Die 58. Kurzfilmtage in Oberhausen

Papas Kino stirbt

Mehr Schatten als Lichtspiele: Die Kurzfilmtage Oberhausen sind eines der letzten wichtigen Kulturereignisse in einer verarmten Region. Holger Pauler berichtet von den 58. Internationalen Kurzfilmtagen.

Die Oberhausener City bietet keinen Stoff für Hollywood. Die ärmste Stadt Deutschlands ist eher ein Fall für die »Tagesschau« – vor allem dann, wenn Politiker erklären wollen, warum rund 20 Jahre nach der Wiedervereinigung jetzt doch gefälligst auch mal das Ruhrgebiet an der Reihe sei, Subventionen zu erhalten. Sollte das nicht passieren, behaupten viele, dann »gehen hier endgültig die Lichter aus«.
Ein nette Idee, wenn sie nicht sowieso bereits ausgehen würden: In Oberhausen setzte die Stadtverwaltung nach dem Niedergang der Schwerindustrie in den achtziger Jahren auf zahlungskräftige Kunden von außerhalb. Und spätestens seit vor 15 Jahren wenige Kilometer nördlich mit dem Einkaufsparadies »Centro« eine »Neue Mitte« geschaffen wurde, ist es nicht erst nach Sonnenuntergang zappenduster und gähnend leer in der einzigen Einkaufsstraße der ehemaligen Montanstadt.
Die Besucher der Kurzfilmtage sind jedenfalls mittendrin. Wer nach den Vorführungen den zentralen Spielort des Festivals, die Lichtburg, verlässt, um den Kopf frei zu bekommen, der trifft vor allem auf: Festivalgäste. Und die sind in der Regel nicht in den Ruhrpott gekommen, um Geld auszugeben. Das haben sie mit den Einheimischen gemein. Die Folgen davon sind unübersehbar. An einem Juweliergeschäft gegenüber dem Kino hängt das Schild: Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe. Uhren, Ketten und Ringe gibt es um 50 Prozent billiger. Für die Masse immer noch zu viel. Nur ein paar Schritte weiter hat vor kurzem ein Leihhaus eröffnet. Die Waren im Schaufenster sind die gleichen wie beim Juwelier. Der Besitzer ist allerdings ein anderer.
Die Pro-Kopf-Verschuldung der Oberhausener liegt bei mehr als 8 000 Euro. In dieser Umgebung haben es die Kurzfilmtage nicht leicht. Doch an der Fortexistenz des Festivals wird nicht gezweifelt. Im Gegenteil: Von Seiten des Oberbürgermeisters und der noch amtierenden Landesregierung gab es beruhigende Worte: Niemand habe die Absicht, die Subventionen zu streichen. Das hört sich gut an. Aber warum soll hier nicht gespart werden?
»Als die Nummer eins unter den Kurzfilmfestivals der Welt ist Oberhausen als Weltkulturgut seine eigene beste Bestandsgarantie«, glaubt der frühere Präsident des Goethe-Instituts und SPD-Kulturpolitiker Hilmar Hoffmann. Die Kurzfilmtage waren seine Idee. 1954 rief er sie ins Leben und war bis 1970 ihr Leiter. In seiner Rede zur Eröffnung der diesjährigen Veranstaltung gab Hoffmann sich besonders kämpferisch: »Freiheit« und »Autonomie« seien so etwas wie der »gemeinsame genetische Code« der 26 Unterzeichner des »Oberhausener Manifests«, das in diesem Jahr sein 50jähriges Jubiläum feiert.
