Die Botschaftsbesetzung in Teheran war inszeniert

Die Botschaft der Ayatollahs

Unter den vermeintlichen Studenten, die in Teheran die britische Botschaft angriffen, wurden Mitglieder der paramilitärischen Bassiji identifiziert. Mit der Aktion wollte das iranische Regime seine Entschlossenheit im Kampf gegen den Westen demons­trieren.

Deeskalation gehört nicht zum üblichen strategischen Repertoire der iranischen Polizei im Umgang mit Protestierenden. Doch als am Dienstag der vergangenen Woche die britische Botschaft in Teheran gestürmt wurde, hielten sich die Sicherheitskräfte zurück. Als »protestierende Studenten« wurden die Angreifer von den staatlichen Medien bezeichnet, doch handelte es sich um Bassiji, Mitglieder einer paramilitärischen Einheit, die den Revolutionswächtern unterstellt ist. Die Revolutionswächter wurden von den islamistischen Machthabern als Gegengewicht zur regulären Armee aufgebaut, sie und ihre Hilfstruppen werden oft gegen Oppositionelle und für Propaganda­aktionen des Regimes eingesetzt.
Im Iran, wo bereits ein locker sitzendes Kopftuch zu einer Verhaftung führen kann, ist eine militante Aktion dieses Ausmaßes ohne Genehmigung der Machthaber undenkbar. Einige der Angreifer wurden vorläufig festgenommen, doch weder der religiöse Führer Ali Khamenei noch Präsident Mahmoud Ahmadinejad haben den Sturm auf die britische Botschaft verurteilt. Großbritannien und andere europäische Staaten zogen vorläufig ihr Botschaftspersonal ab.
Einige Angreifer konnten mittlerweile identifiziert werden. Der iranische Blogger Digarban veröffentlichte ein Foto, das Hussein Qadyani beim Sturm auf die Botschaft zeigt. Qadyani ist Vorsitzender der studentischen Organisation der Bassiji, hält sich also tatsächlich an einer Universität auf, allerdings vornehmlich, um dort im Auftrag der Revolutionswächter oppositionelle Aktivitäten zu unterbinden. Die Bassiji werden seit den Demonstrationen gegen die Wahlmanipulation im Juni 2009 verstärkt gegen die demokratische Studentenbewegung und soziale Proteste eingesetzt. Auf anderen von Digarban veröffentlichten Fotos sind Männer zu sehen, die offenbar zu den engen Mitarbeitern des Teheraner Bürgermeisters Mohammad Baqer Qalibaf gehören.
Ali Larijani, Sprecher des Majless, des islamistischen Pseudoparlaments, äußerte Verständnis für die Erstürmung der Botschaft: »Diese studentische Bewegung ist ein Sinnbild des geistigen Klimas im Iran.« Nicht zufällig richtete sich der Angriff gegen die Briten, sie sind nach den Israelis und Amerikanern das größte Feindbild der iranischen Islamisten. Ali Larijani habe aber hinzugefügt, dass die »Studenten« in Zukunft ihren berechtigten Zorn gegen die Briten auf gesetzlichen Wegen kundtun sollten, wie die Tageszeitung Kayhan berichtete. Weniger Verständnis hat Larijani für die Proteste der westlichen Staaten, er bezeichnete sie als »opportunistisch«.

Ähnlich urteilte Ayatollah Ahmad Khatami, derzeit einer der einflussreichsten Geistlichen im Iran: »Prinzipiell war diese Hassäußerung der Studenten passend und würdig.« Er begründete dies damit, dass die »Hände der Kolonialisten von den islamischen Ländern so schnell wie möglich kürzer« gemacht werden müssten, wie es die islamische Strafgesetzgebung bei Dieben vorsieht. Doch wie Larijani distanzierte er sich halbherzig, der Angriff auf eine ausländische Botschaft sei nicht angemessen. Dabei hatte er beim Teheraner Freitagsgebet gefordert, »nicht nur ›Tod Amerika‹ zu rufen, sondern auch ›Tod England‹«. »Tod Israel« gehört ohnehin zu den Standardparolen dieser Freitagspredigten.
Ayatollah Makrem Schirazi betonte, dass »die britische Regierung zu den alten Feinden« des Iran zähle. In der Zeitung Alef bezog sich der Kommentator Farhad Dadjou auf Ayatollah Khomeini, der einst zu Studenten gesagt haben soll, dass er den »revolutionären Hass« junger Menschen verstehe. Aber diese sollten ihren Kampf »wissenschaftlich« führen. Das Ergebnis dieses »wissenschaftlichen« Hasses war damals die Hinrichtung von Tausenden Andersdenkenden.
Dadjou begrüßt die Entscheidung des islamistischen »Parlaments«, das britische Botschaftspersonal auszuweisen. Er zitiert Khamenei, der gesagt habe, dass ein »Bassiji revolutionär sein muss, aber nicht illegal handeln« dürfe. Die Verantwortung für den Schutz der Botschaft trage die Regierung, sie falle nicht den Studenten zu. Doch die »revolutionäre Antwort« müsse adäquat sein. Solange der Feind keine Gewalt angewandt habe, dürfe man dies auch nicht tun.

