Die Debatte um Sicherheit in deutschen Fußballstadien

Stehen lassen, bitte!

Der Deutsche Fußball-Bund versucht, in der Sicherheitsdebatte Fakten zu schaffen. Fanvertreter sind empört, und auch bei den Clubs regt sich Widerstand.

Das ist ein Schlag ins Gesicht, eine absolute Provokation«, empört sich Philipp Markhardt im Gespräch mit der Jungle World. Der Vertreter der Initative »ProFans« ist auch Tage nach der »Sicherheitskonferenz des deutschen Fußballs« noch immer fassungslos über das Vorgehen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Der hatte Mitte Juli die 54 Vereine der 1., 2. und 3. Liga, also alle deutschen Profi-Fußballclubs, zusammengetrommelt, um gemeinsam mit dem Ligaverband DFL sowie Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und dem Vorsitzenden der Innenministerkonferenz der Länder, Lorenz Caffier (CDU), zu verkünden, man wolle keine »Toleranz gegenüber Krawallmachern« dulden.
Was Markhardt und andere Fanvertreter so aufbrachte: Die Fans, um die es ja eigentlich ging, mussten draußen bleiben. Dabei sagte Innenminister Friedrich, die Fans hätten es »selbst in der Hand«, dass das von ihm noch Anfang Juli angedrohte Verbot von Stehplätzen nicht Wirklichkeit wird. »Stehplätze bleiben in den deutschen Fußballstadien erhalten«, schrieb der DFB in einer Pressemitteilung nach dem Sicherheitsgipfel. Friedrichs Äußerungen zufolge hängt das aber offenbar vom Wohlverhalten der Fans ab.
Was läge da näher, als den Austausch mit den Fanvertretern zu suchen? Doch »ein Dialog findet nicht wirklich statt«, sagt der Sprecher von »ProFans«, Markhardt. Zwar gebe es immer wieder Arbeitsgruppen, zu denen auch sie eingeladen würden, doch wenn es darauf ankomme, werde man nicht einbezogen. Das wurde auch beim jüngsten Sicherheitsgipfel deutlich: Die Bitte der Fanorganisationen, daran teilnehmen zu dürfen, wurde abgelehnt. Reinhard Rauball, Präsident der Deutschen Fußball-Liga, gab auch offen zu, dass die Fanbeteiligung nicht erwünscht war: »Heute saßen diejenigen zusammen, die für das, was passiert, auch geradestehen müssen.« Selbst von Politikern wurde das kritisiert. »Wenn wir im Sportausschuss mit Experten zur Sicherheit in Stadien diskutieren, sitzen Fanvertreter selbstverständlich mit am Tisch«, sagte die Vorsitzende des Bundestags-Sportauschusses, Dagmar Freitag. »Warum das bei diesem Gipfel nicht möglich war, ist mir nicht ganz verständlich«, so die SPD-Politikerin. Auch Lutz Knopek, der FDP-Obmann im Sportausschuss, forderte: »Die Fans gehören mit an den Gesprächstisch.«
Was auf dem Sicherheitsgipfel genau beschlossen wurde, war ebenfalls unklar. Laut DFB haben sich die Clubvertreter »auf ein erstes Maßnahmenpaket für zusätzliche Sicherheit im deutschen Fußball einstimmig verständigt«. Es behinhalte mehrere Punkte: »Stehplätze bleiben in den deutschen Fußballstadien erhalten«, »Erhöhung der Zuwendungen für Fan-Projekte um 50 Prozent«, »Verschärfung der Richtlinie für Stadionverbote« und ein »Verhaltenskodex mit klarer Ablehnung und Sanktionierung von Pyrotechnik«.
Doch Christian Bönig, Pressesprecher des Zweitligisten FC St. Pauli, betont im Gespräch mit der Jungle World: »Ein Maßnahmenkatalog ist dort nicht beschlossen worden.« Die Vereinsvertreter hätten lediglich einen Verhaltenskodex unterzeichnet, in dem unter anderem »jede Form von Gewalt« verurteilt werde. Das aber sei, so Bönig, ein Konsens unter allen Beteiligten, auch den Fanvertretern. Philipp Markhardt hält das Dokument, das zu Saisonbeginn von allen Vereinskapitänen in den Stadien verlesen werden soll, für »leere Rhethorik«.
St. Pauli-Sprecher Bönig zeigte sich verärgert über den falschen Eindruck, der über die Konferenz erweckt wurde. Gerade bei den Stadionverboten gebe es noch viel Klärungsbedarf, eine zeitliche Verlängerung solcher Verbote wurde mit den Clubs nicht abgestimmt. Selbst DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock räumte in einem Interview auf die Frage, ob die Verlängerung der Stadionverbote bereits beschlossene Sache sei, ein: »Nein, natürlich nicht.«
