Über alte und neue Intrigen im Vatikan

Den Raben ist nicht alles heilig

Im Vatikan gibt es Intrigen, Machtkämpfe und Geldwäsche. Das hat sich jüngst zum wiederholten Mal gezeigt.

Im Vatikan laufen die Vorbereitungen für das nächste Konklave. Das Intrigenspiel in der Römischen Kurie deutet darauf hin, dass sich die Kar­dinäle auf eine baldige Einberufung der Versammlung zur Wahl eines neuen Papstes einstimmen. Als im Februar ein vertrauliches Schreiben aus dem Vatikan in der Presse auftauchte, in dem über den Tod Papst Benedikts XVI. spätestens im November dieses Jahres spekuliert wurde, galt die Enthüllung des vermeintlichen »Mordkomplotts« noch als möglicher Plot eines Mysterythrillers. Doch nun geben die fortgesetzten Veröffentlichungen geheimer Dokumente Einblicke in einen seit langem schwelenden Machtkampf. In der Personaldebatte um die Nachfolge Josef Ratzingers geht es um die macht- und finanzpolitische Ausrichtung des Vatikanstaats, vor allem um die zukünftige Organisation der Vatikanbank, des sogenannten Instituts für religiöse Werke (IOR).
Nachdem seit Monaten immer wieder vertrauliche Dokumente aus dem Vatikan veröffentlicht worden waren, erschien Anfang Mai das Buch »Sua Santità« (Seine Heiligkeit) des Enthüllungsjournalisten Gianluigi Nuzzi mit mehreren privaten Briefen aus der päpstlichen Korrespondenz. Der Inhalt der Schriftstücke und Nuzzis Zusammenstellung ergeben zusammen ein problematisches Bild des Kardinalstaatssekretärs Tarcisio Bertone. Ihm wird vorgeworfen, das Vertrauen des Papstes zu missbrauchen und seinen Einfluss auszuweiten, indem er seine Gegner aus ihren Ämtern in den Leitungs- und Verwaltungsorganen des Vatikans entferne. So beklagt sich in einem der veröffentlichten Briefe Carlo Maria Viganò, der ehemalige Vorsitzende der Haushalts- und Finanzkommission des Vatikans, er sei als Nuntius nach Washington abgeschoben worden, weil er Korruption und Amtsmissbrauch in der Kurie bekämpft habe. Viganò unterstellt Bertone, eine »unvorstellbare Situation« begünstigt oder zumindest gedeckt zu haben.
Der Vatikan nannte die Veröffentlichung Nuzzis einen »kriminellen Akt« und kündigte an, wegen »Hehlerei« mit gestohlenen Privatdokumenten gegen den Autor und seinen Verlag gerichtliche Schritte einzuleiten. Da eine Auslieferung Nuzzis an die Gerichtsbarkeit des Vatikanstaats jedoch nicht zu erwarten ist, konzentriert sich die päpstliche Gendarmerie auf die als »Raben« beschimpften Verräter innerhalb der eigenen Stadtmauern. Nur wenige Tage nach dem Erscheinen des Buches präsentierte die eigens eingesetzte dreiköpfige Untersuchungskommission einen Verdächtigen: Der Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele, soll für die Weitergabe der Privatpost verantwortlich sein. Doch auch nach seiner Verhaftung gelangten Indiskretionen an die Öffentlichkeit, und längst ist klar, dass Nuzzi mehrere Informanten hatte. In einem anonymen Interview mit der Tageszeitung La Repubblica gestand einer der »Raben«, sie seien inzwischen so viele, dass aus ihrer Anklage der Missstände im Vatikan ein vielstimmiges und dissonantes Krächzen geworden sei: »Es gibt diejenigen, die sich gegen Kardinalstaatssekretär Bertone stellen. Diejenigen, die denken, Benedikt XVI. sei zu schwach, um die Kirche zu führen. Und diejenigen, die einfach nur glauben, es sei der richtige Moment, eigene Ansprüche geltend zu machen.«
Dass der Aufsichtsrat der Vatikanbank unter dem Vorsitz von Bertone dem IOR-Präsidenten Ettore Gotti Tedeschi just in diesen Tagen sein Misstrauen aussprach und ihn damit zum Rücktritt zwang, passt zu dem von Nuzzi skizzierten Bild des mächtigen Kardinalstaatssekretärs. Bertone unterhielt stets enge Kontakte zur Führungsriege von Silvio Berlusconis Rechtsbündnis. Er war mit den Regierungsbeamten, Bankiers und Bauunternehmern, die sich in den vergangenen Monaten wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht verantworten mussten, direkt bekannt oder wusste von Amts wegen, dass sie für die Kurie Aufträge ausführten und bei der Vatikanbank Konten unterhielten. Gotti Tedeschi wollte solche Grauzonen im IOR nicht akzeptieren, vielleicht bescheinigt ihm das Entlassungsschreiben auch deshalb, »grundlegenden Anforderungen« des Amtes nicht genügt zu haben.

