Debatte über Gummigeschosse bei Demonstrationen in Hamburg

Sicherer ohne Gummi

Wasserwerfer, Pfefferspray, Schlagstöcke und Pferde genügen dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft nicht. Angesichts der jüngsten Krawalle in Hamburg fordert er den Einsatz von Gummigeschossen.

Als Anfang Juni 700 Nazis in Hamburg aufmarschierten, hielten Tausende Gegendemonstranten Sitzblockaden ab. Andere bauten Barrikaden oder griffen sogar direkt Polizisten an. Insgesamt wurden bis zu 60 Beamte verletzt. Die Polizei setzte bei dem Versuch, den Nazis den Weg freizumachen, Wasserwerfer, Pfefferspray, Schlagstöcke und die Reiterstaffel gegen die Protestierenden ein. Dabei gab es mehrere Schwerverletzte. Eine 42jährige Frau erlitt eine Schädelfraktur. Der Ermittlungsausschuss berichtete zudem, dass Polizisten einem Rollstuhlfahrer die Hand gebrochen hätten.
Nun wird heftig über den Polizeieinsatz diskutiert. Die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Antje Möller bezeichnete das Vorgehen der Polizei bei der Räumung friedlicher Blockaden als »sehr robust und zum Teil unverhältnismäßig rabiat«. Christiane Schneider von der Linkspartei bemängelte, die Polizei habe nicht zur Deeskalation beigetragen. »Hier wird einiges aufzuarbeiten sein, auch die stundenlange Einkesselung von Hunderten Menschen«, sagte sie. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, zog allerdings völlig andere Schlüsse. Als Konsequenz aus den Ereignissen forderte er, die Polizei mit Gummigeschossen auszustatten. »Wenn Wasserwerfer nicht mehr reichen, muss die Polizei als Antwort auf die Steine, Brandsätze und Stahlkugeln der Demonstranten Gummigeschosse einsetzen«, sagte Wendt der Bild-Zeitung. Den Polizeigewerkschafter störte dabei offensichtlich nicht, dass in Hamburg weder Brandsätze noch Stahlkugeln und nur wenige Steine auf Polizisten geworfen worden waren.

Tatsächlich ist Wendts Plädoyer für Gummigeschosse nicht mit den Hamburger Geschehnissen zu rechtfertigen. Eher steht die Forderung, die er seit 2007 bei jedem sich bietenden Anlass erneuert, für eine reaktionäre Polizeistrategie, die einer Bestrafung von Demonstranten vor Ort gleichkäme. Wenn Sitzblockierer nicht freiwillig gingen, dann tue »es eben auch mal weh«, sagt Wendt.
Dabei ignoriert er, dass Gummigeschosse keine sogenannten nichttödlichen Waffen sind. Im Nordirland-Konflikt starben seit 1970 17 Menschen durch Gummigeschosse. Die Uno erließ beim Einsatz im Kosovo ein Verbot von Gummigeschossen, nachdem zwei Demonstranten zu Tode gekommen waren. Wendt behauptete hingegen in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung im Juni 2007, Todesfälle durch den Einsatz von Gummigeschossen seien nicht bekannt, nur um fortzufahren: »Im Übrigen ist ja auch niemand dazu verpflichtet, Pflastersteine und Molotowcocktails auf Polizisten zu werfen. Wenn er das unterlässt, kommt er nicht mal in die Reichweite der Gummigeschosse.« Damit vertritt Wendt die Logik des in Kauf zu nehmenden, tödlichen sogenannten Kollateralschadens. Wie schnell man jedenfalls doch in die Reichweite von Gummigeschossen geraten kann, führte er bereits 2007 öffentlich aus: »Wenn die Polizei die Demonstranten aufgefordert hat, den Platz zu räumen, dann gibt es keine Unbeteiligten mehr.«

Immerhin treten die Kollegen von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Wendts Aufrüstungswünschen entgegen. Der GdP-Funktionär Frank Richter stellte fest: »Wer Gummigeschosse einsetzen will, nimmt bewusst in Kauf, dass es zu Toten und Schwerverletzten kommt.« Mit sachlichen Argumenten ist Wendt jedoch nicht beizukommen. Er behauptete, linke Chaoten seien in Hamburg rücksichtslos gegen die Polizei vorgegangen, und warnte: »Offenbar schrecken sie nicht mal mehr davor zurück, Polizisten zu töten.« Dabei verkennt Wendt offenbar, dass der Mord an seiner Kollegin Michèle Kiesewetter dem Nationalsozialistischen Untergrund angelastet wird, dessen Gesinnungsgenossen in Hamburg aufmarschierten und von der Polizei vor antifaschistischen Gegendemonstranten geschützt wurden. Doch das war für Wendt »ein äußerst gelungener Einsatz«.