Geld drucken gegen die Schulden

Steuern rauf oder Druckmaschine an

Die USA könnten ihre Schulden durch die Inflation des Dollar reduzieren. Damit würden sie aber dessen Rolle als internationale Leitwährung gefährden.

15,033 Billionen US-Dollar – diese Rekordzahl verkündete Mitte November das US-Finanzministerium als aktuellen Stand der Staatsverschuldung. Und jeden Tag kommen 55,8 Milliarden hinzu. Bereits im September betrug die Verschuldung der Supermacht 100 Prozent im Verhältnis zum jährlichen Bruttoinlandsprodukt, ein Ende der Verschuldung ist nicht in Sicht. Nach jüngsten Schätzungen des Internationalen Währungsfonds wird die Quote im Jahr 2012 auf 105 Prozent und bis zum Jahr 2016 auf mindestens 115 Prozent steigen.
Die amerikanische Verschuldung liegt damit auch weit über jener der Euro-Zone, in der sie derzeit etwa 85 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung beträgt. Die beiden Ökonomen Nouriel Roubini und Nassim Taleb, die durch ihre Voraussagen der Finanzkrise bekannt wurden, hatten darauf bereits im Frühjahr und Sommer in verschiedenen Artikeln hingewiesen. »So skeptisch ich Europa auch sehe, ziehe ich es doch bei weitem den Vereinigten Staaten vor«, schrieb Taleb im Februar in der Financial Times. Sein Kollege Paul Krugman hatte die USA im Sommer gar als »Bananenrepublik« bezeichnet. Nun übernehmen auch die Rating-Agenturen langsam diese Sichtweise. Fitch drohte den USA, dass sie die Topnote AAA verlieren könnten, indem die Agentur den Ausblick für die Kreditwürdigkeit auf »negativ« senkte. Standard & Poor’s hatte den USA das höchste Rating bereits im August entzogen.

Vor allem die Tendenz der amerikanischen Haushaltsentwicklung ist beunruhigend. Im Prinzip wiesen die USA seit dem Zweiten Weltkrieg stets ein Haushaltsdefizit auf. Dies betrug jedoch über die Jahrzehnte durchschnittlich lediglich zwei Prozent der Wirtschaftsleistung. Während die US-Bundesregierung etwa 18 Prozent von dieser an Steuern und Abgaben abschöpfte – konstant eine der geringsten Steuerquoten unter den Industrieländern –, betrugen die Ausgaben jeweils um die zwanzig Prozent. Nur in der Zeit der »Reagonomics« in den achtziger Jahren war die Quote rapide nach oben geschnellt und die Staatsverschuldung von etwa 37 auf fast siebzig Prozent gestiegen, wo sie sich, sogar mit einer kurzen Absenkung in der Ära Clinton, stabilisiert hatte. In den Krisenjahren seit 2009 betrug das Defizit des Bundeshaushalts Jahr für Jahr etwa ein Zehntel der US-Wirtschaftsleistung.
Doch das ist noch längst nicht alles. Rechnet man die derzeit nicht mit Beiträgen gedeckten zukünftigen Versorgungsansprüche der Bundesbeamten und der Angehörigen der Streitkräfte sowie die Fehlbeträge bei den Renten- bzw. Krankenversicherungen der öffentlich Bediensteten hinzu, so ergeben sich weitere sieben Billionen US-Dollar an Schulden. Vor allem die künftigen Kosten der staatlichen Gesundheitsvorsorge Medicare könnten sich in den kommenden Jahren laut Hochrechnungen David Stockmans, des ehemaligen Haushaltsexperten Ronald Reagans, auf über 46 Billionen Dollar summieren. Auch wenn diese horrenden Zahlen Panikmache eines konservativen Gegners der derzeitigen Regierung sein könnten, so wird doch immer deutlicher, dass die reale Verschuldung weit über den offiziell verkündeten 15 Billionen Dollar liegt. Hinzu kommen noch die Verbindlichkeiten der Städte und Gemeinden, die zusammengenommen für rund 3,7 Billionen Dollar Anleihen ausgegeben haben. Schon jetzt sind viele der ärmeren Kommunen entweder zahlungsunfähig oder zumindest nahe daran. Bekannt wurde der Fall der kalifornischen Stadt Vallejo, die als erste schon im Mai 2008 Konkurs angemeldet hatte. Vier der acht Feuerwehrstationen mussten ebenso geschlossen werden wie eine der drei öffentlichen Schulen, der Etat für den Straßenbau wurde gleich ganz gestrichen. Aber auch in anderen Städten wurden in den vergangenen Monaten Schulen geschlossen, wurde der öffentliche Nahverkehr eingestellt oder wie in High Park (Michigan) die nächtliche Straßenbeleuchtung eingespart – die Laternen wurden verkauft. 46 Kommunen haben bereits ihre Verpflichtungen aus der Ausgabe von Anleihen nicht mehr bedient und damit praktisch ihren Konkurs eingestanden.
Weltwirtschaftlich werden die USA ihre Rolle als wichtigster Importeur mittelfristig kaum mehr wahrnehmen können. Griechische Verhältnisse sind trotzdem nicht in Sicht. Erstens verfügen die USA sowohl im Finanzbereich als auch im verarbeitenden Gewerbe über Unternehmen, deren Gewinne in den vergangenen Jahren sogar gestiegen und die teilweise führend auf dem Weltmarkt sind. Die Wirtschaftsleistung der »Vereinigten Staaten des Notstands« (Financial Times) beträgt immerhin noch das Doppelte des Zweitplatzierten China. Nach wie vor werden die USA daher auch ihre Staatsanleihen mit einem niedrigen Kupon von derzeit drei Prozent für auf zehn Jahre laufende Papiere relativ problemlos los. Zudem könnten die USA ihre Einnahmen aus Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen angesichts der Quote von 24 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – der geringsten aller OECD-Staaten – theoretisch auch erhöhen, um die Verschuldung zu verringern. Angesichts der politischen Blockaden der Republikaner, die man zuletzt beim Scheitern des »Superkomitees« (siehe Seite 3) beobachten konnte, ist dieser Ausweg derzeit allerdings politisch verstellt.

