Über die Neue Linke in China

Chinas Neue Linke

In China haben linke Ideen heute mehr Raum als in den achtziger und neunziger Jahren. Neulinke Intellektuelle können ihre Bücher veröffentlichen und ein breites urbanes Publikum erreichen, solange sie bestimmte Tabus – wie eine direkte Kritik der gegenwärtigen Führung – nicht brechen. felix wemheuer stellt einige Protagonisten dieser eigenartigen Neuen Linken vor

Was ist in China links? Mao Zedong ist tot und sein Projekt der permanenten Revolution gescheitert. Die derzeitigen Machthaber nennen sich noch kommunistisch, forcieren aber seit 1978 eine kapitalistische Transformation. Lange wurde die Reform- und Öffnungspolitik von chinesischen Intellektuellen nicht hinterfragt. Beklagt wurde höchstens, dass den wirtschaftlichen Reformen keine politischen folgten. Doch seit Mitte der neunziger Jahre ist eine Neue Linke entstanden, die gerade heute viele intellektuelle Debatten beeinflusst. Wer sind diese Neuen Linken? Können sie dazu beitragen, den wachsenden sozialen Protesten eine theoretische und programmatische Grundlage zu geben, oder sind sie nur ein Teil des Establishments, der der Regierung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gute Ratschläge erteilen will?

Anders als 1968
Die Bezeichnung »Neue Linke« (xin zuopai) heißt wörtlich übersetzt »Neue Linke Fraktion« und ist eine Fremdzuschreibung. Als Mitglied einer Fraktion bezeichnet zu werden, kann in China immer noch gefährlich sein. Daher lehnen viele führende Köpfe der sogenannten Neue Linken den Begriff ab. Ökonomieprofessor Yang Fan meint dazu: »Im Internet setzen sie mir immer den Hut der Neuen Linken auf. Sie reden über die ›linke Fraktion‹, aber nie über eine neue Rechte. Solange sich die Rechten nicht als solche bezeichnen lassen, lehne ich auch den Begriff der Neuen Linken ab.« Auch Wang Hui, der als Chef-Theoretiker der Neuen Linken gehandelt wird, spricht sich gegen den Begriff aus. Für ihn ist die Neue Linke aus dem Liberalismus der achtziger Jahre entstanden. Viele Intellektuellen, die zuvor Marktwirtschaft und bürgerliche Demokratie idealisierten, hätten erkannt, dass Privatisierungen die Korruption immens förderten und dass nach der skrupellosen Bereicherung durch die Kader und neuen Kapitalisten wenig für die breite Bevölkerung abfiel.
Unbestritten ist jedoch, dass es unter den Intellektuellen eine Strömung gibt, die sich von der alten maoistischen Linken, die sich um Websites wie »Utopia« gruppiert, unterscheidet. Die Neuen Linken sind in der Regel zwischen 40 und 60 Jahre alte Männern, arbeiten an Universitäten und haben zumeist länger im US-amerikanischen Ausland studiert. Anstelle des orthodoxen Marxismus-Leninismus beziehen sie sich auf westliche Theorien wie die Frankfurter Schule, postkoloniale Kritik oder wirtschaftswissenschaftliche Regulationsansätze. Sie fordern nicht die Wiedereinführung einer Planwirtschaft und die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln, sondern stellen bei ihrer Kritik am chinesischen »Neoliberalismus« und dem globalen Kapitalismus das Konzept der »sozialen Gerechtigkeit« in den Vordergrund. Ein starker Staat solle die Märkte im Zaum halten. Ihnen geht es in der Regel nicht darum, die sogenannte Kulturrevolution (1966–1976) hochzuhalten, sondern die revolutionäre Vergangenheit überhaupt als einen möglichen positiven Bezugspunkt zu erhalten. Populär ist in China nämlich auch die These vom »Abschied der Revolution«, die besagt, dass seit dem Sturz der Qing-Dynastie 1911 der revolutionäre Radikalismus nur zu Blutvergießen und autoritärer Herrschaft geführt habe. Anknüpfend an den französischen Historiker François Furet wird behauptet, dass sowohl die französische als auch die chinesische Revolution eine moderate Modernisierung des alten Regimes unterbrochen und damit mehr Schaden angerichtet als Nutzen gebracht hätten. Gegenüber diesem Diskurs müssen sich linke Intellektuelle erst einmal behaupten.