Dadjou meint, die Studenten dürften selbst aktiv werden, wenn sie zu dem Ergebnis kämen, dass die Regierung die Ziele der islamischen Revolution nicht mehr verfolge. Er vergleicht den Angriff auf die britische Botschaft mit der Besetzung der US-Botschaft und der Geiselnahme von 52 Diplomaten am 4. November 1979. Damals hätten die Revolutionäre richtig gehandelt, denn die provisorische Regierung sei nicht wirklich revolutionär gewesen. Heute habe die Regierung von Ahmadinejad zwar viele Probleme, doch sei sie nicht mit der damaligen Regierung von Mehdi Bazargan zu vergleichen.
Die staatliche Nachrichtenagentur Mehrnews, die Ahmadinejad nahesteht, bezeichnete die Angreifer als »Studenten der Linie des Imam« – gemeint ist Khomeini. Die westlichen Reaktionen seien erstaunlich. Ausführlich werden die Besetzung der iranischen Botschaft in London durch iranische Oppositionelle im Mai 1980, eine Protestaktion im Juli 2009 vor der iranischen Botschaft in Stockholm und die Tötung von iranischen Diplomaten in Afghanistan durch al-Qaida – die als ein westliches Produkt betrachtet wird – mit dem Sturm auf die britische Botschaft in Teheran verglichen und gleichgesetzt.
Den Zweck des Angriffs erläuterte Mohammed Ismael Kossari, Vorsitzender der Kommission für nationale Sicherheit des Majless. Er sagte, dass »England und dessen Verbündete von dieser studentischen Aktion lernen sollten«, und warnte: »Wenn das Verhalten der westlichen Regierungen sich nicht ändert, muss man weitere Ereignisse erwarten.« Fatima Alia, die ebenfalls dieser Kommission angehört, forderte eine sofortige Abstimmung über die Verurteilung von 25 weiteren Botschaftern, die gegen die Gewalttaten protestiert hatten. Der Sprecher des iranischen Außenministeriums hat den Protest der Diplomaten als eine »Karnevalsveranstaltung« bezeichnet.

Die Propaganda entspricht dem im Iran in solchen Fällen üblichen Muster. Der religiöse Führer Khamenei schweigt, lässt aber seine Mitarbeiter den Angriff auf die Botschaft ideologisch rechtfertigen. Die ansonsten rivalisierenden Fraktionen sind sich in dieser Hinsicht einig: Das Regime hat sich für eine harte Antwort auf die neuen Sanktionen der Europäischen Union entschieden und reagiert aggressiv. Dass »weitere Ereignisse« folgen könnten, ist eine ernstzunehmende Drohung.
Da das antisemitische Regime immer die »Zionisten« für alle Probleme verantwortlich macht, ist es kein Zufall, dass Mohammed Reza Naqdi, der von Khamenei ernannte Kommandant der Bassiji, am vergangenen Freitag an die Forderung Khomeinis erinnerte, eine Armee von einer Million Freiwilligen für die »Befreiung« Jerusalems aufzustellen. Dies werde nun geschehen, versprach Naqdi nach Angaben der Nachrichtenagentur Farsnews. Überdies warnte Seyyed Hassan Firuzabadi, ein General der Bassiji, dass die ballistischen Raketen des Iran bereit ständen, um den »Feind zu bekämpfen«. Die Botschaftsbesetzung sollte die Entschlossenheit des Regimes im Kampf gegen den Westen deutlich machen.