Kämpfe in der Demokratischen Republik Kongo

Keine Kontrolle, kein Plan

Von Alex Veit

Die Kivu-Provinzen in der Demokratischen Republik Kongo bleiben umkämpft. Die Rebellenarmee M23 will sich wieder zurückziehen, doch die Zentralregierung ist zu schwach, um die an Ruanda, Uganda und Burundi grenzenden Gebiete zu kon­trollieren.

Die Einnahme der Millionenstadt Goma durch die Rebellengruppe M23 am 20. November hat deutlich gemacht, dass der sogenannte Friedensprozess im Osten der Demokratischen Republik Kongo längst eine Farce ist. Daran wird auch der Ende vergangener Woche angekündigte Rückzug der Rebellen aus der Stadt nichts ändern, mit dem sie einer Aufforderung der Regionalorganisation »Internationale Konferenz der Region der Großen Seen« (ICGLR) nachzukommen gelobten. Denn eine Idee, wie die politische Zukunft der Region gestaltet werden könnte, haben weder die Kriegsparteien, noch die »Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen« (Monusco) und die ICGLR. Zugleich ist keine Gruppe stark genug, sich militärisch gegen alle anderen durchzusetzen.

Der nach langem Zögern der Rebellen erfolgte Einmarsch in Goma war allerdings ein weiteres Zeichen dafür, dass die kongolesische Regierung unter Präsident Joseph Kabila kaum noch Mittel hat, direkt in den Konflikt einzugreifen. Mit der Einnahme Gomas durch die kleine, aber gut organisierte Rebellengruppe wurde die nationale Armee zum wiederholten Male gedemütigt und zum ungeordneten Rückzug gezwungen. Die Drohungen des neu ernannten Kommandanten der Landstreitkräfte, François Olenga, dürften daher reines Wunschdenken sein. »Ich werde unsere Anführer um Erlaubnis zur Kriegsführung bitten«, sagte Olenga in Minova, einer Kleinstadt weit südlich von Goma, wo sich die regulären Truppen wieder sammelten. »Wir wollen keine weiteren Verhandlungen. Es ist der Krieg, der dem Kongo Frieden bringen wird.« Dabei hatte sich Präsident Kabila nach langem Zögern bereits auf direkte Verhandlungen mit der M23 in der ugandischen Hauptstadt Kampala eingelassen. Welche Konzessionen er den Rebellen machte, blieb zunächst unklar. Für die Rebellengruppe, deren verlässlicher Kern nur aus ein paar hundert Kämpfern besteht, war es jedoch sehr aufwendig, eine Großstadt zu kontrollieren. Wohl deshalb willigten sie bereits nach kurzen Verhandlungen in den Rückzug ein.

Im Verlauf der vergangenen acht Jahre hatten Vorläuferorganisationen der M23 immer wieder Großstädte besetzt oder damit gedroht. Letztlich handelte es sich bei diesen Invasionen eher um militärische Machtdemonstrationen, als dass wirklich Kontrolle über die Städte ausgeübt werden sollte. Die Bezeichnungen dieser bewaffneten Gruppen wechselten mehrfach, doch das Führungspersonal wahrte eine gewisse Kontinuität aus. So marschierte ein Trupp Milizen unter dem desertierten kongolesischen General Laurent Nkunda 2004 in Bukavu ein, der Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu. Nach einigen Wochen zog sich die Gruppe um Nkunda in ländliche Gebiete zurück, konsolidierte die militärischen Strukturen und gründete eine politische Partei namens Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes (CNDP).

2008 führte Nkunda seine Kämpfer bis kurz vor Goma, die Provinzhauptstadt des Nord-Kivu. Allerdings marschierte er, obwohl die kongolesische Armee sich bereits zurückgezogen hatte, nicht in die Stadt ein. Während Nkunda im folgenden Jahr von der Regierung des Nachbarlands Ruanda verhaftet und unter Hausarrest gestellt wurde, konnte die verbliebene Führung des CNDP unter sehr günstigen Bedingungen mit der Regierung Kabila verhandeln. Am 23. März 2009 wurde ein Abkommen unterzeichnet, auf das sich nun die »Bewegung des 23. März« (M23) in ihrem Namen beruft. Der für die Rebellen vorteilhafte Vertrag sah unter anderem eine Reihe von Investitionen in die zerstörte Infrastruktur der Region vor, um die wirtschaftliche Entwicklung anzuregen. Dies wurde nie umgesetzt. Die zentralen Punkte waren jedoch die Integration der Rebellen in die Regierungsarmee und die Übernahme von Ministerposten in der Provinz Nord-Kivu.

Dieses Arrangement brachte einige Zeit relative Ruhe. Doch Anfang dieses Jahres beschuldigten die heutigen Führungsmitglieder der M23 die Armee und die Regierung, zentrale Bestimmungen des Abkommens nicht eingehalten zu haben. Unter anderem weigerten sie sich, mit ihren Truppen in entfernte Landesteile verlegt zu werden. Sie verließen daraufhin die Armee, eroberten schnell wieder ihre ländlichen Hochburgen und schließlich Goma.

In den Augen vieler Kongolesen, insbesondere in den weit von den Kriegsgebieten entfernten Regionen, stellt die M23 hingegen nur eine Marionettentruppe ausländischer Mächte dar. Für sie ist ihr Land ein Opfer der Aggression der Nachbarländer Uganda und Ruanda. Tatsächlich sprechen viele Indizien dafür, dass insbesondere die ruandische Regierung unter Präsident Paul Kagame die M23 maßgeblich unterstützt. Diese Sicht vertritt auch ein kürzlich nach längerem Streit im UN-Sicherheitsrat veröffentlichter Expertenbericht der Vereinten Nationen, dessen Aussagen von der ruandischen Regierung vehement bestritten werden. Darin heißt es, die ruandische Armee habe die M23 mit aufgebaut, ihre Kämpfer durch ruandisches Gebiet an verschiedene Kampfplätze transportiert und sogar eigene reguläre Truppen zu ihrer militärischen Unterstützung entsandt.