Es gibt auch eine populistische Strömung innerhalb der Neuen Linken, die hauptsächlich im Internet agiert. Dieser Artikel konzentriert sich jedoch auf Wissenschaftler, die zur intellektuellen Elite des Landes gehören. Einige ihrer wichtigsten Vertreter wie Wang Hui, Wang Shaoguang, Cui Zhiyuan und Wen Tiejun werden vorgestellt. Viele Bücher und Artikel der Neuen Linken wurden in den USA veröffentlicht und ihre Debatten in Zeitschriften wie der britischen New Left Review dokumentiert. Gemeinsame Organisationen gibt es nicht, da die KPCh und ihre Massenorganisation einen Alleinvertretungsanspruch erheben. Die chinesische Neue Linke hat mit der westlichen, die sich im Zuge der globalen Revolte von 1968 etablierte, nicht viel gemein. In Ländern wie Frankreich und Italien entstand die Neue Linke aus der Bewegung von Jugendlichen und Studenten, die auch gegen die traditionellen Kommunistischen und Sozialdemokratischen Parteien revoltierten. 1968 ging es nicht zuletzt um die Veränderung des eigenen Lebens (antiautoritäre Revolte, Subkultur, sexuelle Revolution usw.), während der Neuen Linken in China bisher ein Bezug zu gesellschaftlichen Bewegungen fehlt und sie versucht, die Regierungspolitik der KPCh sowie intellektuelle Debatten zu beeinflussen.

»Links« als Schimpfwort
Nach dem Ende der Mao-Ära war der Begriff »links« unter chinesischen Intellektuellen lange ein Schimpfwort. Intellektuelle waren die Haupt­opfer der Anti-Rechts-Kampagne von 1957, in der viele der 550 000 »Rechtsabweichler« für 20 Jahre auf das Land geschickt wurden. Insbesondere in den radikalen Phasen (»Großer Sprung nach vorne« 1958–1960 und Kulturrevolution) stellte die KPCh die Trennung zwischen Hand- und Kopfarbeit in Frage. Die Umerziehung der »bürgerlichen Intellektuellen« durch Teilnahme an körperlicher Arbeit und Lernen von den Bauern war ein Lieblingsprojekt der Parteilinken. In der Kulturrevolution wurden außerdem akademischer Habitus and abstraktes Bücherwissen radikal entwertet. Die Regierung schloss die Universitäten nach 1966 erst für einige Jahre und öffnete sie dann für »Arbeiter-, Bauern- und Soldatenstudenten«. Es ist nicht verwunderlich, dass die überwältigende Mehrheit der Akademiker und Intellektuellen begeistert die Reformpolitik Deng Xiaopings unterstützte, der sie rehabilitierte und die »natürliche« gesellschaftliche Arbeitsteilung sowie das elitäre Selektionssystem der Hochschulen wiederherstellte.
Als intellektuelle Strömungen neben der Parteiideologie konkurrierten in den achtziger Jahren im wesentlichen Liberalismus und Neo-Autoritarismus. Die Liberalen forderten im Namen einer neuen Aufklärung politische Reformen. Die Neo-Autoritaristen orientierten sich an Singapur als Entwicklungsmodell und begannen, die Herrschaft der Partei mit konfuzianischen Traditionen zu rechtfertigen. Für linke Diskurse gab es keine Lücke.
Der Begriff »links« ist bis heute auch in der offiziellen Parteisprache negativ belegt, da er dort eine linke Abweichung von der korrekten Linie der KPCh bezeichnet. Diese Verwendung geht auf Lenins berühmt-berüchtigte Schrift »Der ›Linke Radikalismus‹: Die Kinderkrankheit im Kommunismus« von 1920 zurück. Damals geißelte Lenin die deutschen Linkskommunisten, die eine Beteiligung an Parlamentswahlen prinzipiell ablehnten. Bis zu Maos Tod 1976 ging die KPCh immer wieder gegen »Rechts- und Linksabweichler« vor, allerdings wurden die Rechten als größere Gefahr angesehen, da sie das System des Sozialismus in Frage stellen würden und nicht nur übereifrige Radikale seien. Seit dem Sieg der Reformer, von denen viele, wie Deng Xiaoping, selbst als »Rechte« verfolgt worden waren, richtete sich die Kritik in erster Linie gegen die »Linksabweichler«. Anfang der achtziger Jahre wurde der kulturrevolutionären Linken, der sogenannten Viererbande, der (Schau)Prozess gemacht. In mehreren »Säuberungswellen« wurden Kader, die sich gegen die Abkehr vom Maoismus wandten, aus der Partei ausgeschlossen. Der Begriff »Rechtsabweichler« verschwand hingegen aus dem Vokabular. Stattdessen begann die Parteikampagne gegen »geistige Verschmutzung« und »westliche Liberalisierung«.
Gemäß Dengs Ausspruch »Erst werden die einen reich, dann die anderen« wurde die Vergrößerung der sozialen Unterschiede innerhalb der Stadt, aber auch zwischen urbaner und ländlicher Gesellschaft sowie zwischen den boomenden Küstenregionen und dem Hinterland im Westen in Kauf genommen, ja sogar als Grundlage eines produktiven Wettbewerbs gesehen. Fast 20 Jahre wirkte das Totschlagargument, dass, wer die neuen sozialen Ungleichheiten kritisiere, die ineffektive Gleichmacherei der Kulturrevolution wiedereinführen wolle und den Wirtschaftsauschwung gefährde. Wer die Mobilisierung von Arbeitern und Bauern gegen korrupte Kader fordere, rede den Terror der Roten Garden wieder herbei.
