Eine vertane Chance

<none>

Am 13. Juli 2004 hat das Simon-Wiesen­thal-Center (SWC) die Kampagne »Operation Last Chance« ins Leben gerufen, mit dem Ziel, die letzten lebenden NS-Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen. In Ungarn hat die Organisation den Behörden bisher vier Personen gemeldet, darunter Karoly Zentai. Er belegt auf der Liste der meistgesuchten NS-Kriegsverbrecher des SWC Platz fünf. Der 90jährige soll als Offizier der faschistischen »Königlich Ungarischen Armee« während des Zweiten Weltkriegs für die Verfolgung und Folterung von Juden verantwortlich gewesen sein. Das SWC wirft ihm außerdem vor, am 8. November 1944 den 18 Jahre alten Peter Balazs getötet zu haben, da er den für Juden obligatorischen Davidstern nicht getragen habe. Der Jugendliche wurde in eine Militärbaracke gezerrt und dort nach fünfstündiger Folter zu Tode geprügelt. Die Beteiligung Zentais war im Prozess gegen einen der beiden anderen beteiligten Offiziere aufgedeckt worden.
Nach Kriegsende versuchten ungarische Behörden, Zentai festzunehmen. Doch der war bereits 1948 in die BRD geflohen. 1950 siedelte er, wie viele Nazis nach Kriegsende, nach Australien über und nahm die Staatsbürgerschaft des Landes an. Ob er die Stadt Perth, bekannt als die »abgelegenste Stadt der Welt«, als Wohnort gewählt hat, um unerkannt zu bleiben, bleibt offen. In Australien nennt er sich Charles Zentai. Nach seiner Enttarnung erließ 2005 ein ungarisches Militärgericht einen internationalen Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen gegen ihn. Der australische Justizminister unterstützte den Auslieferungsantrag, doch Zentai zog vor Gericht und gewann den Prozess. Er hat den Mord stets abgestritten, auch seine Angehörigen sind von seiner Unschuld überzeugt. Die australische Regierung versuchte 2009 erneut, den Rentner abzuschieben, abermals wurde Beschwerde vor Gericht eingelegt. Das Ergebnis: Der Innenminister verfüge nicht über die Befugnis, einen Bürger auszuliefern. Wieder wurden Rechtsmittel eingelegt. Schließlich erging am Mittwoch vergangener Woche der letztinstanzliche Richterspruch zugunsten Zentais. Den Straftatbestand »Kriegsverbrechen« habe es demnach zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt in Ungarn noch gar nicht gegeben, er wurde erst 1945 eingeführt. Ein Auslieferungsantrag wegen Mordes war nicht gestellt worden, somit könne er auch nicht ausgeliefert werden. Gut möglich, dass er wegen des grassierenden Antisemitismus von manchen Ungarn sogar als Held empfangen worden wäre.