Antisemitismus bei Linken in Europa

Die antizionistische Internationale

Wer meint, die deutsche Linkspartei sei besonders antiisraelisch, sollte sich einmal die Linke weltweit anschauen. Und nicht nur in der Linken gibt es viel zu tun im Kampf gegen Antisemitismus.

Wer derzeit nach Nachrichten über Antisemitismus sucht, bekommt den Eindruck, es handele sich dabei ausschließlich um ein linkes Phänomen. Es erstaunt, mit welch großem Medien­echo der Aufsatz von Samuel Salzborn und Sebastian Voigt – zweier Jungle World-Autoren, die selbst aus dem linken Milieu stammen – aufgenommen wurde. Daher sollte man bei aller nö­tigen Kritik den Kontext nicht übersehen. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe etwa nutzte die Chance und betonte, der Antisemitismus-Streit in der »Linken« zeige, »wie beängstigend nahe sich Links- und Rechtsextremismus teilweise kommen«. Der Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, ließ es sich nicht nehmen, bei der Vorstellung des Jahresberichts seiner Behörde die antisemitischen Tendenzen als weiteren Beweis für die Verfassungsfeindlichkeit der Linkspartei anzuführen.
Dass die Kritik gerade aus der Linken selbst kommt – Voigt war Mitbegründer des BAK Shalom (siehe Seite 5) –, wird dabei ignoriert. Ebenso wie die Tatsache, dass Antisemitismus zwar auch, aber längst nicht nur ein linkes Problem ist. Um dies festzustellen, braucht man gar nicht auf Neonazis und Jihadisten zu verweisen. Martin Walser, Martin Hohmann, Jürgen Möllemann – sie kamen aus der »Mitte« des politischen Spektrums. Der jüngsten Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge ist ein Fünftel der Deutschen der Meinung, dass »Juden« zu viel Einfluss hätten. Die in der Studie als antisemitisch definierte Einstellung hinsichtlich des Nahost-Konflikts teilt sogar die Hälfte aller Deutschen: 47,7 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Israel einen »Vernichtungskrieg« gegen die Palästinenser ­führe.
Die Linke, und insbesondere ihre parlamentarische Vertretung, ist trotz aller gesellschaftskritischer Rhetorik eben auch Teil dieser latent antisemitischen Gesellschaft. Während Antisemitismus in der Mehrheitsgesellschaft eher als tief schlummerndes Ressentiment existiert, welches – glücklicherweise – meist nur durch Umfragen oder am Stammtisch zutage tritt, ist er bei vielen Linken als Antizionismus Teil der politischen Praxis und somit öffentlich deutlicher wahrzunehmen. Dort, wo das alte antiimperialistische Weltbild das Denken bestimmt, ist eine antisemitisch geprägte Sicht auf den Nahost-Konflikt nicht weit.

Dies wird besonders außerhalb Deutschlands offensichtlich. Denn das linke Problembewusstsein ist in Deutschland sogar relativ fortgeschritten – was antisemitische Tendenzen hierzulande nicht relativiert, sondern bloß zeigt, wie schlimm es andernorts ist. Boykottbewegungen gegen Israel etwa sind außerhalb Deutschlands ein linker Standard; Antiamerikanismus, antisemitische Karikaturen und Vergleiche der israelischen Politik mit der Nazi-Herrschaft gehören weltweit zum guten (linken) Ton.
Das spanische Schiff der jüngsten Gaza-Flotte hieß »Gernika«; benannt nach der baskischen Stadt, die im Zweiten Weltkrieg aus Solidarität mit dem faschistischen Franco-Regime von deutschen Nazis bombardiert wurde. Wenige Tage vor dem Massaker im Feriencamp der norwegischen Jungsozialisten, das am Freitag voriger Woche die Öffentlichkeit weltweit schockierte, wurde der Außenminister Jonas Gahr Store dort mit »Boykott Israel«-Transparenten empfangen – und pflichtete der Forderung unter Applaus bei. Was wiederum die Professorin María José Lera auf der linken spanischen Internetplattform Rebellión hinsichtlich des Oslo-Attentats vermuten ließ, dass »die Tentakel des israelischen Staates gar nicht so weit von dem Blutbad entfernt sind«. Auch sonst sieht es nicht gut aus: Anfang Januar wurden in Amsterdam Werbeplakate für ein Anne-Frank-Theaterstück mit dem Wort »PaleSStina« überschmiert. Schwedische Linke schafften es 2009 sogar, dass ein Davis-Cup-Match zwischen Schweden und Israel in Malmö ohne Zuschauer stattfinden musste; bei den dazugehörigen Demonstrationen mit 10 000 Teilnehmern konnte man in Anspielung auf die israelische Gaza-Offensive auf einem Transparent der Antifa lesen: »1939 Zyklon B – 2009 White Phosphor«.

Diese Liste ließe sich unendlich fortführen. Beispiele lassen sich auch hierzulande finden, wie zuletzt auf der Internetseite der Duisburger »Linken« (Jungle World 18/2011). Aber sie stoßen auf Widerspruch, auch und vor allem aus der Linken. Wie der Vorfall im Oktober 2009, als ein antizionistischer Mob in Hamburg die Vorführung von Claude Lanzmanns Film »Warum Israel« verhinderte. In den meisten anderen Ländern wäre hingegen die Aufführung eines proisraelischen Films in einem linken Zentrum der Skandal. Die Ausstrahlung einer angeblich zu israelfreundlichen BBC-Reportage über den israelischen Militäreinsatz gegen die erste Gaza-Flotte führte in London bereits zu Demonstrationen.
Der linke Antizionismus ist Ausdruck des antiimperialistischen Weltbildes, dessen Anhänger nicht einsehen wollen, dass globale Herrschafts- verhältnisse zu kompliziert sind, als dass sich die Kritik daran auf eine einfache Parole reduzieren ließe. Der argentinische Soziologe Patricio A. Brodsky hat den Antizionismus in Anspielung auf den berühmten Ausspruch August Bebels als »Antiimperialismus der Dummen« bezeichnet. Doch diese Erklärung reicht nicht aus. Sie kann nicht den hohen Stellenwert erklären, den der Konflikt im Nahen Osten in der linken Praxis einnimmt. Warum etwa keine der zahlreichen Veranstaltungen in Italien zum zehnten Jahrestag der Genua-Krawalle ohne Soli-Aufrufe mit der Gaza-Flottille auskommt – wo es doch wahrlich genug Unterdrückte und Ausgebeutete in der Welt gibt, die linke Solidarität bitter nötig hätten.
Dies spricht dann wohl doch eher für tiefsitzende antisemitische Ressentiments, die sich im Namen des Pazifismus, der Menschenrechte oder einer vermeintlich befreiten Gesellschaft Luft verschaffen. Eine Linke, die tatsächlich noch an globaler Emanzipation interessiert ist, wird nicht darum herum kommen, die Debatte über Antisemitismus auch global zu führen.