Mitte der neunziger Jahre wandelte sich jedoch Chinas intellektuelle Landschaft. Die katastrophalen Folgen der »Schocktherapie« der marktradikalen Wirtschaftsreformen im Russland der frühen neunziger Jahre und die Asien-Krise von 1997 trugen zum Aufstieg der Neuen Linken bei. Spätestens ab 2004 begann auch die Parteiführung um Hu Jintao und Wen Jiabao die Entwicklung seit den neunziger Jahren kritischer zu bewerten. Der Glaube an den Staat als Regulator der Wirtschaft wurde durch die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise noch verstärkt. Vor diesem Hintergrund haben linke Ideen heute mehr Raum als in den achtziger und neunziger Jahren. Neulinke Intellektuelle können ihre Bücher veröffentlichen und ein breites urbanes Publikum erreichen, solange sie bestimmte Tabus wie das der direkten Kritik an der gegenwärtigen Führung nicht brechen. Einige Dissidenten werfen ihnen deshalb vor, regierungstreu zu sein und vom angeblich wichtigsten Thema, den politischen Reformen, abzulenken. Dieser Vorwurf wird allerdings der inhaltlichen Vielfalt der Neuen Linken nicht gerecht.

Entpolitisierung durch Neoliberalismus
Als berühmtester Vertreter der Neuen Linken gilt Wang Hui (Jahrgang 1959). Er ist Professor für chinesische Sprache und Literatur an der Elite-Universität Tsinghua und auch auf dem internationalen akademischen Parkett ein Star. Brillant kombiniert er postmodernes Vokabular der westlichen Diskurse mit chinesischen Debatten. Die Leser des US-Magazins Foreign Policy platzierten ihn sogar auf Platz 54 unter den 100 einflussreichsten Intellektuellen der Welt. Von 1996 bis 2007 war Wang einer der Herausgeber der Monatszeitschrift Dushu (»Lesen«), die in ihrer Hochphase eine Auflage von über 100 000 Exemplaren erreichte und in diesem Zeitraum als Plattform der Neuen Linken galt. Chinesische Intellektuelle debattierten in Lesen über die negativen Folgen des chinesischen Wirtschaftswunders und der Globalisierung, aber auch internationale Größen wie Noam Chomsky, Jacques Derrida, Jürgen Habermas und Antonio Negri meldeten sich mit Beiträgen zu Wort. Nach der Absetzung von Wang hat Lesen heute seine klare politische Ausrichtung verloren.
In seinen Büchern argumentiert Wang auf einem anspruchsvollen theoretischen Niveau. Ein politisches Programm wird selten explizit formuliert. In einem viel diskutierten Artikel beklagt Wang jedoch die »Entpolitisierung der Politik von Ost nach West« (2006). Nach dem Scheitern der Kulturrevolution und der Befreiungsbewegungen der sogenannten Dritten Welt habe der Sieg des Neoliberalismus zu einer Entpolitisierung und Technokratisierung der Politik und vor allem der KPCh geführt. Auch in den westlichen Demokratien ginge es nach der Entpolitisierung in erster Linie nur noch um Repräsentation statt um die Partizipation der Bevölkerung. Da die Kapitalisierung der Gesellschaft und auch die Öffnung Chinas als »natürliche Entwicklung« des Marktes wahrgenommen würden, gebe es keinen öffentlichen Raum für kritische Debatten. Auseinandersetzungen zwischen Arbeit und Kapital sowie rechts und links seien dadurch scheinbar verschwunden. Die entpolitisierte KPCh werde zur Partei der Eliten und Besitzenden. Zur Begründung seiner Thesen verwendet er das ganze theoretische Instrumentarium von Antonio Gramsci, ­Louis Althusser und sogar Carl Schmitt. Wang geht es nicht um eine generelle Verteidigung der maoistischen Vergangenheit. Er meint, dass die Entpolitisierung bereits begonnen habe, als die vielseitige Kultur der Debatten, Wandzeitungen und Selbstorganisation der frühen Kulturrevolution 1967/68 in blutigen Fraktions- und Machtkämpfen endete. Die Ideale der chinesischen Revolution von sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit sollen als positiver Bezugspunkt dennoch erhalten bleiben, um gegenüber der neoliberalen Gegenwart kritikfähig zu sein.
