Der Türaufhalter

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»Gehen Sie in den Hinterhof«, sagt die Stimme in meinem Kopfhörer. Ich befolge die Anweisung, betrete einen Hinterhof in Berlin-Mitte in der Hannoverschen Straße. Altbaufassade, Fahrradständer, Müllcontainer. Eine andere Stimme erzählt jetzt davon, wie das damals war, als die Spitzel der Stasi hier saßen und das Haus gegenüber beobachteten, in dem die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland ihren Sitz hatte. Schmole heißt der Zeitzeuge, der hier spricht und von der bedrohlichen Situation erzählt. »Operative Überwachung« hieß das, was die Stasi hier gemacht hat. Schmole erzählt, wie alltäglich das alles irgendwann war, wie er sich arrangiert hat, wie die Spitzel am Eingang den Kindern aus dem Haus die Tür aufgemacht haben, weil sie dort jeden Tag herumstanden.
Mittlerweile bin ich schon fast zwei Stunden unterwegs. Startpunkt der Tour war ein leer stehendes Ladenlokal unterm Fernsehturm, die »Zentrale«. Dort wurde mir von Mitarbeitern der Theatergruppe Rimini-Protokoll ein Smartphone ausgehändigt, das nur mit einer einzigen Application bespielt ist: »50 Aktenkilometer« ist ein »begehbares Hörspiel«, eine Stadtkarte auf dem Handy, ausgestattet mit GPS und lokalen »akustischen Blasen«. Begibt man sich in eine dieser 125 Blasen, hört man Tondokumente, die die Überwachung der Stasi in Berlin-Mitte dokumentieren. Das O-Ton-Archiv besteht aus Überwachungprotokollen, »Zeitzeugenberichte« und Originaldokumenten. Während ich die Überwachung der DDR nacherlebe, werde ich selbst überwacht: Mein Spaziergang wird in der »Zentrale« auf­gezeichnet. Aber auch ich überwache: Die anderen Spaziergänger kann ich als kleine Kopfhörer auf der Handy-Karte sehen. Immer wieder schaue ich mich um: Wer trägt auch einen Kopfhörer? Ab und zu erkennt man sich und nickt einander zu.
Das Projekt, das bis 13. Juni läuft, macht eine Stück Gegenwartsgeschichte lebendig. Wenn irgendjemand im Senat klug ist, wird das Ganze zu einer Dauereinrichtung gemacht.