Das Manifest ist auch heute noch für viele deutsche Filmemacher wichtig, auch wenn es nicht allzu viele gelesen haben dürften. Der Slogan »Papas Kino ist tot« hat Eingang in die Alltagssprache gefunden, obwohl er nicht im Manifest vorkommt. »Wir wollten nicht mehr, dass diese mittelmäßige, spießige deutsche Story, die nichts anderes als die Fortsetzung der UFA nur ohne Goebbels war, weitergeht«, erinnert sich Regisseur Edgar Reitz. »Da fühlten wir uns nicht als Erben. Sondern wir waren die neue, in der Demokratie aufgewachsene Jugend, die den Anschluss an die Welt suchte.«
Zur Erinnerung an das Manifest wurde in diesem Jahr ein Programm mit dem Titel »Mavericks, Mouvements, Manifestos« gezeigt. Im Mittelpunkt stand der cineastische Aufbruch in Europa, in den USA und in Japan der fünfziger bis siebziger Jahre. »Une Histoire d’eau« von Jean-Luc Godard und François Truffaut aus dem Jahr 1961 gehörte ebenso dazu wie Bernhard Dörries’ »Das Mannequin«, »The Cry of Jazz« von Edward Bland oder »Honoo 1960–1970« von Eizō Yamagiwa. Bereits am Eröffnungsabend lief der ebenso verstörende wie programmatische Kurzfilm »Arme Leute« des Mitunterzeichners des Manifests, Vlado Kristl, aus dem Jahr 1963. Heute würde der Film wohl in Oberhausen gedreht werden.
Hilmar Hoffmann meint, die »Oberhausener« hätten neben den Literaten der Gruppe 47 zu jener ersten Generation gehört, die im neuen Wohlstand der Republik zu kritischem Bewusstsein gelangt seien. Doch vom Wohlstand ist im Ruhrgebiet nicht mehr allzu viel übrig, vom kritischen Bewusstsein auch nicht, seit sich das westliche Ruhrgebiet immer mehr zur kulturellen Diaspora entwickelt hat. Knapp anderthalb Jahre nach dem Ende der Festspiele ruhr.2010 ist die Stimmung im Kulturbereich denkbar schlecht. Vom herbeigeschriebenen und -geredeten Aufbruch ist nichts mehr zu spüren. Städtischen Theatern drohen Kurzarbeit und Fusionen, Festivals stehen vor dem Aus. Mehrere Millionen Euro wurden damals allein vom WDR aufgebracht, damit die Eröffnungs- und Schlussfeier zur Kulturhauptstadt stattfinden konnten.
»Das Geld hätte man besser verteilen können«, sagt der Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage, Lars Henrik Gass. Er ist in seinem Urteil dabei noch recht vorsichtig. Gass kritisiert die Entföderalisierung im Kulturbereich, die sich nach dem Ende von ruhr.2010 noch verstärkt habe. »Alles schaut nach Berlin, andere Regionen haben einen extremen Aderlass«, so Gass weiter.
In Duisburg, der vielgescholtenen Nachbarstadt Oberhausens, geht seit dem Love-Parade-Desaster vor drei Jahren nichts mehr. In diesem Jahr wurde das Traumzeit-Festival im Landschaftspark-Nord abgesagt, weil 250 000 Euro fehlen. Das Theater- und Musikfestival Akzente steht ebenfalls auf der Kippe. Auf der anderen Rheinseite, in Moers, stellt eine Koalition aus CDU und Linkspartei die Finanzierung des weit über die Landesgrenzen bekannten New Jazz Festivals in Frage. Die Klientel könne »mit dem atonalen Lärm nichts anfangen«, sagt etwa die Fraktionsvorsitzende der »Linken«. Sie setzt sich lieber für saubere Straßen und breitere Bürgersteige ein. Oberhausen bleibt von derartigen Kämpfen bislang verschont. Die Gelder seien relativ sicher, sagt Lars Henrik Gass. In seine Zeit fiel auch die Gründung der Festival GmbH vor etwa zehn Jahren. Seitdem überlebt das Festival dank einer Mischfinanzierung, an der die Kommune Oberhausen mit 60 Prozent beteiligt ist. Das Überleben der Kurzfilmtage sei aus seiner Sicht notwendig: »Der überwiegende Teil der Filme wird fast ausschließlich auf Festivals gezeigt und ausgewertet.« Und deren Bedeutung wird wohl noch zunehmen, da dem Film das Kino als Ort, in dem Film zu einer eigenständigen gesellschaftlichen Wahrnehmungsform wurde, in Zeiten des Multiplex immer unwichtiger wird. Eine Erkenntnis, die Gass in seinem kürzlich erschienen Buch »Film und Kunst nach dem Kino« erläutert.
