Kraftwerk als 3D-Installation in München

Mensch, Maschine und Übermensch

Von Uli Krug

Der Münchner Kunstbau zeigt Kraftwerk als 3D-Installation.

Nicht jeder wird so parodiert, wie er es verdient hat. Die Späße aber, die die Filmemacher Joel und Ethan Coen mit Kraftwerk, der Urkeimzelle der elektronischen Tanzmusik, treiben, treffen durchaus die Richtigen. In ihrem Film »The Big Lebowski« (1998) öffnet die Düsseldorfer Combo, nur unwesentlich zu einem Nihilisten-Trio ­namens Autobahn verfremdet, mit ihrer Platte »Nagelbett« die Schleusen für den Einbruch des teutonischen Wahnsinns in das vormals geordnete Kifferleben des Dude: Zunächst verfolgt ihn die Avantgarde-Künstlerin Maude zu eugenisch inspirierten Paarungszwecken und schließlich kommt es zum Showdown mit einer Truppe Blassgesichter aus Bremen, die halb wie Zombies, halb wie Autonome aussehen.
Die Selbststilisierung der Band als streng seitengescheitelte und emotionslose Roboter-Musiker hat Parodien geradezu herausgefordert. Seit ihrer LP »Autobahn« (1974) arbeiten die beiden Gründungsmitglieder Ralf Hütter und Florian Schneider daran, ihre Stücke so klingen zu lassen, dass sie der Technik, mit deren Hilfe sie produziert werden, klanglich gerecht werden. In der Praxis bedeutete das zunächst den weitgehenden Verzicht auf analoge Klangerzeugung mit konventionellen Instrumenten. Dies war nicht etwa eine Reprise der Musik des frühen Karlheinz Stockhausen, der versucht hatte, Klänge aus elektronischen Sinustönen zu konstruieren, um sie so von jeder instrumentalen Eigenart zu lösen. Kraftwerk ließen sich nicht von musiktheoretischen, sondern vielmehr von anthropologischen Ideen leiten. Weil in der Vorstellungswelt von Hütter und Schneider – die sich im Lauf von vier Jahrzehnten mit verschiedenen Mitstreitern umgaben – Musik entsteht, wenn Audio-Ingenieure mit ihren elektronischen Klangerzeugern verschmelzen und zu Mensch-Maschinen werden, murmeln sie durch das gleichnamigen Stück wie von selbst die Textzeilen: »Man Machine, pseudo human being, Man Machine, super human being« – eine Anspielung auf Nietzsches »Übermenschen«. In den deutschsprachigen Textpassagen heißt es ein wenig vorsichtiger: »Mensch Machine, halb Wesen und halb Über-Ding«.
Auf dem Konzept der Verschmelzung von Menschen und Maschinen basiert auch die 3D-Videoinstallation »Kraftwerk«, die derzeit im Münchner Kunstbau zu sehen ist. In der fensterlosen 110 Meter langen und 14 Meter breiten Betonhalle im U-Bahnhof Königsplatz wird auf drei Leinwänden eine sich beständig wiederholende, jeweils etwa einstündige Sequenz von 3D-Filmen präsentiert. Man setzt sich eine 3-D-Brille auf und bekommt einen Querschnitt durch ein Œuvre geboten, das im Grunde nur sechs zwischen 1974 und 1986 erschienene Alben umfasst.
Die Videos mit Bildern von flackernden Schaltkreisen, plastischem Pillenregen und den als Diagramm auftauchenden Schemen der Musiker laufen ansonsten auf den Konzerten der Band. Damit unterstreicht die Videoinstallation, dass es der physischen Präsenz der Musiker gar nicht mehr bedarf. Die Show funktioniert auch ohne sie. »Wir sind die Roboter, wir funktionieren automatik. Jetzt wollen wir tanzen mechanik«, hieß es 1978 in dem programmatischen Hit »Die Roboter«. Schon damals ließen die Musiker sich gerne bei offiziellen Terminen oder in Musikvideos von elektronisch betriebenen Dummies vertreten. Roboter-Puppe und Mensch-Musiker sollten einander immer ähnlicher werden. Sie bewegten sich abgehackt, hatten eingefrorene Mienen und trugen alle das gleiche ret­rofuturistische Outfit, also Frisuren im Stil der dreißiger Jahre, rotes Hemd, graue Stoffhose und Krawatte mit sequenzierenden roten LED.