Zurück zur Planwirtschaft will Wang allerdings nicht. In seinem Buch »Chinas neue Ordnung« (2006) bewertet er die Wirtschaftsreformen der achtziger Jahre sehr positiv. Von der Auflösung der Volkskommunen profitierten vor allem die Bauern und die kollektive Gemeindeindustrie. Für Wang begann die Fehlentwicklung 1985, als die Wirtschaftsreformen auf die urbane Gesellschaft ausgedehnt wurden. Die beginnende Privatisierung hätte zur Korruption und Bereicherung der Kader geführt, da jede Kontrolle von unten fehlte. Als Folge der wachsenden Unzufriedenheit der Stadtbevölkerung habe die Bewegung vom Platz des Himmlischen Friedens von 1989 deshalb mehr Demokratie gefordert und die neuen sozialen Ungleichheiten thematisiert. Die Bewegung sei auch deshalb gescheitert, weil Studenten und Intellektuelle nicht in der Lage gewesen seien, soziale Gerechtigkeit in ihre Forderungen aufzunehmen. Wang selbst wurde wegen der Teilnahme an den Protesten für ein Jahr in die arme Provinz Shaanxi zur »Umerziehung« verbannt. Erst die Niederschlagung dieser Bewegung habe den Weg für die weitreichende Privatisierung von Staatsbetrieben in den neunziger Jahren freigemacht. Heute sieht Wang die Proteste von 1989 als Vorboten der globalisierungskritischen Bewegung, die sich nach den Protesten in Seattle 1999 entwickelte. Eine besondere Rolle spielen für ihn die Arbeiter. 2005 schrieb er auf Grundlage eigener Feldforschung einen Untersuchungsbericht über die Privatsierung eines gut laufenden kollektiven Textilkombinats in der Provinz Jiangsu. Er unterstrich vor allem die Rolle der lokalen Regierung bei der gewaltsamen Enteignung der Arbeiter und der Übergabe des gesellschaftlichen Reichtums an private Kapitalisten. Demokratie in China müsse mit Kämpfen von Arbeitern für ihr eigenes Schicksal beginnen.
Die Grenzen der politischen Debatten in China zeigen sich in Wangs vierbändigem Hauptwerk »Der Aufstieg der modernen Ideen in China« (2004). Er versucht darin, eine Ideengeschichte von der Song-Dynastie (960–1279) bis 1949 zu rekonstruieren, in der er nach einer Kritik an der westlichen Moderne bzw. nach einer chinesischen Gegenmoderne sucht. Binäre Gegensätze wie Imperium / Nation, Kultur / Natur oder Staat / Gesellschaft sollen aufgelöst werden. Bezüge auf gesellschaftliche Verhältnisse werden kaum hergestellt. Das mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass Wang dieses Projekt nach der Niederschlagung der Bewegung von 1989 begann.

Gerechtigkeit durch starken Staat
Allen Neuen Linken in China ist gemeinsam, dass sie für einen handlungsfähigen Staat eintreten, um wieder mehr Verteilungsgerechtigkeit zu ermöglichen. So auch Wang Shaoguang (Jahrgang 1954). Er promovierte an der Cornell-Universität und unterrichtete in Yale. Heute ist er Professor für »Regierung und öffentliche Verwaltung« an der Chinesischen Universität in Hongkong. Schon während seiner Studienzeit in der Volksrepublik gehörte er zu den Elitestudenten. An der Peking-Universität war Li Keqiang sein Klassenkamerad, der heute als Nachfolger von Wen Jiabao gehandelt wird. 1993 erregte Wang zum ersten Mal Aufmerksamkeit in Regierungskreisen, als er in einer Studie vor der nachlassenden Handlungsfähigkeit des chinesischen Staats warnte. Wang definiert als die Grundlagen eines effektiven Staats, das Gewaltmonopol durchzusetzen, die Landesverteidigung zu stärken, Steuern einzuziehen, Ressourcen zu verteilen, die eigenen Institutionen hinsichtlich von Machtmissbrauch zu disziplinieren sowie die Wirtschaft zu regulieren. So beklagte er immer wieder die abnehmende Staatsquote und schwindende Steuereinnahmen der Zentralregierung, sinkende Verteidigungsausgaben sowie die geringen Investitionen in Bildung und Gesundheit und in die weniger entwickelten Gebiete.
Mit seinen Thesen hat sich Wang bei liberalen Ökonomen äußerst unbeliebt gemacht. Die chinesische Regierung scheint hingegen zumindest nach 2004 den Ruf nach der Stärkung der Staatskapazität ernst genommen zu haben und hat Maßnahmen zur einer stärken Zentralisierung des Steuersystems eingeleitet. Wang beruft sich auf die Theorie von Karl Polanyi, der in seinem berühmten Buch »Die große Transformation« (1944) argumentierte, dass es immer Märkte gegeben habe, die vor dem 19.Jahrhunderts allerdings immer in die Gesellschaft eingebunden gewesen seien. Erst im Kapitalismus ordne sich die Gesellschaft dem Markt unter. Da Boden und menschliche Arbeitskraft nicht vollständig kommodifiziert werden könnten, führe die Dynamik des Marktes zum Verfall der Gesellschaft. Der Staat müsse deshalb durch eine Gegenbewegung den Markt wieder der Gesellschaft unterordnen. Wang fordert vor diesem Hintergrund nicht die Abschaffung der Marktwirtschaft, sondern eine handlungsfähige chinesische Regierung. So ist es nicht verwunderlich, dass Wang die Sozialprogramme der Regierung unter Hu Jintao als entscheidenden Wendepunkt und »große Transformation« begrüßt hat. Der Ausbau der Sozial-, Kranken- und Rentenversicherungen hätte in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. Durch Finanztransfers in die ärmeren Regionen habe sich das regionale Gefälle zumindest nicht weiter vergrößert.
