Über den Parteitag der Piratenpartei

Freies Netz, freies Geld

Auch »Zinskritiker« sind in der Piratenpartei zu finden, die Verbindungen zu Gesellianern und Freigeldfreunden sind eng. Ein »Zinskritiker« wurde auf dem Bundesparteitag der Piraten zum politischen Geschäftsführer gewählt.

Wenn Piraten dieser Tage auf ein Wort besonders genervt reagierten, dann war es nicht etwa »Acta« oder »Interzensur«, sondern »Einzelfall«. Immer wieder waren rechtsextreme Äußerungen diverser Parteimitglieder von einigen Amtsinhabern auf unterschiedlichen Regionalebenen als Einzelfälle verharmlost worden – bis Leute wie Johannes Loepelmann genug hatten. Er habe mit seinem Blog »Bedauerliche Einzelfälle« aufzeigen wollen, dass es eben »nicht nur ein paar Einzelfälle« seien, die man ignorieren könne oder solle, wie von einigen Vorstandsmitgliedern oder Pressesprechern behauptet, sondern dass die Piraten »ein Problem damit haben«, sich »klar von solchen Äußerungen abzugrenzen«, sagt der Rostocker der Jungle World.

Er sei zwar nicht glücklich damit, eine Art öffentlichen Pranger erschaffen zu haben. »Aber ich hatte es satt, dass versucht wird, solche Sachen auszusitzen, anstatt sich offensiv damit zu beschäftigen.« Außerdem handele es sich in aller Regel um Tweets, »die von den jeweiligen Autoren öffentlich ins Netz gestellt worden sind«. Beim Bundesparteitag in Neumünster gingen einige Parteimitglieder am Wochenende einen Schritt weiter und veröffentlichten auf dem Blog »Pirantifa« Einzelheiten zu Kandidaten für Vorstands- oder Schiedsrichterämter, die zuvor durch antisemitische oder verschwörungstheoretische Hetze aufgefallen waren. Außerdem erstellten sie ein Poster, auf dem im Stil eines Fahndungsplakats typische Äußerungen und Merkmale unerwünschter Gruppe wie Antisemiten, Esoteriker oder Rassisten aufgeführt werden. Interessanterweise werden auch »Zinskritiker« genannt. Mit Johannes Ponader wurde jemand zum politischen Geschäftsführer gewählt, der genau dieser Gruppe zuzurechnen ist. Dass Ponader der Nachfolger der im Amt äußerst erfolgreichen Marina Weisband wurde, ist jedoch nicht weiter verwunderlich. Immer wieder stößt man in den Terminkalendern von Verbänden der Piratenpartei auf Veranstaltungen, bei denen es um Themen wie das Grundeinkommen, das »Regionalgeld« oder Alternativen zum bestehenden Geldsystem geht – und diese hängen weit enger zusammen, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Johannes Ponader hat sich schon vor Jahren als Verfechter des »bedingungslosen Grundeinkommens« (BGE) einen Namen gemacht. Oft hält der Theaterwissenschaftler Vorträge und Schulungen gemeinsam mit Ralph Boes von der »Bürgerinitiative Bedingungsloses Grundeinkommen« ab. Boes, der rechten Internet-TV-Sendern wie »alpenparlament.tv« bereits mehrmals Interviews gab, schwärmte in Reden davon, dass das kommende »Vierte Reich« durch das BGE »das richtige« werden könne. Seine Bürgerinitiative lässt sich gern von Bernd Senf beraten, einem Esoteriker und Verschwörungstheoretiker.