Bereits 2009 hatte Nuzzi die lange Geschichte der vatikanischen Finanz- und Politikskandale anhand ihm zugespielter Unterlagen eines verstorbenen Mitarbeiters der kirchlichen Finanzverwaltung neu aufgerollt. »Vatikan AG« wurde ein internationaler Bestseller. Der Autor rekapituliert darin nicht nur die kriminellen Finanztransaktionen des ehemaligen IOR-Präsidenten Paul Casimir Marcinkus mit dem Mafia-Geldwäscher Michele Sindona und die Rolle der Vatikanbank beim betrügerischen Bankrott von Roberto Calvis Mailänder Bank Ambrosiano. Er zeigt außerdem, dass das IOR auch nach Bekanntwerden dieses Skandals als Offshore-System weiterfunktionierte. Geistliche Mittelsmänner eröffneten für hochrangige italienische Politiker und Mafiabosse wie Bernardo Provenzano Nummernkonten mit den Tarnnamen ominöser religiöser Stiftungen.

Als Anfang der neunziger Jahre der Korruptionsskandal »Tangentopoli« aufflog, entdeckten die italienischen Staatsanwälte, dass alle größeren Schmiergeldzahlungen über IOR-Konten gelaufen waren. Die Vatikanbank war für viele ein Steuerparadies und eine Geldwaschanlage, während Papst Johannes Paul II. mit den Gewinnen aus den illegalen Geschäften antikommunistische Bewegungen in Osteuropa finanzierte.
Nuzzi betont auf den letzten Seiten von »Vatikan AG«, dass mit Ratzingers Amtsantritt eine »behutsame Säuberung« des IOR eingeleitet worden sei. Doch die Zerschlagung des illegalen Kontensystems gestaltet sich offenbar schwierig. Im Oktober 2010 beschlagnahmte die italienische Staatsanwaltschaft 23 Millionen Euro unter dem Verdacht, das IOR habe die Summe über ausländische Konten waschen wollen. Gotti Tedeschi zeigte sich ungewohnt kooperativ gegenüber den Behörden und schließlich wurde die Beschlagnahmung aufgehoben, nachdem der Vatikan im Dezember 2010 ein Abkommen mit der Europäischen Union unterzeichnet hatte, in dem er sich verpflichtet, die EU-Richtlinien zur Verhinderung von Geldwäsche einzuhalten. Derzeit prüft der Expertenausschuss Moneyval des Europa-Rats, ob die Vatikanbank inzwischen die OECD-Standards erfüllt und in die »Weiße Liste« der transparenten Geldinstitute aufgenommen werden kann. Für Juli ist das abschließende Urteil angekündigt. Gleichzeitig aber liegen der italienischen Justiz noch mehr als ein Dutzend Meldungen der staatlichen Finanzaufsicht über verdächtige Transaktionen des IOR vor.

Man kann Nuzzis zweites Buch zum jetzigen Zeitpunkt auch als Parteinahme für die »Ratzi-Banker« im Kampf gegen alte IOR-Seilschaften lesen. Jedenfalls beteuert der Autor im Gleichklang mit seinen Informanten, unter denen zuletzt Gotti Tedeschi selbst, aber auch Ratzingers Privatsekretär Georg Gänswein vermutet wurden, nur zum Wohle des Heiligen Vaters gehandelt zu haben. Der Papst zeigte sich am Wochenende auf dem Weltfamilientag in Mailand demonstrativ zusammen mit seinem vermeintlichen Widersacher Bertone. Die »Heiligkeit« der christlichen Familie wird schließlich von beiden propagiert, in Hinblick darauf herrscht die viel beschworene Einigkeit. Doch über die Fähigkeit des Papstes, den Machtkampf in der Kurie noch führen zu können, wird mittlerweile auch unter papsttreuen Intellektuellen und devoten Atheisten spekuliert. Sie raten Benedikt XVI., durch einen wohlkalkulierten Rücktritt die Wahl eines von ihm designierten Nachfolgers zu ermöglichen und damit zur Erneuerung des Geistes seines Pontifikats beizutragen. So ein Coup ist von Ratzinger jedoch kaum zu erwarten. Bereits vor Monaten hatte er im Jargon eines treuen Soldaten klargestellt, dass man »in der Gefahr« nicht davonlaufen dürfe.