Wang warnt sogar davor, dass ohne einen starken Staat bei einer Transformation zur Demokratie Konflikte zwischen Ethnien oder Klassen eskalieren könnten. In mehreren Büchern hat er klar gemacht, dass bei einer Demokratisierung keinesfalls die USA als Vorbild dienen könnten. Trotz Wahlen sei im System der USA der Einfluss der Bevölkerung auf die Politik gering und der Wahlkampf von Lobbyinteressen bestimmt. Wang plädiert stattdessen für eine intensivere Einbeziehung der Bürger und Experten in Beratungen zu Gesetzen über Versammlungen und Internet, wie es die chinesische Regierung im Falle der Gesundheitsreform bereits erprobt hat. Nach dem Schwenk der KPCh von 2004 scheint Wang kein kritisches Potential mehr zu haben und die Regierungspolitik nur mehr theoretisch anspruchsvoller als die Partei zu rechtfertigen. Durch seine tiefgehende Kenntnis der westlichen Debatten und der akademischen Karriere im Ausland kann er mit seiner Kritik an den USA ein breiteres Publikum erreichen als die Professoren der verknöcherten Institute für Marxismus-Leninismus.

Kleinbürgerlicher Sozialismus
Eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Neuen Linken ist Cui Zhiyuan (Jahrgang 1963), Professor für Politik und Management an der Tsinghua-Universität. Studiert und promoviert hat er an der Universität von Chicago. Für Aufsehen sorgte sein »Kleinbürgerliches Manifest: Liberaler Sozialismus und die Zukunft Chinas«. Im kleinbürgerlichen Sozialismus sieht Cui eine Alternative zu Marxismus, Sozialdemokratie und Neoliberalismus. Er knüpft kreativ an Theorien von Pierre-Joseph Proudhon, John Stuart Mill, James Joyce oder Silvio Gesell an. In der gegenwärtigen Agrarordnung, in der die Bauern das Nutzungsrecht von der Dorfregierung zugeteilt bekommen, sieht Cui eine Idee des französischen Anarchisten Proudhon verwirklicht. Die Bauern können den Boden zwar individuell bewirtschaften, ihn aber nicht besitzen. Proudhon habe erkannt, dass das Privateigentum an Grund und Boden eine Neuverteilung gemäß der Bevölkerungsentwicklung ausschließe. Wie andere Neue Linke ist Cui daher gegen die Privatisierung des Bodens. Im Bereich der Industrie tritt er für eine kollektive Gewinnbeteiligung der Arbeiter an Unternehmen ein, die auch Wohlfahrtsfonds einrichten sollten. Dieses Modell sei flexibler als der angeblich starre Arbeitsmarkt mit hohen Löhnen in den sozialdemokratisch geprägten Ländern Westeuropas.
Um Ideen für eine Wirtschaftsdemokratie zu entwickeln, bezieht sich Cui auf die berühmte Betriebsverfassung des Angang-Stahlkombinats von 1960. Dort ließ Mao zeitweise mit Partizipation von Arbeitern und Technikern am Mana­gement experimentieren. Außerdem mussten Kader an der Produktion teilnehmen. Cui propagiert dieses Modell aber nicht als Form der Diktatur des Proletariats, sondern sieht darin einen Vorboten postfordistischen Managements, in dem Hierarchien verflacht wurden und Teamarbeit eingeführt wurde. Damit habe Angang Gemeinsamkeiten mit späteren japanischen Managementmodellen. Bei dieser kreativen Plünderung des Erbes der chinesischen Revolution wird Maos Betriebsverfassung von Angang – kaum im Sinne ihres Schöpfers – mit einer Aktienbeteiligung von Arbeitern zur »Wirtschaftsdemokratie des 21. Jahrhunderts« kombiniert. Deutlich ist auch, dass Cuis »kleinbürgerlicher Sozialismus« mit Klassenkampf nichts zu tun hat. Der chinesischen Regierung mögen Cuis Begründungen zu unorthodox erscheinen, und sie will ihr System des »Sozialismus mit chinesischer Besonderheit« auch nicht als kleinbürgerlich bezeichnen lassen. Dennoch wurde in einigen lokalen Modellversuchen mit Cuis Ideen experimentiert.

