Wenn Linke zu Eltern werden

Fuckermothers in the house

Während in den siebziger Jahren Feministinnen Kinderläden gründeten, ist Mutterschaft in feministischen und queeren Debatten heute kein großes Thema mehr. Das sollte sich ändern.

Hätte ich es während meiner Schwangerschaft gewagt, in der Öffentlichkeit eine Zigarette zu rauchen, wäre ich mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit böse angefunkelt oder gar angepöbelt worden. Habe ich aber nicht. Als ich mit einer feministischen Freundin zum Essen verabredet war und einen Tisch im Nichtraucherraum reserviert hatte, wurde ich stattdessen süffisant gefragt, ob ich – als Nichtraucherin – mich denn nun komplett dem allseits propagierten Schwangerschafts-Gesundheitsterror beugen wolle.
Geht es um den nach wie vor randvoll auf­geladenen Begriff der Mutterschaft, ist immer noch der Körper der »Betroffenen« ein Schlachtfeld, auf dem die ideologischen Schlachten aus­getragen werden. Denn nie ist der weibliche Körper mehr Eigentum der Allgemeinheit als dann, wenn seine Reproduktionsfähigkeit sichtbar zu Tage tritt. Feministische bzw. subkulturelle Strategien, dieser Aneignung etwas entgegenzusetzen, beispielsweise durch ostentatives »Fehl­verhalten«, finden in der Realität kaum statt und wären in der reinen Verkehrung von gesellschaftlich kanonisierten Anforderungen auch wiederum normierend. Während ich im Verlauf der Schwangerschaft mit unzähligen Vorschriften und Regulierungen meines Verhaltens zum Wohl des ungeborenen Kindes als verantwortungsbewusste werdende Mutter vergesellschaftet werden sollte, wurden aus dem »alternativen Milieu« ganz umgekehrte Anliegen an mich herangetragen, die von der Angst zeugten, ich könne mich diesem Prozess widerstandslos unterwerfen. Vorsorgeuntersuchungen, Verhaltensvorschriften, Medikamente, Kurse und massenweise Produkte auf der einen Seite, Ängste vor Verspießerung und Akzeptanz des Status quo durch gezügelten Ausgeh- und Genussmittelkonsum auf der anderen.

Der Druck auf schwangere Frauen, alles richtig zu machen, ist immens, und natürlich ist er von staatlich-patriarchaler Seite deutlich größer als von der Seite der subkulturellen oder feministischen Community, die bangt, weitere Mitglieder an traditionelle Lebensformen und Rollenverteilungen zu verlieren. Ich selbst hatte weder Lust auf bevormundende Ärztinnen, Ärzte und Hebammen, die mich unter dem neuen ­alten Natürlichkeitsdiktat zu einer »natürlichen« Geburt und zum Stillen verdonnern wollten, noch auf Kumpels, die der omnipräsent geschürten Angst vor »Schäden für das Kind durch un­gesunden Lebenswandel« das lähmende Gefühl hinzufügten, der Propaganda zu erliegen, statt sie durch kesse Experimente am eigenen schwangeren Körper zu unterlaufen.
Was die Debatte so schwierig macht, ist der Umstand, dass Frauen sich, sofern sie die Schwangerschaft austragen und das Kind behalten wollen, dafür entschieden haben, für eine Person zu sorgen, die erst einmal weder Verantwortung für sich selbst übernehmen noch klar ihre Bedürfnisse äußern kann. Es geht also, anders als in Auseinandersetzungen über die ­eigene Posi­tion in Arbeits- oder Beziehungsverhältnissen mit einem erwachsenem Gegenüber, nicht nur um die Wahrung der Integrität der eigenen Person, sondern auch um die eines unmündigen Wesens. Das ist irritierend in einer Gesellschaft, in der die neoliberale Ideologie der totalen Eigenverantwortlichkeit alle, auch die sogenannten kreativen Klassen, durchdringt.

So ist wohl auch das derzeit mangelnde Interesse an feministischen Auseinandersetzungen zum Thema »Kinderkriegen« aus dieser vermeintlichen Wahlfreiheit zu erklären (eine der wenigen Ausnahmen ist der neue Blog Fuckermothers, der queer-feministische Perspektiven auf Mutterschaft entwickeln möchte). Während Frauen früher qua Geschlecht dazu verdonnert waren, ihrer weiblichen Pflicht, ja, ihrer »Bestimmung« nachzugehen und sich zu reproduzieren, führt die Rhetorik der Wahlfreiheit dazu, dass Kinder heute als individuelle Lifestyle-Entscheidung wahrgenommen werden, bei der die Eltern dann bitteschön selbst schauen sollen, wie sie damit klarkommen – sie wollten es ja so und wurden in der Regel von niemandem gezwungen.
Auch wenn der gesellschaftliche Druck auf Frauen – aber bitte nur die autochthon deutschen, gut gebildeten und besser verdienenden  –, nicht in den viel zitierten »Gebärstreik« zu treten, nach wie vor hoch ist, und auch wenn Abtreibung immer noch nicht überall frei zugänglich ist, sind der Abbruch und das Verhindern von Schwangerschaften sowie ein kinderloser Lebensstil heute gut planbar und immer stärker akzeptiert. »Biology is not destiny!« Dieser Slogan der Zweiten Frauenbewegung wurde auf paradoxe Weise gekapert und – ähnlich wie der Imperativ der Künstlerkritik aus den sechziger Jahren, »Be creative!« – zum Teil einer neoliberalen Eigenverantwortlichkeits- und Selbstverbesserungsideologie.

