Arbeitsmarktreform und soziale Proteste in Italien

Alte Probleme, neue Feinde

Die linke Metallgewerkschaft Fiom kritisiert die geplante Arbeitsmarktreform der italienischen Regierung unter dem Interimsministerpräsidenten Mario Monti. Die Gewerkschaft ruft zum Streik und zu einer Großdemonstration am 9. März in Rom.

Elsa Forneros Tränen sind getrocknet. Bei der Vorstellung der Rentenreform war die italienische Arbeitsministerin im Bewusstsein der »Opfer«, die ihre Politik fordern würde, noch ins Schluchzen geraten. Solche Sentimentalitäten hat sie sich inzwischen abgewöhnt. Ihre geplante Arbeitsreform will sie im März verabschieden, »mit oder ohne Einverständnis der Sozialpartner«.
Nachdem im Dezember das allgemeine Renteneinstiegsalter für Männer und Frauen angehoben worden ist, sollen nun die gesetzlichen Grundlagen für eine »gute Flexibilität« im »Ein- und Ausstiegsbereich« des Arbeitsmarktes geschaffen werden. Vorgesehen sind vereinheitlichende Regelungen für Leiharbeit und befristete Arbeitsverhältnisse sowie eine Zusammenlegung der Sozialleistungen im Falle von Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit. Vor allem will die Ministerin Artikel 18 des Arbeitsrechts »verändern«, der unbefristet Beschäftigten einen umfassenden Kündigungsschutz garantiert.
Längst geht es nicht mehr um die »Rettung Italiens« aus der Schuldenkrise, unverhohlen verkündete Ministerpräsident Mario Monti die grundsätzliche Regierungsmission: eine »Reform der Geisteshaltung«. Fornero hatte zuvor bekundet, mit der Arbeitsreform »den Lebenszyklus der Menschen verändern« zu wollen.