Wie viele »Zinskritiker« ist auch Senf ein sogenannter Gesellianer, also ein Anhänger der Freiwirtschaftslehre von Silvio Gesell. In Gesells Geld- und Bodenreform, so sagt sogar der Politikwissenschaftler Elmar Altvater, sei »ein struktureller Antisemitismus angelegt«, dem Informationsportal »esowatch.com« zufolge wird seine Lehre »häufig in der rechtsesoterischen Szene verehrt und seine Kritik am Zins- und Finanzsystem zu Verschwörungstheorien herangezogen, die darauf hinauslaufen, dass die Weltbevölkerung durch Agenten einer ominösen NWO (Neue Weltordnung, Anm. d. Red.) im Bündnis mit ›jüdischer Hochfinanz‹ mit Hilfe des Zins- und Zinseszinssystems geknechtet und ausgebeutet werde«. »Hochfinanz« ist ein Wort, das auch Ponaders Kollege Boes gern benutzt, der schon vor der Wahl seines Kollegen immer gern auf seine guten Kontakte zur Piratenpartei hinwies.
Derer rühmt man sich auch beim Verein »Global Change Now«, der in der Köthener »Villa Creutz« seine Bundeszentrale hat. Global Change Now wirbt mit Kongressen und Kampagnen für Gesells Freiwirtschaft und präsentiert auf der eigenen Website nicht nur stolz ein Interview mit der ehemaligen politischen Geschäftsführerin der Piratenpartei, Marina Weisband, sondern zeigt auch, wie weit die Verbindungen zur Partei sonst noch reichen. »Entgegen dem in den Medien gerne verbreiteten Klischee zeigen die Piraten in Sachsen-Anhalt hohes Interesse an der Erarbeitung eines ausgereiften Wirtschaftskonzeptes«, heißt es auf der Internetseite des Vereins. Anfang 2012 habe sich »eine Vielzahl von Piratenmitgliedern aus Sachsen-Anhalt« in Köthen getroffen, um sich tiefer mit dem als »zu langweilig und kompliziert« geltenden Thema »Volkswirtschaft« zu beschäftigen. Am 15. April, so vermeldet die Website stolz, habe der Landesparteitag der Partei dann ein Positionspapier beschlossen – auf Basis des bei den Gesellianern Gelernten. Die Website des Vereins wird von Werner Onken betrieben, der das Gesamtwerk Gesells herausgegeben hat und in Interviews, wie zuletzt mit der Süddeutschen Zeitung, immer wieder zu entkräften versucht, dass Gesell ein Antisemit war.

Zinsen abzuschaffen, ist auch das Ziel von »Neues Geld« (www.lust-auf-neues-geld.de), einer weiteren Vereinigung von Gesellianern, die gern mit Global Change Now zusammenarbeitet. Zu den Gründern gehört Wolfgang Berger, der in einem Interview mit dem islamistischen Forum »Muslimmarkt« sagte: »Den wenigen, denen die inzwischen gigantischen Kapitaleinkommen zufließen, gehört bald alles – und alle anderen sind praktisch deren Sklaven.«
Global Change Now unterhält zudem enge Verbindungen zur »Wissensmanufaktur«, bei der unter anderem Andreas Popp tätig ist, ein Verschwörungstheoretiker, der sich »esowatch.com« zufolge immer wieder gern von rechten TV-Sendern interviewen lässt. Im Beirat der »Wissensmanufaktur« sitzt auch der als »Euro-Kritiker« bekannte Jurist Karl Albrecht Schachtschneider, der nicht nur als Sachverständiger für die NPD arbeitete, sondern sich unter anderem auch von der antisemitischen »Bürgerrechtsbewegung Solidarität« und anderen rechten Verschwörungstheoretikern interviewen ließ.

Ebenfalls im Beirat der »Wissensmanufaktur« ist Michael Vogt, der 2007 nach Rechtsextremismusvorwürfen als Honorarprofessor für Journalistik an der Universität Leipzig entlassen wurde. Seit 2009 gehört Vogt zu den Betreibern des Schild-Verlags, in dessen Sortiment verschwörungstheoretische Bücher, Musik-CDs der rechtsextremen Rapperin Dee Ex sowie Produktionen des ebenfalls auf rechte Verschwörungstheorien spezialisierten schweizerischen »alpenland.tv« erhältlich sind, als dessen Moderator Vogt ebenfalls arbeitet. Johannes Ponader antwortete auf eine Anfrage zu seinen Kontakten ins Milieu der Freigeldfreunde und Gesellianer nicht. Deutliche Worte fand hingegen der Antifaschist Stephan Urbach, ebenfalls Mitglied der Piratenpartei. Er sagte der Jungle World zur Zusammenarbeit zwischen Gesellianern und Parteimitgliedern, er habe »die zinskritische Kackscheiße satt – zumal am Ende immer, immer die Verschwörungstheorie vom alles beherrschenden Weltjudentum steht«.