Wo Frauen ab Ende der sechziger Jahre antiautoritäre Kinderläden gründeten, um von den Betreuungspflichten entbunden zu werden und zum Beispiel an den Studentenprotesten teilzunehmen, werden Frauen mit Kindern heute oft als sich freiwillig aus Arbeits- und Organisationsprozessen ausklinkende Muttertiere abgeschrieben, die ihre Aufgaben nicht mehr im vollen Umfang erledigen können. Tatsächlich sind es nach wie vor meist die Mütter, die den Hauptteil der Sorgearbeit verrichten, während der Partner weiter seinem in der Regel deutlich besser bezahlten Beruf nachgeht. Im Jahr 2010 nahm nur rund ein Viertel aller deutschen Väter überhaupt die neue Elternzeit in Anspruch, drei Viertel davon nur die Mindestzeit von zwei Monaten. Es sind vor allem bürgerliche, karriereorientierte Frauen, häufig in akademischen Laufbahnen, die es schaffen, ihre Berufs- und Gleichberechtigungsambitionen zu balancieren. Wenn die Zeitein­teilung einigermaßen flexibel ist, genug Geld für Kinderbetreuung von Anfang an da ist und der Partner eventuell ähnliche Vorstellungen von Gleichberechtigung hat, lässt sich vieles leichter durchziehen.
Ein weiteres Problem für die Entstehung neuer feministischer Diskurse rund um Mutterschaft liegt in den Körpern selbst. In ihrem Buch »Deproduktion« schreibt Sarah Diehl, Schwangerschaft erscheine heute als »ultimativer Beweis einer biologistischen Vorstellung von Weiblichkeit«, was die Anknüpfung an die derzeit vorherrschenden feministischen Strömungen der dekonstruktiven oder queeren Theorie, welche Weiblichkeit als gesellschaftliche Konstruktion beschreiben, schwierig macht. Während der Differenzfeminismus der Zweiten Welle, grob vereinfachend gesprochen, eine Neubewertung von Weiblichkeit anschob und damit stellenweise in einem naturalistischen Mutterkult rund ums selbstbestimmte, vom männlich dominierten Medizin-Establishment befreite Gebären, Stillen, Erziehen etc. gipfelte, steht man heute diesen Essentialismen kritisch gegenüber. Doch an deren Stelle trat erst einmal nichts.
Reproduktion ist in heutigen feministischen Diskursen nicht nur suspekt, weil sie den weiblichen Körper überdeutlich als solchen hervorhebt, sondern weil in der Folge auch gleich eine Retraditionalisierung der Rollenmuster unterstellt wird. Und dies geschieht oft zu recht. Denn wenn Frauen im neuen Wahn der perfekten biologischen Mutterschaft immens viel Zeit mit Stillen, selbst gekochten Breis und ausgekochten Windeln verbringenn und sich dabei nicht oder kaum vom Partner unterstützen lassen, wie Elisabeth Badinter das in ihrem hitzig debattierten Buch »Der Konflikt. Die Frau und die Mutter« beschreibt, bleibt wenig Zeit für andere Tätigkeiten. Darüber hinaus scheint es heute keine rationalen Argumente mehr fürs Kinderkriegen zu geben – im Gegenteil werden eher automatisch ­reaktionäre bis narzisstische Motive damit assoziiert, so dass mit schwer fassbaren emotionalen Kriterien agiert werden muss, die in theoretischen Kontexten natürlich per se ruchbar sind.

Wie ließe sich also eine neue feministische Debatte ums Kinderkriegen anschieben, die auch dringend nötige neue Impulse zu einer feministischen Erziehung liefern könnte? Zunächst einmal müsste der Frauenkörper aus dem oben beschriebenen Schlachtfeld gezogen werden, da er darin eine doppelte Biologisierung erfährt. Auch wenn Schwangerschaft als fundamental biologischer Vorgang wahrgenommen wird, sollte versucht werden, diese »Wahrheit« nicht mythologisch weiter fortzuschreiben. So wäre es beinahe zwingend, wann immer möglich von »Elternschaft« statt von »Mutterschaft« zu sprechen, um einerseits die Teilhabe und Verantwortung der Väter stärker ins Blickfeld zu rücken, und andererseits die Perspektive für eine Vielzahl von Modellen zu öffnen, die mit der Vorstellung des Nucleus Vater-Mutter-Kind ja nur sehr mangelhaft umrissen ist. Damit ließe sich auch an queere Theorien anknüpfen, um Modelle für queere Elternschaft und Erziehung zu entwickeln und weit über das hinauszugehen, was die zahlreichen Blogs zum Thema queer parenting anzubieten haben. Diese beschränken sich meist auf eine Abbildung des Alltags schwuler oder lesbischer Paare mit Kindern. Unerlässlich wäre aber vor allem eine neue Solidarisierung, die die Partikularinteressen verschiedener Lebensmodelle nicht mehr per se als antagonistisch betrachtet, sondern als in ihrer Temporalität fließend und durchlässig begreift.