Wahrscheinlicher ist, dass man in Washington auf ein anderes Mittel zurückgreifen wird: die Inflation des Dollar. Rainer Guntermann, Anleihenexperte der Commerzbank, sagte kürzlich: »Im Notfall drucken die Amerikaner eben Geld und entwerten so ihren Schuldenberg.« Die vorigen Flutungen des Marktes mit Dollars und die Nullzinspolitik der US-Notenbank Fed sprechen dafür, dass dieser Ausweg in Betracht gezogen wird. Mit diesem Mittel hatten US-Regierungen bereits zwischen 1945 und 1980 die Schulden um jährlich drei bis vier Prozent senken und so trotz negativer Haushaltsbilanz die Verschuldungsquote teilweise sogar reduzieren können. Dass der Dollar als internationale Reservewährung fungiert und insbesondere Öl nur in der amerikanischen Währung gehandelt werden darf, trotz Inflationsgefahr also alle Nationen Dollars benötigen, stärkt die US-Position dabei erheblich.

Auf wenig Gegenliebe stößt das Gelddrucken logischerweise bei den Gläubigern. Schon seit August mahnt Japans stellvertretender Finanzminister Fumihiko Igarashi die USA zu höheren Sparanstrengungen, um den Wert des Dollar zu erhalten. Japanische Gläubiger halten derzeit US-Staatsanleihen im Wert von mehr als 900 Milliarden Dollar, Japan ist damit zweitgrößter Gläubiger nach der Volksrepublik China. Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao hatte zwar mehrmals seine Bereitschaft wiederholt, den USA »eine helfende Hand auszustrecken«, dies aber auch an die Bedingung geknüpft, die Sicherheit der chinesischen Dollaranlagen zu gewährleisten.
Sollte man in Washington dazu nicht bereit sein, könnten die Mächtigen in Peking sich die Forderungen des chinesischen Zentralbankchefs Zhou Xiaochuan zu eigen machen, der eine »Beerdigung« des Dollars als internationaler Leitwährung fordert. Noch könnten die chinesische Abhängigkeit von der Aufnahmekapazität der Märkte jenseits des Pazifik – im vorigen Jahr betrug der Wert chinesischer Exporte in die USA annähernd 400 Milliarden Dollar – und die Schwäche des Euro als Alternative diese »Flucht aus dem Dollar« unmöglich machen.
Es ist derzeit aber auch kaum vorstellbar, dass die USA noch öfter als einmal über die Inflation ihre Verschuldung werden reduzieren können, ohne ihre Kreditwürdigkeit und vor allem ihr Währungsprivileg zu riskieren. So oder so droht früher oder später das Ende der vom Dollar geprägten Weltwirtschaftsordnung. Die Alternativen dürften allerdings angesichts der Verschuldung aller OECD-Staaten auch kein höheres Maß an Stabilität bringen.