Über schlechte Arbeitsbedingungen in Textilfabriken in Bangladesh

Schmutzige Wäsche

Die Arbeitsbedingungen der Textilarbeiterinnen in Bangladesh sind katastrophal. Doch der Druck auf die Discounter und die für sie produzierenden Fabrikanten wächst.

Durch die Brandkatastrophe in einer Textilfabrik in Bangladesh in der Nacht vom 24. auf den 25. November wurden die katastrophalen Arbeitsbedingungen der in diesem Industriezweig Beschäftigten wieder einmal an die Öffentlichkeit gebracht. Mindestens 120 Angestellte der Textil­fabrik in der Nähe von Dhaka – die meisten davon Frauen – starben in jener Nacht. Der Brand war offenbar in der zweiten Etage der siebenstöckigen Fabrik ausgebrochen und hatte die Fluchtwege aus den höheren Stockwerken blockiert. Die Fabrik von »Tazreen Fashion«, in der 1 500 Beschäftigte auf engstem Raum arbeiteten, produzierte vor allem Kleidung für Billig­anbieter in Europa und den USA, darunter Kik, Carrefour und Walmart, aber auch für C & A in Brasilien.
Es war der folgenschwerste Brand in der jüngeren Geschichte der Textilindustrie Bangladeshs, jedoch beileibe nicht der einzige. Laut Regierungsangaben starben seit 2006 über 470 Menschen, vor allem Frauen, bei Bränden in den Textilfabriken des Landes. Der international arbeitenden Clean Clothes Campaign (CCC) zufolge sind es sogar 700 Tote. Die Katastrophe in Dhaka führte immerhin dazu, dass verstärkt auch hierzulande thematisiert wird, wie die Kleidung produziert wird, die wir tragen. Allerdings fällt auf, dass die mediale Aufmerksamkeit sehr selektiv ist: Als im September eine Textilfabrik im pakistanischen Karachi brannte und mehr als 300 Beschäftigte starben, blieb dies von den deutschen Medien weitgehend unbeachtet. Der Hauptauftraggeber auch dieser Fabrik war der Textil-Discounter Kik.
»Viele Fabriken sparen sich alle Brandschutzmaßnahmen (…). Mitunter werden im Brandfall sogar die Tore vom sogenannten Sicherheitspersonal verschlossen gehalten, damit niemand Waren oder Nähmaschinen aus der Fabrik mitnehmen kann«, berichtet Michaela Königshofer von der Clean Clothes Campaign bei einer Pressekonferenz mehrerer Organisationen aus Deutschland und Österreich, die sich für einen Wandel im Umgang mit den Sicherheitsvorkehrungen in Bekleidungs-Zulieferbetrieben engagieren. In Produktionsländern wie Bangladesh, Pakistan, Vietnam und Kambodscha werden Brandschutzbestimmungen systematisch ignoriert.

Im Frühjahr dieses Jahres unterzeichnete das US-amerikanische Textilunternehmen PVH als erster Abnehmer eine Brandschutzvereinbarung mit Gewerkschaften in Bangladesh und verschiedenen NGOs. Darin ist ein zweijähriges Programm vorgesehen, das Schulungen zum Brandschutz, die Bildung von betrieblichen Arbeitsschutzkomitees und ein unabhängiges Kontrollsystem umfasst. Das Unternehmen, zu dem Marken wie Tommy Hilfiger und Calvin Klein gehören, machte dessen Inkrafttreten allerdings davon abhängig, dass sich mindestens drei weitere namhafte Textilkonzerne an dem Abkommen beteiligen. Tchibo war im September dem Brandschutzabkommen beigetreten, die Modeketten H & M, C & A und Zara weigerten sich bislang. »Vor wenigen Wochen haben die Betriebsräte von H & M bei einer bundesweiten Konferenz die Unternehmensleitung aufgefordert, endlich zu handeln. Und in der letzten Woche haben der Gesamtbetriebsrat von H & M und Verdi das Management aufgefordert, soziale Verantwortung zu übernehmen und endlich dem Brandschutzabkommen beizutreten«, sagt Johann Rösch, Textileinzelhandelsexperte bei Verdi. Die Betriebsräte in ganz Deutschland sammelten bei den Beschäftigten nun Unterschriften für den Beitritt ihres Unternehmens.
Der fehlende Brandschutz ist den NGOs zufolge aber nicht das einzige Problem bei der Textilproduktion in den asiatischen Niedriglohnländern. »Die Entlohnung liegt oft unter der Armutsgrenze von zwei Dollar, die Arbeitszeit bei zehn bis 14 Stunden täglich, gewerkschaftliche Organisation ist untersagt oder wird massiv behindert«, kritisierte Christine Esterbauer von der CCC. Alle diese Fabriken arbeiten für ausländische Auftraggeber in Europa und den USA. Wie erst im Frühjahr eine Untersuchung der Kampagne zeigte, werden die Arbeitsrechte trotz gegenteiliger Versprechen der Textildiscounter weiterhin regelmäßig verletzt. Fabriken, die an Aldi, Lidl und Kik lieferten, würden ihre Mitarbeiter ohne schriftliche Arbeitsverträge zu Hungerlöhnen beschäftigen. Überstunden würden selten bezahlt, Frauen würden diskriminiert und seien sexuellen Übergriffen meist schutzlos ausgeliefert, schreibt die CCC. 87 Prozent der Beschäftigten im Textilbereich sind junge Frauen. Wer älter ist als 30 Jahre, hält dem Arbeitsdruck oft nicht mehr stand.

