Über die Komödie »Der Name der Leute«

Umerziehungslager Bett

Die Probleme der zweiten Generation: Die französische Komödie »Der Name der Leute« verhandelt die Themen Holocaust und Kolonialismus als Familiengeschichte.

Filme nach dem Muster »Mann und Frau treffen irgendwo zufällig aufeinander, sind total unterschiedlich und finden nach einigen turbulenten Ereignissen doch zueinander« sind in den meisten Fällen einigermaßen unerträglich bzw. nur dann einen Kinobesuch wert, wenn man ein Date hat und es ohnehin egal ist, was auf der Leinwand läuft.
Die französische Komödie »Der Name der Leute« bedient sich – jedenfalls vordergründig betrachtet – ebenfalls der x-fach erzählten »Gegensätze ziehen sich an«-Story. Hier ist die junge Bahia Benmahmoud (Sara Forestier), eine energiegeladene und chaotische Weltverbessererin, die mit politisch rechts stehenden Männern schläft, um sie zu bekehren. Und da ist der etwas ältere Arthur Martin (Jacques Gamblin), ein farb- und humorloser Angestellter des Französischen Amtes für Tierseuchen. Als er in einem Radio-Interview vor der Vogelgrippe warnt, stürmt Bahia wütend in das Studio, wirft ihm live auf Sendung Panikmache vor und behauptet, seine Paranoia führe direkt in den Faschismus – erst die Enten, dann die Migranten! Klarer Fall: Der Mann muss in ihrem Bett umerzogen werden. Aber Arthur lehnt ihr Angebot ab und entpuppt sich auch noch als Anhänger des Sozialisten Lionel Jospin (was im Film ein Beleg dafür sein soll, dass er ein Linker ist).
Ein paar Schwindel erregende Wendungen später sind die beiden ein Paar, und der Zuschauer erfährt durch einen Blick auf ihre Familien- und Lebensgeschichten, welche Traumata sie mit sich herumschleppen. Arthurs jüdische Groß­eltern wurden in Auschwitz umgebracht, seine Mutter überlebte im Versteck unter falschem Namen. Erleichtert nimmt sie bei ihrer Hochzeit den Allerwelts-Nachnamen ihres Mannes an, die Themen Shoah und Judentum sind im Hause Martin tabuisiert. Jeder Versuch Arthurs, seiner Mutter etwas über ihre Familie zu entlocken, scheitert grandios. Weil ihm gar nichts anderes übrig bleibt, schweigt auch er – und wird sich erst dank Bahia mit der Geschichte seiner Familie und seiner eigenen auseinandersetzen.
Bahia ist die Tochter einer französischen Achtundsechzigerin und eines algerischen Einwanderers, der als Siebenjähriger in seinem Heimatdorf mitansehen musste, wie mehrere Mitglieder seiner Familie von der französischen Armee erschossen wurden. Trotzdem hegt er keinen Groll auf die Franzosen – ganz im Gegensatz zu Bahias Mutter. Sie hasst alles, was sie für typisch französisch hält – und trägt ihren algerischen Nachnamen als Beweis ihrer Fundamentalopposition. Bahia ist stolz auf ihre Herkunft, leidet aber darunter, dass sie überhaupt nicht algerisch aussieht und ihr Vorname meist für brasilianisch gehalten wird. Ein bisschen Unterdrückungserfahrung dann und wann käme ihr wohl ganz gelegen. Ähnlich wie bei Arthur gibt es auch in ihrer diskussionsfreudigen Familie ein Tabuthema: Bahia wurde als Mädchen von ihrem Klavierlehrer sexuell missbraucht. Sie ist der Meinung, dass ihre sexuelle Freizügigkeit eine Folge davon ist.