Die Neue Ländliche Aufbaubewegung
Wang Hui, Wang Shaoguang und Cui Zhiyuan beschäftigen sich in erster Linie mit der urbanen Gesellschaft und sind theoretisch stark in westlichen Theorien verortet. Die Neue Ländliche Aufbaubewegung entstand hingegen in den neunziger Jahren als Antwort auf die Krise der dörflichen Gesellschaft. Ihre Anhänger versuchen in der Regel, nicht mit der Neuen Linken assoziiert zu werden, doch stehen sie ihr inhaltlich nahe. Der bekannteste Vertreter dieser Strömung ist Wen Tiejun (Jahrgang 1951), Professor an der Schule für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung an der Volksuniversität in Peking. Er versteht sich nicht als Theoretiker, sondern als Mann praktischer Erfahrung und Feldforschung. Der in Peking geborene Wen verbrachte in der Mao-Ära elf Jahre auf dem Land und war in den achtziger Jahren an vielen ländlichen Modellversuchen der chinesischen Regierung beteiligt. Nach eigenen Angaben war er damals ein radikaler Vertreter der Marktreformen, änderte aber seine Ansichten, als Bauern immer mehr zu den Verlierern der Reformen wurden. Wens zentrales Argument ist, dass China wegen der großen ländlichen Bevölkerung und der verhältnismäßig geringen landwirtschaftlichen Nutzfläche den westlichen Weg der Urbanisierung und Industrialisierung nicht gehen könne. Länder wie Brasilien und Mexiko hätten außerdem gezeigt, dass steigende Einkommen, zunehmende Urbanisierung und Demokratisierung die soziale Spaltung der Gesellschaft und die Entstehung von riesigen Slums in den Großstädten nicht verhindern konnten. Der Boden dürfe in China auf keinen Fall privatisiert werden, da er die Grundlage des Überlebens der Bauern sei. Die Existenz der chinesischen Kleinbauern sei außerdem durch die Öffnung gegenüber dem Weltmarkt bedroht, da sie unmöglich mit der hoch subventionierten US-amerikanischen und europäischen Landwirtschaft konkurrieren könne. Die chinesische Regierung müsse verstehen, dass die Kardinalfrage der Modernisierung die »Drei Ländlichen Probleme« seien, die der Bauern, der Dörfer und der Landwirtschaft, schrieb Wen 1999 in einem vieldiskutierten Artikel in der Zeitschrift Lesen. Durch die Verbesserung des Einkommens der Bauern, ihrer Bildungschancen und auch des kulturellen Angebots solle das Dorf wieder als lebenswerte Umgebung empfunden und damit die Landflucht gebremst werden.
Die Strömung um Wen hofft aber nicht nur auf die Hilfe des Staats, sondern bezieht sich positiv auf die Ländliche Aufbaubewegung der dreißiger Jahre, die unter Führung des Intellektuellen Liang Shuming in Modellversuchen ländliche Bildung und die Organisierung von Konsum- und Verkaufsgenossenschaften unterstützte. Der KPCh war diese Bewegung suspekt, weil sie den Klassenkampf ablehnte und zeitweise von der Regierung der Guomindang gefördert wurde. Wen steht den Volkskommunen der Mao-Ära kritisch gegenüber. In seinem preisgekrönten Buch »Forschungen zu den Grundlagen des Wirtschaftssystems des chinesischen Dorfes« aus dem Jahr 2000 versuchte er nachzuweisen, dass das Hauptziel der Kollektivierung der staatliche Zugriff auf das bäuerliche Mehrprodukt sowie die »Ausbeutung« der Bauern für die Industrialisierung gewesen sei. In einigen lokalen Modellen versuchen die Aktivisten der Neuen Ländlichen Aufbaubewegung, Bauern bei der Gründung von Genossenschaften zu unterstützen. Ziel ist dabei keinesfalls, neue sozialistische Eigentumsformen zu schaffen, sondern die Bauern durch Selbstorganisation vor den negativen Auswirkungen des Marktes schützen. Die Bauern werden nicht als Triebkraft einer Revolution, sondern als hilfsbedürftige Gruppe gesehen.
Der Begriff der »Drei Ländlichen Probleme« ist mittlerweile ein fester Bestandteil der chinesischen Regierungspolitik. 2004 vollzog der Staatsrat mit der Veröffentlichung des sogenannten »Dokuments Nr. eins« eine historische Wende. Zum ersten Mal in der Geschichte der Volksrepublik erkannte der Staat an, dass die Wirtschaftsentwicklung Chinas auf dem Transfer von ländlichen Ressourcen in die Industrie und die Stadt beruhe. Nun sei es an der Zeit, dass sich dieses Verhältnis umkehre. Als Folge wurden unter anderem 2006 die Agrarsteuern abgeschafft. Die KPCh versucht seitdem, durch massive Investitionen in das ländliche China die lokalen Regierungen wieder stärker zu kontrollieren. Der in den Medien oft als korrupt und ineffektiv beschriebene lokale Kader soll nun mit der Zentralregierung reibungslos kooperieren. Die Regierung startete außerdem eine Kampagne für das Neue Sozialistische Dorf, die bis heute andauert. Wie Wang Shaoguang, so erscheint auch Wen heute als Vordenker der chinesischen Regierung. Das offizielle Programm unterscheidet sich von seinen Vorstellungen dennoch in einigen Punkten. Wie üblich geht die KPCh mit einem »Top-down«-Ansatz vor, statt die Selbstorganisierung der Bauern zu fördern. An Verkaufs- und Konsumgenossenschaften ist der Staat nicht interessiert, Priorität hat vielmehr der Ausbau der Infrastruktur. Außerdem fördert die Partei weiter die Urbanisierung.
