Der Streit um ein Denkmal für die Versöhnung zwischen Türken und Armeniern

Die Kunst der Leugnung

Erst verkündete der türkische Ministerpräsident Recep Erdogan, das Denkmal sei ein »Monstrum«, dann verfügte die Regierung
den Abriss der Skulptur, die zur Versöhnung von Türken und Armeniern aufruft.

Blockweise werden die beiden 24 Meter hohen Statuen mit Steinsägen zerlegt und mit einem Kran abgetragen, zunächst die mächtigen Köpfe der Figuren, die einander gegenüberstehen und die man auch auch als eine einzige Figur sehen kann. Schon bald wird das der Versöhnung zwischen Türken und Armeniern gewidmete »Denkmal der Humanität« von der Anhöhe in Sichtweite der armenischen Grenze nahe der Stadt Kars verschwunden sein. Die Trümmer werden in ein Depot verbracht, man will sich schließlich nicht nachsagen lassen, man vernichte ein Kunstwerk, wie es die Taliban mit der Sprengung der Buddha-Statuen taten.
Das Monument war ohnehin nie fertiggestellt worden. Die tonnenschwere Hand einer der beiden Figuren, die sich in einer Geste der Handreichung gegenüberstanden, war niemals angebracht worden und hatte stets am Fuße der Statue am Boden gelegen. Das Unfertige passte zu dem Denkmal, doch leider passt der Abriss des unvollendeten Bauwerks noch besser.
Es sind ganz unterschiedliche Gründe, die zu der Entscheidung geführt haben, das Denkmal abzureißen. Da ist zum einen die offizielle türkische Geschichtsschreibung, die den Völkermord an den Armeniern nicht anerkennen will. Es gibt jedoch auch parteipolitische Gründe, die zum Abbau der Skulptur beigetragen haben.
Den Auftrag für das Kunstwerk hatte im Jahr 2006 der damalige Bürgermeister von Kars, Naif Alibeyoglu, dem renommierten Bildhauer Mehmet Aksoy erteilt. Doch später trat Alibeyoglu aus Erdogans AKP oder, wie Erdogan sie selbst nennt, Ak-Partei (weiße Partei) aus und schloss sich der oppositionellen CHP an. Das Denkmal des nun bei der AKP verfemten Mannes stand aber immer noch weithin sichtbar auf einem Hügel bei Kars. Als Erdogan das Denkmal bei einem Besuch in Kars im Januar als »Monstrum« bezeichnete, hat der Ministerpräsident, der seine Partei nach Gutsherrenart führt, sicher auch an Naif Alibeyoglu gedacht.
Sicher, es gab auch eine Entscheidung der Denkmalschutzbehörden, die erst für, dann gegen das Denkmal votierten, aber das erklärt nicht Erdogans Ingrimm.
Ein weiterer Grund für den Abriss ist das Verhältnis, das der Staat zu den Künsten, dem Glauben und der Kultur unterhält. Erdogan beschwerte sich in Kars, dass man neben dem Grabmal eines islamischen Heiligen »eine Scheußlichkeit, etwas Fremdes« errichtet habe. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu erklärte, das Denkmal passe nicht zu der vom islamischen Stil geprägten Architektur von Kars. Eine von Staat und Religion unabhängige Kunst ist Konservativen wie Erdogan und Davutoglu ebenso fremd geblieben wie den Initiatoren des Schweizer Minarettverbotes das Gebot der Toleranz. Islamische Konservative wie Erdogan sehen sehr wohl, dass die Kunst mit ihren eigenen Werten nichts zu tun hat. Sie schätzen sie nicht und verstehen sie mitunter auch nicht.
Eine generelle Ablehnung von moderner Kunst wurde zwar nie von Erdogan formuliert, aber diese Haltung lässt sich unschwer ablesen.