Gegen diese totalitären Ansprüche ruft die Metallgewerkschaft Fiom zu einem landesweiten Streik und für den 9. März unter dem Motto »Demokratie am Arbeitsplatz« zu einer zentralen Demonstration in Rom auf. Gegen Montis nachholende Deregulierungspolitik fordert die Fiom den Erhalt von Arbeitsrechten und die Garantie demokratischer Mitbestimmung innerhalb und außerhalb der Fabriken. Ihre Forderungen sind damit anschlussfähig an andere soziale Proteste.
Dass ausgerechnet die linke Branchengewerkschaft zum ersten großen Protest gegen die Regierung der Professoren und Technokraten aufruft, ist kein Zufall. Vor wenigen Jahren wurde der Manager Sergio Marchionne als »Retter von Fiat« präsentiert. Er sollte den krisenanfälligen Autokonzern sanieren, die italienischen Werke modernisieren und neue Modelle entwickeln. Stattdessen verlagerte der neue Geschäftsführer die Produktion zunehmend nach Polen, später auch nach Serbien. Das sizilianische Fiat-Werk wurde geschlossen, Investitionen in andere Werke des Landes erfolgen seit 2010 nur noch unter Einschränkung grundlegender Arbeitsrechte. Als eine ihrer letzten Amtshandlungen verabschie­dete die Regierung Silvio Berlusconis im Sommer vergangenen Jahres ein Gesetz, das entsprechende betriebliche Vereinbarungen als »Abweichungen« von nationalen Tarifvereinbarungen rückwirkend erlaubt.
Während sich die christlich-konservativen Metallgewerkschaften FIM-CISL und UILM im Namen der »Standortsicherung« Marchionnes Diktat gebeugt haben, weigert sich die Fiom, betriebliche Vereinbarungen zu unterzeichnen, die geltendes Tarifrecht und das in der Verfassung verbürgte Streikrecht außer Kraft setzen. Fiat untersagt deshalb seit Jahresbeginn der Fiom jegliche inner­betriebliche gewerkschaftliche Tätigkeit. Fiom-Betriebsräte werden ausgeschlossen, Beschäftigte, deren Fiom-Mitgliedschaft bekannt ist, werden beobachtet und schikaniert. Im neapolitanischen Pomigliano d’Arco, wo die Reorganisation des Werks mit einer rechtlichen »Neugründung« einherging, wurden bei den bisherigen 2000 »Neueinstellungen« keine Fiom-Mitglieder berücksichtigt. Im Werk in Melfi wird drei Fiom-Mitgliedern, die Fiat der Sabotage bezichtigt und entlassen hat, der Zutritt zur Fabrik verweigert, obwohl ein Berufungsgericht die Reintegration der Mitarbeiter angeordnet hat. Fiat will nun mit seiner Klage vor das Verfassungsgericht ziehen. Die Fiom ihrerseits hat über das Onlineportal »labourstart.org« zu einer internationalen Unterschriftenkampagne gegen die Missachtung der Gewerkschaftsfreiheit in den Fiat-Werken aufgerufen.
Während der vergangenen beiden Jahre bezichtigten Liberale die Fiom häufig, nur die Rechte pri­vilegierter Arbeiterinnen und Arbeiter mit Festanstellung zu verteidigen. Zugleich verdächtigte man die Metallgewerkschaft, linksradikale Revolten zu schüren. Tatsächlich hat die Fiom weit über die Branchengrenzen hinaus an Gewicht gewonnen. Sie ist im Bündnis mit Gruppen aus der Bewegung Studierender und prekär Beschäftiger zur wichtigsten Kraft der außerparlamentarischen Linken geworden.
Als der Generalsekretär der Fiom, Maurizio Landini, auf der nationalen Delegiertenkonferenz Mitte Februar den Demonstrationsaufruf vorstellte, leitete er seine Rede dennoch mit klassischen Gewerkschaftsthemen ein: Die Fiom werde weiter gegen die ungerechte Rentenregelung protestieren und die Aushandlung und Einhaltung nationaler Tarifvereinbarungen einklagen. Unmissverständlich stellte er klar, dass der Artikel 18 für die Fiom nicht verhandelbar sei. Das war eine klare Auf­forderung an die Vorsitzende des Gewerkschaftsbunds CGIL, Susanna Camusso, in den Verhandlungen um die Arbeitsreform unter keinen Umständen dem Druck der Regierung oder den Kompromissvorschlägen anderer Gewerkschaften nachzugeben. Im Kampf gegen die prekären Arbeitsverhältnisse müsse vielmehr der Kündigungsschutz ausgeweitet werden. Des Weiteren gelte es, die Steuerfreiheit von Überstunden aufzuheben und stattdessen die Arbeit durch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung umzuverteilen. In aller Deutlichkeit wies Landini rechtspopulistische Versuche zurück, die italienische Arbeiterschaft gegen osteuropäische Fiat-Belegschaften aufzuhetzen. Schließlich betonte er, dass sich die Forderung nach mehr »Demokratie am Arbeitsplatz« branchen- und grenzüberschreitend gegen eine sozialrechtliche Nivellierung richte. Die Fiom kämpfe in »konkreter Solidarität« mit den Griechinnen und Griechen gegen die dem Nachbarland auferlegten Sparprogramme und für einen föderal und demokratisch organisierten europäischen Sozialstaat.

Parteipolitisch wird die Demonstration der Fiom nur von den linken Splitterparteien unterstützt. Die Demokratische Partei, die im Parlament in einer großen Koalition mit den rechtskonservativen Parteien Montis Regierung mitträgt, steht dagegen einmal mehr vor einer Spaltung. Die Streitfrage, ob sich Parteiangehörige an der Demonstration beteiligen dürfen, wurde unter Verweis auf die Notwendigkeit der Verteidigung der Gewerkschaftsfreiheit für die Fiom beigelegt. In der Auseinandersetzung um die Arbeitsreform scheint ein Bruch jedoch unvermeidlich: Der sozialdemokratische Parteiflügel tendiert zu einem Bündnis mit Nichi Vendolas Linkspartei SEL. Der liberaldemokratische Flügel begeistert sich dagegen für Montis Regierung, die die neoliberale Politik Ber­lusconis auch dort umsetzt, wo dieser sich von seinem Populismus zurückhalten ließ. Denn anders als sein Vorgänger muss Monti auf keine Wählerbasis Rücksicht nehmen, er regiert unter Berufung auf den »Notstand«. Und ähnlich wie Marchionne, der bei Fiat die Rechte der Belegschaft ignoriert, übergeht Monti die Bevölkerung. Umso schärfer manifestiert sich deshalb der Konflikt: Während die eine Seite den »Eintritt ins 21. Jahrhundert« propagiert, warnt die andere vor dem »Rückfall ins 19. Jahrhundert«. Die Fiom und ihrer Verbündeten werden die Errungenschaften des alten Jahrhunderts jedenfalls nicht kampflos aufgeben.