In der von Wen herausgegebenen Zeitschrift Die Reformen Chinas: Ländliche Ausgabe forderte der greise Du Runsheng, Agrarexperte der Partei seit den fünfziger Jahren, kurz nach der Veröffentlichung des »Dokuments Nr. eins« die Zulassung von unabhängigen Bauernverbänden. Aus Angst vor Bauernunruhen ist diese Forderung für die Partei jedoch inakzeptabel. Die weniger mutigen Aktivisten der Neuen Ländlichen Aufbaubewegung verstecken sich daher heute hinter dem offiziellen Label des Neuen Sozialistischen Dorfes, statt die Partei herauszufordern.

Dem Kaiser einen Ratschlag geben
Die Beispiele von Wang Hui, Wang Shaoguang, Cui Zhiyuan und Wen Tiejun zeigen, dass trotz der Einparteienherrschaft und der Kontrolle der Medien und der Wissenschaft linke intellektuelle Debatten in gewissen Grenzen möglich sind. Dass diese vier Professoren überhaupt als links gelten, zeigt aber auch, wie schwach die emanzipatorischen Kräfte unter den Intellektuellen in China sind. Der Ruf nach einer Stärkung der Staatskapizität, einer Arbeiterbeteiligung an Gewinnen oder bäuerlichen Verkaufsgenossenschaften wird in der westlichen Linken niemanden beeindrucken. Allerdings diskutiert die Neue Linke Fragen, die für China und damit für die Welt wichtig sind.
Die Verkehrsformen der bürgerlichen Gesellschaft (Kapital, Lohnarbeit, Ware, Staat, Nation) werden nicht in Frage gestellt, sondern nur eine spezifische Form des Kapitalismus, der Neoliberalismus. Was aber, wenn China gar nicht mehr neoliberal ist oder nie war? Dann könnten Cui Zhiyuan und Wang Shaoguang mit ihren eigenen Theorien nur die Regierungspolitik rechtfertigen. Die Grenzen zwischen dem kritischen, öffentlichen Intellektuellen und dem klassischen konfuzianischen Gelehrten, der dem Kaiser einen guten Rat geben möchte, sind fließend. Wang Hui entspricht noch am ehesten dem Bild eines kritischen Intellektuellen, der auch nach der sozialpolitischen Wende unter Hu Jintao seine Polemik gegen den Neoliberalismus und globalen Kapitalismus nicht zurückgenommen hat.
Alle vier Professoren wünschen sich, dass der Staat im Sinne Polanyis den Markt wieder in die Gesellschaft einbinde. Eine generelle Kritik des Staats als eigene Herrschaft über die Gesellschaft, wie Marx sie zum Beispiel in »Zur Judenfrage« (1844) formuliert hat, wird nicht entwickelt. Auch anarchistische Theorien werden kaum rezeptiert, obwohl sie schon in den zwanziger Jahren übersetzt und weit verbreitet wurden. Mit welcher Naivität Wang Shaoguang an die Versprechung eines starken Staats glaubt, ist nach der von chinesischen Regierungen des 20. Jahrhunderts zu verantwortenden Tyrannei unglaublich. Auffällig ist, dass die Neuen Linken Marx zwar hier und dort zitieren, aber seine Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise keine wichtige Rolle spielt, obwohl China gerade in den Weltmarkt einbezogen wird und Abermillionen Bauern proletarisiert und zu Fabrikarbeitern werden. »Das Kapital« war in der Geschichte der KPCh nie von besonderer Wichtigkeit, da Mao und seine Genossen erst die »anti-feudale« und »anti-imperialistische« Revolution anführten. Da China keine entwickelte kapitalistische Gesellschaft war: Wozu brauchte man »Das Kapital«? Als unter Deng nach 1978 Marktreformen durchgeführt wurden, war eine kritische Theorie nicht mehr gefragt. Der Klassenbegriff wurde durch die Schichtenmodelle der westlichen Sozialwissenschaften ersetzt. Die Neuen Linken entwickeln ihre Kritik nicht auf der Boden der marxschen Klassen- oder Werttheorie, sondern mit problematischen Begriffen wie »soziale Gleichheit« oder »Gerechtigkeit«, die immer nur relative Größen des (un)gesunden Volksempfindens darstellen.
Als positive Errungenschaften der Mao-Ära nennen Neue Linke oft den Aufbau des ländlichen Gesundheits- und Bildungssystems, die Emanzipation der Frauen sowie die Industrialisierung. Dabei handelt es sich aber keineswegs um sozialistische Maßnahmen, sondern um eine allgemeine Modernisierung. Mit der Gleichheit der Mao-Ära war es auch nicht weit her, da die ländliche Bevölkerung von den staatlichen Sozialleistungen und Lebensmittelrationen ausgeschlossen war. Wen sieht die »Ausbeutung« der Bauern in der Mao-Ära immerhin kritisch. Um die Verslumung und »Lateinamerikanisierung« Chinas zu verhindern, soll seiner Meinung nach die Urbanisierung verlangsamt werden. Dass sich die junge Generation der Wanderarbeitern durch den Bau von Schulen und Kulturhäuser auf dem Land halten lässt, ist allerdings zu bezweifeln. Mit einem nie dagewesenen Selbstbewusstsein haben die Söhne und Töchter der Bauern im Sommer vorigen Jahres durch Streiks Teile der Autoindustrie lahmgelegt.