Der Bericht legt nahe, dass ruandische Offizielle eine Sezession der Kivu-Provinzen und deren Anschluss an Ruanda beabsichtigen. Damit machen sich auch die UN-Experten einen im Kongo seit langem gehegten Verdacht zu eigen. Demnach sind es die relative Landknappheit in Ruanda und der Reichtum an Bodenschätzen auf der kongolesischen Seite der Grenze, die die ruandischen Machthaber antreiben. Doch gerade weil das im Vergleich zum riesigen Flächenstaat Kongo sehr kleine Ruanda über eine zwar skrupellose, aber auch disziplinierte, geeinte und daher mächtige Führung verfügt, ist dieses Szenario unwahrscheinlich.

Denn während die Staatsführung auch im eigenen Land der Unterstützung durch wesentliche Teile der Bevölkerung nicht sicher sein kann – Ruanda durchlebte in der ersten Hälfte der neunziger Jahre selbst einen Bürgerkrieg und den letzten Genozid des 20. Jahrhunderts –, wären die Kivu-Provinzen von Ruanda aus kaum regierbar. Zu komplex sind die Kräfteverhältnisse zwischen den Bevölkerungsgruppen, Elitefraktionen und der großen Zahl kleiner und kleinster irregulärer bewaffneter Gruppen. Nicht zuletzt kontrolliert auch die Rebellenmiliz »Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas« (FDLR), die auf den Sturz der ruandischen Regierung abzielt, nach wie vor einen Teil der Kivu-Provinzen. Alle diese Gruppen zu besiegen oder zu kooptieren, dürfte sich auch die im regionalen Vergleich starke ruandische Armee nicht zutrauen.

Viel vorteilhafter für die ruandische Führung war die Situation in den vergangenen Jahren. Denn nachdem der kongolesische Präsident Kabila 2008 vergeblich versucht hatte, die Vorgängerorga­nisation der M23, die CNDP, militärisch zu besiegen, gestand er die Grenzen seiner Macht ein. Kabila lud damals zur allgemeinen Überraschung aller Beobachter Ruandas Regierung faktisch dazu ein, Nord-Kivu gemeinsam wirtschaftlich, militärisch und politisch zu verwalten. Während die mit Ruanda alliierte CNDP Ministerposten in der Provinz übernahm und die CNDP-Generäle in die kongolesische Armee aufgenommen wurden, durfte Präsident Kagame ganz offiziell eigene Truppen zur Bekämpfung der FDLR in den Nord-Kivu entsenden. Auch am grenzüberschreitenden Handel mit Bodenschätzen und Agrarerzeugnissen hatte Ruanda nun ungehinderten Anteil. Warum die Staatsführung diese entente cordiale mit der kongolesischen Regierung nun aufgelöst hat, bleibt allerdings unklar. Vielleicht wollten Kagame und sein Kabinett eine weitere Kräfteverschiebung zu ihren Gunsten erzwingen. Es hatten sich aber auch die Zeichen gemehrt, dass der kongolesische Präsident Kabila unter Druck aus den eigenen Reihen kam, eine konfrontativere Haltung gegenüber dem Nachbarstaat einzunehmen.

Damit ist es nun aber wieder vorbei, denn Kabila hat nach der faktischen Implosion seiner Armee kaum noch Mittel, überhaupt in den Konflikt einzugreifen. Dies führt zu der skurrilen Si­tuation, dass der kongolesische Regierungssprecher das Nachbarland regelmäßig der Invasion bezichtigt, während der Präsident selbst über den halben Kontinent fliegt, um den angeblichen Aggressor um mäßigenden Einfluss auf die Rebellen der M23 zu bitten. Zugleich mehren sich allerdings auch Gerüchte, dass Kabila neue Bündnisse mit der FDLR und kleineren Milizen im Kivu schmiedet. Solche Allianzen hatten bereits vor 2008 bestanden, allerdings der ruandischen Seite und ihren kongolesischen Verbündeten nie entscheidend schaden können.

Eine wichtige Machtressource der Regierung Kabila ist die internationale Anerkennung als legitime Regierung, die 2006 auch durch einen Wahlsieg bekräftigt wurde. Darauf fußt die Verurteilung der M23 durch den UN-Sicherheitsrat und die Sanktionierung ihrer Anführer. Auch die Kritik an Ruanda durch den UN-Expertenbericht, die zu einem teilweisen Stopp der Entwicklungshilfe durch EU-Länder führte, ist auf diese internationale Position zurückzuführen. Die Fälschungen bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr, die Unterdrückung der zivilen Opposition und das vollständige Versagen im Wiederaufbau der Bürokratie und der Armee haben dem Ansehen Kabilas allerdings auch im Westen stark geschadet. Ein Milliarden Euro schweres Wirtschaftsabkommen mit China hat ebenfalls keinen Wohlgefallen in Europa und Nordamerika aus­gelöst.

Zumindest die UN-Stabilisierungsmission Monusco musste einsehen, dass mit Kabila im Ostkongo kein Staat mehr zu machen ist. Die Blauhelme verhielten sich still, als die M23 in Goma einmarschierte. Allerdings ist die Uno politisch weitgehend planlos und irrelevant. Seit Monaten wird daher durch die afrikanischen Staaten in der ICGLR angekündigt, eine eigene Eingreiftruppe zu entsenden. Ohne eine Idee, wie die politische Zukunft des Ostkongo aussehen könnte, wird aber auch dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt sein.