Die Textilindustrie ist die wichtigste industrielle Branche Bangladeshs. Ihr Anteil an den Exporten beträgt 80 Prozent, sie ist mit 3,5 Millionen Beschäftigten der größte Unternehmensbereich. 2011 war Bangladesh weltweit der zweitgrößte Textilproduzent nach China und der viertgrößte Lieferant von Textilien für die Bundesrepublik. Auch wenn die Textilproduktion eine lange Tradition hat, die bis weit in die vorkoloniale Zeit zurückreicht, wurde das Land von globalen Textil- und Bekleidungskonzernen vor allem in den vergangenen Jahren wieder als günstiger Produktionsstandort entdeckt, nachdem sie in China, den Philippinen und Indonesien mit stärkerem gewerkschaftlichen Widerstand gegen die extrem schlechten Arbeitsbedingungen konfrontiert worden waren.
Der durchschnittliche Monatslohn einer Textilarbeiterin beträgt 1 887 Taka (etwas über 21 Euro), den meisten Ökonomen zufolge sind 8 000 Taka die Untergrenze für die Sicherung des physischen Überlebens. Obwohl Streiks und soziale Unruhen in den vergangenen Jahren die regierende Partei Awami League dazu veranlassten, den Mindestlohn auf 3 000 Taka (knapp 34 Euro) anzuheben, wird dieser seit Jahren von mehreren Textilunternehmen boykottiert. Die Beschäftigten der Textilindustrie sind in mehr als 60 Gewerkschaften zersplittert. Die meisten davon sind illegal und müssen konspirativ arbeiten.
Die Wirtschaft Bangladeshs hängt in starkem Maße von der Textilindustrie und der Weltmarktposition der in Bangladesh produzierenden Textilkonzerne ab. Dementsprechend hat bisher jede Partei, sowohl die regierende populistische Awami League als auch die oppositionelle konservative Nationalist Party, wesentliche Energien darauf verwendet, die Ausbeutungsbedingungen in der Textilindustrie zu schützen. Die einzige Möglichkeit für die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften ist es, durch direkte Aktionen, Streiks und Demonstrationen Druck auszuüben und das öffentliche Leben lahmzulegen. Nur breite Solidarisierung aus anderen Sektoren macht Erfolge möglich. Die Brandkatastrophe von Dhaka scheint auch dazu zu führen, dass sich die Textilarbeiterinnen, die bereits seit Jahren organisiert und militant für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen kämpfen, wieder auf die Straße wagen. Seit dem Brand hat es täglich Massendemonstrationen, Straßenblockaden und gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei gegeben.
Ebenfalls wichtig ist der internationale Druck, den Gewerkschaften und Kampagnen in westlichen Ländern auf die Einzelhandelsketten und Textilkonzerne ausüben. Zuletzt hatten die Arbeitsbedingungen in Bangladesh im August 2010 internationale Aufmerksamkeit erregt. Beschäftigte streikten damals für die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns, Berichte über deren Straßenschlachten mit der Polizei gab es auch in Deutschland und ein Beitrag in der ARD enthüllte die mörderischen Bedingungen, unter denen Kik und andere westliche Konzerne ihre Textilien produzieren lassen. Die Arbeiterinnen hatten auch Fabriken direkt angegriffen und einige Produktionsstätten verwüstet. Größer allerdings waren die Verluste der Unternehmer durch den Stillstand der Produktion, sie bezifferten sie auf 113 Millionen US-Dollar.