Das alles ist nicht gerade typischer Komödienstoff, und tatsächlich verfügt »Der Name der Leute« über eine bittere Note und ist in manchen Szenen bewegend und traurig. Dass es dem Film trotzdem gelingt, vor seinem ernsten Hintergrund eine überwiegend lässig-luftige Geschichte mit vielen wirklich komischen Szenen zu erzählen, ist Regisseur und Autor Michel Leclerc sowie der Mitautorin Baya Kasmi hoch anzurechnen. Sie missbrauchen Themen wie Rassismus, Kolonialismus und die Shoah dankenswerterweise nicht, um eine möglichst hohe Fallhöhe für die Komik zu schaffen und dann ein paar billige, geschmacklose Gags zu landen. Stattdessen gehen sie mit den Themen ihres Films respektvoll und einfühlsam um, aber zum Glück auch nicht übervorsichtig und pädagogisch. Ein gutes Beispiel dafür ist eine Szene, in der Arthur seinen Eltern Bahia bei einem Abendessen vorstellt. Bahia wird vorab von Arthur instruiert, alle Themen zu umgehen, die irgendwie an die Shoah erinnern können – dazu gehören auch Harmlosigkeiten wie die Staus in Paris. Wie Bahia dann in jedes Fettnäpfchen tritt, ist so lange überwältigend komisch, bis sie bei der Verabschiedung bewusst das große Tabu bricht und ihre Schwiegermutter in spe auf deren ermordete Eltern anspricht. Zu lachen gibt es da nichts mehr. Ein paar Tage später ist Arthurs Mutter tot.
Die Suche nach einer eigenen Identität ist ein wichtiges Thema des Films. »In einem Land, in dem sich Menschen verschiedener Herkunft vermischen, ist es an jedem selbst, seine Identität zu definieren«, sagt Michel Leclerc über den Ausgangspunkt des Films, und Baya Kasmi ergänzt: »Trotzdem wollen wir den Widerspruch akzeptieren, dass wir es einerseits ablehnen, mit einer bestimmten Verhaltensweise, entsprechend unserer Herkunft, identifiziert zu werden, und uns andererseits wünschen, unsere Wurzeln und die Geschichte unserer Familie nicht zu vergessen. Nur, weil man sich untereinander mischt, heißt das noch lange nicht, dass man verschwindet – im Gegenteil. Für uns ist die zentrale Idee, die wir in dem Film vermitteln möchten, dass die ›Bastarde‹ die Zukunft der Menschheit sind.« Für diese Idee wird in jedem Moment des Films geworben. Es ließe sich einwenden, dass nicht nur die Familie ein Ort der Identitätsbildung ist, andererseits sollte man Filme aber auch nicht überfrachten.
Als künstlerisches Vorbild nennt Regisseur Leclerc Woody Allen, und das merkt man dem Film auch an – etwa wenn zur Visualisierung innerer Dialoge der jugendliche Arthur auftaucht und den erwachsenen Arthur in Diskussionen über dessen verpfuschtes Liebesleben verstrickt. Nur eine von vielen schönen Ideen und charmanten Verbeugungen vor Allen.
Nicht unterschlagen werden soll an dieser Stelle, dass die überzeichnete Figur der Bahia von der begabten und für diese Rolle mit einem César dekorierten Sara Forestier zwar die meiste Zeit über hinreißend gespielt wird, aber manchmal ganz schön nervt und in einigen schaurigen Momenten an die unverständlicherweise überall so hoch gelobte Figur der Poppy aus Mike Leighs Komödie »Happy-Go-Lucky« erinnert. Immer engagiert, immer gut drauf, immer korrekt, immer am Plappern – das hält ja kein Mensch aus! Und als linke Ikone eignet sie sich leider auch nicht so richtig, dafür ist ihr Weltbild ein bisschen zu simpel. Wirklich alles, was ihr nicht gefällt, ist irgendwie fascho. Sogar diese bekloppten Motorräder mit vier Rädern hält sie für faschistisch. »Sie vereinfacht Dinge aus der Not heraus«, erklärt Kasmi. »Die Welt ist so komplex, dass man eine klare Herangehensweise braucht, wenn man sich engagieren will. Sie folgt dieser einfachen Denkweise, um die Energie für ihr Handeln nicht zu verlieren.« Diese Autoren-Entscheidung führt zu einigen quälenden Momenten, sollte aber niemanden vom Kinobesuch abhalten – denn trotz ein paar Schwächen ist »Der Name der Leute« nämlich überhaupt nicht fascho.

»Der Name der Leute« (F 2010). Regie: Michel Leclerc, Buch: Baya Kasmi. Start: 14. April