Keine wundervolle Welt

Berlin Beatet Bestes. Folge 102. Mezz Mezzrow: Really The Blues (1946).

Genauso selten wie in den meisten Büchern über Jazz etwas über die verschiedenen Tanzstile zu erfahren ist, die auf ihn zurückgehen, findet in ihnen die deprimierende Seite des Jazz Erwähnung. Das afro-amerikanische Milieu, in dem der Jazz entstanden ist, war weitgehend von Armut und Gewalt geprägt – von Kriminalität, Prostitution und Drogen. »White Line Fever«, die Autobiografie von Lemmy, liest sich im Vergleich zu »Mein Leben in New Orleans« von Louis Armstrong wie ein Kinderbuch. Armstrong wurde 1900 geboren, zur gleichen Zeit wie der Jazz. Die Jazzmusik, die Armstrong als Kind hörte, wurde in Kaschemmen, in Bordellen und auf Begräbnissen gespielt. Ebenso prägend für diese Zeit war der allgegenwärtige Rassismus. Es war keine »Wonderful World«, in der der junge Satchmo aufwuchs. Die Verzweiflung des Blues und die Vitalität der frühen Jazzmusik sind Ergebnisse dieser Verhältisse; eine Sprache, die stolz und unbekümmert aus der Unterdrückung erwuchs.
Mezz Mezzrow, eigentlich Milton Mezirow, der ein Jahr vor Armstrong geboren wurde, wuchs als Kind jüdischer Eltern in Chicago auf. Bereits als Teenager hing er mit einer jüdischen Straßengang herum. 1917 hörte er im Jugendgefängnis seine schwarzen Mithäftlinge zum ersten Mal den Blues singen und lernte Saxophon zu spielen. Im Gefängnis entwickelte sich auch seine Begeisterung für die afro-amerikanische Kultur: »By the time I reached home, I knew that I was going to spend all my time from then on sticking close to negroes. They were my kind of people.«
Später entdeckte Mezzrow die Klarinette für sich und wurde als Mitglied der Chicago Rhythm Kings zum Mentor der jungen weißen Chicagoer Jazzszene der zwanziger Jahre. In der Prohibitionszeit war Jazz quasi der Soundtrack der Gangster. Ihnen gehörten fast alle Speakeasies und Clubs, in denen Jazzbands auftraten. So rauchte Mezzrow mit einer Gruppe jüdischer Gangster zum ersten Mal Opium. Um 1930 begann er in New York in großem Stil Marihuana zu dealen, heiratete eine schwarze Frau und zog zu ihr nach Harlem, – damals, im Amerika der »Rassentrennung«, eine unerhörte Tat.
Die Geschichte seiner Opiumsucht in den dreißiger Jahren und wie er sie überwand, macht den beindruckendsten Teil von Mezzrows 1946 erschienener Autobiografie »Really The Blues« aus. Als Musiker ein Purist, der dem schwarzen Idiom treu blieb, wurde er zum Wegbereiter des New-Orleans-Revivals und veröffentlichte ab 1945 auf seinem eigenen Label King Jazz wichtige Aufnahmen mit Sidney Bechet. Das Buch ist ein in weiten Teilen im »Jive Talk« gehaltener Bericht von Mezzrows Hinwendung zur farbigen Identität. Der ins Deutsche unübersetzbare Text schildert wie kein anderer, in authentischer Sprache, die Welt in der der Jazz sich entwickelte. Die Ausgabe, die ich vor vielen Jahren für eine Mark in einem Antiquariat erwarb, ist leider in einem traurigen Zustand. Really the Blues.