Intellektuelle und soziale Bewegungen
In China nehmen Bauernproteste und Streiks der Arbeiter jedes Jahr zu. Bisher sind jedoch kaum linke Intellektuelle bereit, ein persönliches Risiko einzugehen und ihr Wissen und ihre Beziehungen einzusetzen, um zu helfen, die Proteste zu einer landesweiten Bewegung zu vernetzen. Da Intellektuelle einen besseren Zugang zur Öffentlichkeit haben als die Subalternen, spielen sie eine wichtige Rolle. Bei Wang Shaoguang und Cui Zhiyuan stellt sich die Frage, ob sie Massenproteste nicht als Störfaktor für ihre Reformvorhaben betrachten oder instrumentalisieren, um gegenüber der chinesischen Regierung die Notwendigkeit ihrer gutgemeinten Vorschläge zu bekräftigen. Wang Huis Felduntersuchungen über die Privatisierungen in der Textilindustrie bleiben eine Ausnahme. Den chinesischen Intellektuellen Feigheit vorzuwerfen, wäre jedoch unangemessen, da sie von Zensur bedroht sind. Die Staatssicherheit besucht unliebsame Intellektuelle gerne an der Universität, um sie »zum Tee einzuladen«, wie Einschüchterungsversuche in China ironisch genannt werden.
Dass die protestierenden Bauern und Arbeiter häufig alleine dastehen, hat aber auch andere Gründe. Die KPCh ist selbst 1949 durch eine klassenübergreifende Bewegung an die Macht gekommen, daher wird jeder Versuch, Proteste zu vernetzen, verfolgt. Als Lehre aus der Bewegung von 1989 hat die Partei Intellektuelle und Akademiker wieder in das System eingebunden, durch den Ausbau ihrer Privilegien und Pfründe. In den achtziger Jahren jammerten die Wissenschaftler noch, dass mit dem Verkauf von Tee-Eiern auf der Straße mehr Geld zu verdienen sei als mit der Erforschung der Atombombe. Heute können Universitätsprofessoren hingegen ein gehobenes Mittelschichtsleben führen. An Elite­universitäten sind die berühmtesten Wissenschaftler sogar reiche Leute. Ende der achtziger Jahre verdiente an der Tsinghua-Universität ein neuangestellter Arbeiter in der Kantine ca. 40 Yuan und ein Professor 160 Yuan im Monat (10 Yuan entsprechen ca. 1 Euro). Anfang des 21.Jahrhunderts geht der Arbeiter in der Kantine mit ca. 580 Yuan nach Hause, während ein Professor über eine Million Yuan verdienen kann. Außerdem betont die KPCh ununterbrochen, wie wichtig die Intellektuellen für die Modernisierung des Landes seien. Die Partei gewährt fast allen politischen Strömungen unter den Intellektuellen gewisse Freiräume für ihre Debatten. Je nach Bedarf greift die chinesische Regierung Vorschläge von Neoliberalen, Neokonfuzianern und Neuen Linken auf, wenn es der Stabilisierung ihrer Herrschaft gerade nützt. Damit gibt sie allen das Gefühl, wichtig zu sein, und verhindert weitgehend das Aufkommen einer intellektuellen Opposition. Dass deklassierte Intellektuelle zu Kadern einer Revolution werden können, weiß die KPCh aus ihrer eigenen Geschichte nur zu gut. Als 1920 ein Mann namens Mao Zedong es an der Peking-Universität nur bis zum Bibliotheks­angestellten brachte, ging er wieder in seine Herkunftsprovinz Hunan zurück, um dort Streiks der Arbeiter zu organisieren. Solange sich die Intellektuellen der Neuen Linken nicht mit den sozialen Bewegungen solidarisieren, stellen sie keine subversive Kraft in China dar.

Zum Weiterlesen auf Englisch:
Cui Zhiyuan: Artikelsammlung, http://www.cui-zy.cn
Wang Chaohua (Ed.): One China, Many Paths (Verso 2003)
Wang Hui: The End of the Revolution (Verso 2009), China’s New Order (Harvard University Press 2006), »Depoliticized Politics from East to West«, in: »New Left Review«, No. 41, 2006,
Wang Shaoguang: Artikelsammlung
Wen Tiejun: »China’s Century-long Quest for Industrialization«,
Zhang Yongle: »No Forbidden Zone of Reading? ›Dushu‹ and the Chinese Intelligentsia«, in: »New Left Review«, No. 49, 2008,