Für Markhardt ist die Praxis der Stadionverbote ohnehin skandalös, ihre Verhängung genüge nicht einmal rechtsstaatlichen Mindeststandards. So gelte etwa keine Unschuldsvermutung, das Verfahren an sich sei völlig undurchsichtig. Sollten jetzt von DFB und DFL angestrebte »deutliche Verschärfungen in Bezug auf die Dauer von Stadionverboten« – von bislang drei auf künftig bis zu zehn Jahren – beschlossen werden, würden die Fanvertreter darüber nachdenken müssen, den Dialog mit den Verbänden endgültig zu beenden. »Dieser Maßnahmenkatalog, wenn er denn so kommt, wird nach hinten losgehen und die Gräben zwischen Fans und Offiziellen weiter vergrößern«, fürchtet Markhardt. »Immer, wenn es ernst wurde, haben die Clubs bislang den Schwanz eingezogen«, kritisiert er die Vertreter der Vereine. Denn obwohl es offenbar bei mehr als nur einem Verein große Unzufriedenheit über den Sicherheitsgipfel gab, kamen am Ende alle und unterschrieben den von DFB und DFL vorgelegten Verhaltenskodex.
Mit einer bemerkenswerten Ausnahme: Der Zweitligaclub 1. FC Union Berlin verweigerte sich dem »Akklamationsgipfel«, wie Union-Pressesprecher Christian Arbeit die Veranstaltung polemisch bezeichnete. Der Kodex sei den Vereinen erst »20 Stunden vor Beginn der Veranstaltung zugesandt worden«, hieß es in einer offiziellen Mitteilung des Berliner Clubs. »Die Kürze der Zeit« habe »eine inhaltliche Auseinandersetzung« und »eine Diskussion über Maßnahmen und Vorschläge zu den Bereichen Prävention, Kontrollsysteme und Sanktionierung« leider nicht zugelassen. »Ein Kodex, der sich auf das Verhalten der Union-Fans auswirken soll, kann nur mit ihnen gemeinsam erarbeitet und umgesetzt werden«, erklärte Union-Präsident Dirk Zingler. Deswegen standen am Ende doch nur 53 Unterschriften unter der Erklärung. Nun lädt die AG Faninteressen der Fan- und Mitgliederabteilung von Union für den heutigen Donnerstag zu einer Veranstaltung ein, auf der eine gemeinsame Grundsatzposition des Vereins, seiner Fanclubs, Fans und Mitglieder erarbeitet werden soll. Möglicherweise könnte dieser Schritt ein positives Beispiel setzen, dem andere Vereine folgen.
Viele Fanvertreter fürchten hingegen, dass für Innenminister Friedrich und DFB-Präsident Wolfgang Niersbach das Verbot von Stehplätzen längst beschlossene Sache ist. Die »Rot-Schwarze Hilfe«, eine Rechtshilfevereinigung Nürnberger Fußballfans, behauptet, über Insiderinformationen zu verfügen. »Wie wir aus einer sehr zuverlässigen Quelle erfahren haben, hat DFB-Präsident Wolfgang Niersbach bereits einen Masterplan erarbeitet, wie das Stehplatzverbot in den oberen Ligen umgesetzt werden soll.« Demnach wolle Niersbach »nun noch zwei bis drei Vorfälle im Ultra-Umfeld abwarten und dann an die Bundesregierung herantreten. Diese solle dann vehement die Abschaffung der Stehplätze fordern«. Der DFB-Präsident würde damit »Erfüllungsgehilfe der Bundesregierung und könnte sich gegen die aufflammende Kritik unter Verweis auf die politische Entscheidung, die der DFB selbst provoziert hat, verteidigen«.
Zugegeben, das Szenario klingt nicht unrealistisch. Dass es aber als »Masterplan« bereits in der Schublade liegt, dürfte doch eher eine Verschwörungstheorie sein. Zumal auch DFB-Präsident Niersbach wissen dürfte, dass bei vielen Clubs ein Stehplatzverbot auf wenig Gegenliebe stößt. St. Pauli-Sprecher Bönig jedenfalls beteuert, mit seinem Verein habe niemand über einen derartigen Plan gesprochen. Der Umbau von Steh- auf Sitzplätze sei im Übrigen auch »eine finanzielle Frage«.
Union Berlin organisierte in dieser Frage vorsorglich sogar eine kleine Aktion. Am Tag des Sicherheitsgipfels schaltete der Club in einem Berliner Boulevardblatt eine ganzseitige Anzeige. Sie war wie ein Poster gestaltet, darauf stand: »Wir stehen. Für Eisern und Union und Fußball pur. Fußball braucht Stehplätze.« Zwei Tage später betonte Union-Präsident Zingler bei der Grundsteinlegung der neuen Haupttribüne des Stadions an der Alten Försterei: »Unser Stadion lebt von 18 000 Stehplätzen. Und das wird so bleiben.«