Bezeichnenderweise wurde, kurz nachdem Erdogans AKP an die Macht gekommen war, das Kulturministerium in »Ministerium für Kultur und Tourismus« umbenannt. Anfang April besuchte Erdogans Tochter Sümeyye in Ankara ein Theater. Ein Schauspieler, der einen ungehobelten Janitscharen, also einen Leibwächter des Sultans im Osmanischen Reich, spielte, bezog die prominente Zuschauerin in die Inszenierung ein, indem er sie wegen Kaugummikauens ermahnte. Doch die junge Frau missverstand das Spiel und war der Überzeugung, dass sie wegen ihres Kopftuches kritisiert worden war. Sie verließ das Theater, gefolgt von einer Gruppe von 150 Polizeischülern. Der Rest des Publikums blieb und applaudierte wie jeden Abend. Das Stück richtet sich gegen das Militär, am Ende wird der Janitschar von dem jungen und ein wenig auf Erdogan anspielenden Sultan in die Kaserne geschickt.
Dass Sümeyye Erdogan die Situation falsch interpretiert hat, ist eine Sache, eine andere ist die Reaktion des Ministers für Kultur und Tourismus, Ertugrul Günay. Günay stellte den Künstler persönlich zur Rede und erklärte später, diese Form des Theaters sei eine »Missachtung der Zuschauer«. »Wenn sie die Zuschauer ins Spiel ziehen, dann gibt es eben ein Problem beim Verständnis der Kunst.« Anschließend überlegte er laut, ob es nicht besser sei, das Geld für die staatlichen Theater an private zu geben.
Kunst hat nur als Wirtschaftsfaktor, als Konsumgut, als schöner Schein und religiöse Zierde eine Existenzberechtigung, sie darf keine Freiheit beanspruchen und hat damit auch keinen eigenen Wert. Kunst darf nicht stören oder verstören, und an neuen Sichtweisen gibt es keinen Bedarf. Kein Wunder, dass beim Großprojekt Europäische Kulturhauptstadt Istanbul 2010 am Ende vor allem Folklore übrig blieb, nicht weil es in Istanbul nichts Interessanteres gegeben hätte, sondern weil daran kein Interesse bestand.
Der damalige Bürgermeister, Naif Alibeyoglu, hatte das »Denkmal der Humanität«, das man von Armenien aus sehen kann, als ein Gegengewicht zum Mahnmal zum Gedenken an den Völkermord an den Armeniern in Eriwan verstanden. Dem Hass wollte er die Humanität, die Versöhnung und die Freundschaft zwischen Türken und Armeniern entgegenstellen. Eine solche Haltung kann man nur verstehen, wenn man – wie es in türkischen Grundschulen geschieht – gelernt hat, dass nicht der osmanische Staat die armenische Minderheit, sondern Banden ihre muslimischen Mitbürger ermordet haben. Armenische Soldaten in russischen Diensten haben in der Spätphase des Ersten Weltkriegs auch tatsächlich Racheakte begangen, an die z. B. in lokalen Aufführungen noch regelmäßig gedacht wird, das relativiert die Ermordung von 1,5 Millionen Armeniern jedoch keineswegs.
Auch wenn der Ansatz des Denkmals ein fragwürdiger war, so konnte es doch daran erinnern, dass auch in Kars einst Armenier gelebt haben. Selbst wenn man den Völkermord zu leugnen versucht, so muss man doch zugeben, dass einmal zwei Millionen Armenier in Anatolien gelebt haben. Davon zeugen auch armenische Kirchen. Eine davon wurde kürzlich auf einer Insel im Van-See restauriert. Doch eine Kirche ist nicht das gleiche wie ein Monument, das, wenn auch indirekt, auf das historische Ereignis der Ermordung der Armenier verweist.
Das Denkmal passt nicht in die offizielle türkische Geschichtsschreibung. Der Abriss ist deshalb eine Konsequenz der fortgesetzten Leugnung und damit zugleich unfreiwillig ehrlich.