Die Kraftwerk-Puppen stehen nun in einer Ecke des Ausstellungsraums, die man im Dunkeln leicht übersehen könnte. Auch das ist gewollt, sind die Ralfs und Florians aus Kunststoff doch Relikte eines überwundenen Standes der Technik. Heute präsentieren sich die »Roboter« als 3D-Projektion, die ihre Materialität endgültig hinter sich gelassen haben und nur noch flüchtige Durchgangsstationen des Stromflusses sind: »Es wird immer weitergehen, Musik ist der Träger von Ideen«, raunt die vom Vocoder verzerrte Stimme über der für Kraftwerk so typischen, wenn auch im Lauf der Jahrzehnte und damit der Neuabmischungen immer beatlastiger gewordenen Musik.
Es sind simple Melodiefragmente, die sich vor einer akustischen Wand von Soundeffekten schleifenartig wiederholen. Einzig das Video zum hypnotischen Stück »Autobahn«, dem kommerziellen Durchbruch der Band auf beiden Seiten des Atlantiks, wirkt wie ein nostalgischer Kontrast zur technisierten Welt. Der VW- Käfer darin bewegt sich noch mit Richtgeschwindigkeit und nicht in Lichtgeschwindigkeit; seine Reise aber kennt keine unterscheidbaren Anfangs- und Endpunkte mehr.
Das absichtsvolle Sich-Verlieren in der Zeit der Maschinen – seit 1974 das Grundthema von Kraftwerk – brachte der Band den Ruf ein, gegen das Idyllische der Alternativbewegungen zu opponieren. Der Rock-Journalist Michael Pilz ernannte sie kürzlich in der Welt zur »musizierenden Bildungsanstalt«. Tatsächlich schien Kraftwerk Mitte der Siebziger wie aus der Zeit gefallen: Doch ihre Hymnen auf Betonstraßen, Metallschienen (»Trans Europa Express«), Wellen und Strahlung (»Radio-Aktivität«) blieben konzeptionell pessimistisch, wurzeln in der Vorstellungswelt eines Ernst Jünger. »Es gibt keinen Ausweg, kein Seitwärts und Rückwärts; es gilt vielmehr die Wucht und die Geschwindigkeit der Prozesse zu steigern, in denen wir begriffen sind«, schrieb Jünger 1932 und träumte davon, dass durch den technischen »großen Verzehr« hindurch, wenn man sich nur vorbehaltlos darauf einließe, eine neue, disziplinierte und stabile Elementarordnung entstehen würde, die des »Arbeiters«. »Musik-Arbeiter« lautet auch die Selbstdefinition von Ralf Hütter, der bereits 1976 die ideologische Erklärung für seinen damals merkwürdig wirkenden Haarschnitt gab: »Die lebendige Kultur Mitteleuropas wurde in den dreißiger Jahren gekappt (…). Wir nehmen diese Kultur der dreißiger Jahre an dem Punkt auf, an dem sie verlassen wurde, und dies auf einer spirituellen Ebene«, sagte er der franzö­sischen Zeitschrift Rock & Folk. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich die LP »Radio-Aktivität« seit einem Jahr in den Charts. Ihr Cover zeigte die Vorder- und Rückseite eines Volksempfängers vom Typ DKE38, wie er von 1938 bis 1944 gebaut wurde.
Die Beschwörung einer Synthese aus Technik, Kontrolle und Herrschaft, die Faszination der Disziplin und das vorbehaltlose Spiel mit Mode und Alltagsgegenständen der faschistischen Ära machten Kraftwerk zu Pionieren wichtiger Popstile der achtziger Jahre, als der tanzende und der arbeitende Körper immer ununterscheidbarer wurden. Nicht nur Human League und der Elektropop oder natürlich Großmeister des Detroit-Techno, wie Jeff Mills und Derek May, ließen sich von der Band ins­pirieren; auch der HipHop verdankt eins seiner grundlegenden Werke, »Planet Rock« von Afrika Bambaataa (1982), der Adaption von »Trans Europa Express«. Gerade die Jugendkulturen der Achtziger, die ihre Selbstdefinition aus der »schwarzen Abkehr« (Georg Seeßlen) von den Hoffnungen der Siebziger bezogen, nahmen Kraftwerk begierig auf.

Kraftwerk. 3D Video-Installation. Kunstbau München.
Bis 13. November. Dienstag bis Sonntag 10–22 Uhr.