bizarrsten Konsequenzen hatte die Liberalisierung auf dem Strommarkt. Vorher gab es acht überregionale Versorgungsunternehmen und eine Vielzahl von Stadtwerken. Derzeit gibt es vier marktbeherrschende Konzerne (Eon, RWE, Vattenfall, EnBW) und weit weniger Stadtwerke, der Strompreis stieg natürlich auch. Aber es gibt nun die Strombörse der European Energy Exchange AG in Leipzig. Am Dienstag hätten Sie dort eine Megawattstunde für 54,85 Euro erstehen können. Privathaushalte zahlen etwa 25 Eurocent pro Kilowattstunde, also knapp das Fünffache des Börsenpreises, an dem ja auch schon jemand verdient. Sie hätten also nett zu Ihren Freunden sein und ihnen die Kilowattstunde zum Schnäppchenpreis von zehn Eurocent verkaufen können, und es wäre immer noch ein ansehnlicher Profit von knapp 100 Prozent geblieben. Nur leider kann man so eine Megawattstunde nicht im Rucksack mit nach Hause nehmen. Gut läuft das Geschäft hingegen, wenn man über das Hochspannungsnetz gebietet. Wenn eine Regierung sich dann erdreisten sollte, einem das Atomkraftwerk abzustellen, kauft man billigen Atomstrom in Frankreich, obwohl auch von deutschen Produzenten genug geliefert werden könnte, und erzählt dann etwas von einem drohenden Blackout. Weil im kapitalistischen Angebot aber für jeden Geschmack etwas dabei ist, kann man den Kunden auch Ökostrom verkaufen. Diesen Strom erkennt man nicht auf den ersten Blick, es gibt jedoch eine Reihe von Zertifikaten, die eine korrekte Herkunft bescheinigen. Man kann also eine Kapitalfraktion stärken in der Hoffnung, damit eine andere zu schwächen. Man könnte es sich natürlich einfach machen und die Energiekonzerne vergesellschaften oder wenigstens verstaatlichen. Aber wo bliebe dann der Spaß? Seit der Einführung der Mülltrennung ist Umweltschutz ein Gesellschaftsspiel, bei dem die Deutschen ihrem liebsten Hobby, der moralisierende Zurechtweisung anderer, ungehemmt frönen dürfen. Bei der Debatte über Ökostrom ergibt sich dafür eine neue Gelegenheit.