Doch die Probleme sind vielschichtiger und machen nicht beim Festival halt. Eine ganze Branche verkauft sich derzeit unter Wert. »Die Vorstellung, dass Beschäftigte im Kulturbereich für weitaus weniger arbeiten könnten und sollten als andere Leute, muss sich ändern«, sagt Lars Henrik Gass. Auf dem Festival mischte er sich in die Debatte über einen angeblich drohenden »Kulturinfarkt« und die Forderung nach Subventionsstreichungen ein. Der geforderte »Rückbau« von Kultur finde längst statt, so Gass: »Auf Kosten derjenigen, die sie machen.« Er würde es daher begrüßen, wenn im Zuge der geplanten Kulturfördergesetzgebung im Land NRW »Mindesthonorare und -gehälter ebenso geregelt und kontrolliert werden wie Höchsthonorare und -gehälter«, so Gass in seiner Eröffnungsrede.
Er weiß aber auch, dass er noch vom derzeitigen System profitiert. Es sei streng genommen »eine Anmaßung von uns Nordrhein-Westfalen«, anlässlich des 50. Jubiläums des »Oberhausener Manifests« ein großes Projekt zu planen, das Werk und Wirkungsgeschichte seiner Unterzeichner zum Gegenstand hat: »Wir nannten es mit gutem Grund ›Provokation der Wirklichkeit. Das Oberhausener Manifest und die Folgen‹, denn es wird im Wesentlichen mit Mitteln der Kulturstiftung des Bundes finanziert, also mit Hilfe öffentlicher Mittel, Mitteln für die Öffentlichkeit«, sagt Gass.
Die Rechnung der Kulturförderung geht trotzdem nicht auf: Bund, Länder und Kommunen geben jährlich acht Milliarden Euro für Kultur aus. Das sind weniger als ein Prozent des Bundeshaushaltes. Freiberufler müssen im Schnitt mit 1 000 Euro im Monat auskommen. Als vor nicht allzu langer Zeit erste Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen aufkamen, lag der geforderte Betrag etwa in dieser Größenordnung: Der Künstler soll sich als irgendwo zwischen Hartz IV und Grundeinkommen einordnen. Verelendung als Förderung von Kreativität?
Zur Romantik taugt das nicht. »Im Endeffekt führt es dazu, dass in erster Linie billige Filme gedreht werden«, sagt der Produzent Carsten Böhnke. Gemeinsam mit seiner Partnerin, der Regisseurin Eka Papiashvili, drehte er den Film »Gogona Goridan« (Das Mädchen aus Gori), der im internationalen Kinder- und Jugendfilmwettbewerb lief und dort immerhin eine »lobende Erwähnung« der Kinderjury bekam, weil deren Mitglieder »die Schauspieler und die Geschichte sehr mochten«, hieß es in der Begründung.
Der Kurzfilm wurde in Georgien gedreht. Er handelt von einem Schüler, der seine neue Mitschülerin mobbt und ihr die Buntstifte klaut. Am Ende versöhnen sie sich. Die Herstellung des Films kostete etwa 100 Euro, die Story musste vor Ort umgeschrieben werden, da die Rollen der Kinder kurzfristig umbesetzt wurden. »Es war ein anarchischer Dreh«, sagt Böhnke, und es war der erste Film des Paars. Dass sie damit gleich nach Oberhausen eingeladen wurden, sei »ein Traum«, sagt Eka Papiashvili. »Wir haben das trotz und nicht wegen der Produktionsbedingungen geschafft.« Geld zum Leben verdienen sie mit Werbefilmen über Hotels in Ferienorten. Oberhausen war noch nicht dabei.