Ultra-feindliche Stimmung in deutschen Stadien

Ultras raus, Nazis rein?

Die Ultra-Bewegung im deutschen Fußball bekommt immer mehr Gegenwind von anderen Fangruppen. Für den Kampf gegen ­Nazis in den Kurven ist das keine gute Nachricht.

Ultras raus!« schallt es durch die mit 60 000 Zuschauern besetzte Fußball-Arena des FC Schalke 04. Zuschauer, die gegen Ultras Parolen skandieren – wie kann das sein? Sind nicht die Ultras sonst immer diejenigen, die rufend und singend für Atmosphäre im Stadion sorgen? In den letzten Spielen vor der Winterpause ist die Stimmung nicht nur bei Schalke umgeschlagen – gegen die sonst oft als Stimmungsmacher gelobten Hardcore-Fans auf den Stehtribünen.
»Ultras ins Abseits gestellt«, jubilierte sogleich das Fachmagazin Kicker, ohnehin nicht bekannt als Freund der aktiven Fans, und zählte zur Illustration Beispiele aus Stadien in verschiedenen Teilen der Republik auf. So soll in Mainz das Publikum die Aufforderung des Stadionsprechers an die Ultras, »Fußball-Mafia DFB«-Rufe zu unterlassen, mit Applaus bedacht haben. In Wolfsburg wurde eine Rauchbombe im Block der Gästefans aus Frankfurt mit Pfiffen quittiert, in Leverkusen soll der von dortigen Ultras geplante Stimmungsboykott durch lauten Torjubel ignoriert worden sein, und auch in der 3. Liga bei Preußen Münster sei es nach der Zündung von Pyrotechnik zu »Ultras raus«-Rufen gekommen.
Bei Schalke 04 allerdings scheint sich die Lage besonders zugespitzt zu haben. Bereits beim Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt bekam die Ultragruppe »Hugos« den Unmut vieler anderer Zuschauer zu spüren. Als Reaktion auf brennende Bengalos bei den »Hugos« – für viele von deren Mitgliedern eine Abschiedsshow, da sie wegen anderer Vorfälle Stadionverbot bekommen hatten und deshalb möglicherweise für lange Zeit das letzte Mal ein Bun­des­liga­spiel im Stadion besuchen konnten – pfiffen viele andere S04-Anhänger und riefen »Ihr seid scheiße, wie der BVB« und ein höhnisches »Auf Wiedersehen«.
Die Gruppe »Ultras Gelsenkirchen« (UGE) richtete bei der letzten Heimpartie vor der Winterpause gegen den SC Freiburg ihre Wut über das drei Tage zuvor von der Deutschen Fußball-Liga (DFL) angenommene »Sicher­heits­papier« gegen das Schalke-Vorstandsmitglied Peter Peters. Der war als Vorsitzender der Kommission »Stadionerlebnis« der DFL an entscheidender Stelle an der Gestaltung der umstrittenen Beschlüsse beteiligt. Doch auf das »Peters raus« der UGE ertönte das eingangs beschriebene »Ultras raus« anderer Schalke-Anhänger.
Angesichts dieser Vorkommnisse war bald von einer »Spaltung« der Fanszene auf Schalke die Rede. Reviersport online berichtete, dass der »Supportersclub« der Schalker sogar zu einer Krisensitzung geladen habe. Angesichts einer »brandgefährlichen Mixtur«, die »in unserem Wohnzimmer, in unserem Biotop Stadion, in unserer Nordkurve, in unserer Fanszene« entstanden sei, gelte es, die Eigendynamik, die diese entwickelt habe, zu durchbrechen. »Wir hoffen, auch Ihr seid unserer Meinung, dass in unserem Schalke jeder seinen berechtigten Platz hat, dass es in diesem keine ›besseren‹ oder gar ›schlechteren‹ Schalker gibt, dass eine (weitere) Spaltung unserer Vereinsfamilie weder hinnehmbar noch akzeptabel ist und wir uns daher (…) dieser schwierigen Situation stellen und der vergifteten Atmosphäre am Schalker Markt aktiv entgegen­stemmen wollen und werden«, heißt es in der Einladung.
Nun mag es bei Schalke 04 derzeit noch andere, sportliche Gründe für die schlechte Stimmung in der Anhängerschaft geben. Auch das vom Kicker behauptete Ins-Abseits-Stellen »der Ultras« dürfte reichlich pauschal und übertrieben sein. Dennoch kann nicht geleugnet werden, dass die bundesweiten Proteste von Ultragruppen gegen das DFL-Sicherheitspapier durch Stimmungsboykotte nicht nur Funktionären und Spielern, sondern auch vielen anderen Zuschauern nicht geschmeckt haben. Als die DFL dann am 12. Dezember ihr Konzept mit der einen oder anderen Änderung verabschiedete, war selbst von vielen eher wohlwollenden Beobachtern explizit oder implizit erwartet worden, dass nun wieder zur Normalität zurückzukehren sei. Dem standen diverse Ultragruppen entgegen, die sogar über eine Verschärfung der Proteste nachdachten, etwa in Form eines Stimmungsboykotts während des gesamten Spiels.
In dieser Situation blies vielen Ultras am letzten Spieltag erstmals heftiger Gegenwind nicht nur von den Fußballverbänden, sondern auch aus der Anhängerschaft des eigenen Clubs entgegen. Nicht zufällig erklärte die Kampagne »12Doppelpunkt12« kurz danach ihre Proteste zunächst für beendet. »Nach der Winterpause gibt es von uns keinen Aufruf zu einem Stimmungsboykott«, sagte deren Sprecher Jan-Henrik Gruszecki.
De facto hat die Ultrabewegung mit den letztlich gescheiterten Protesten nicht nur ihren Kampf gegen das »Sicherheitspapier« der DFL verloren, sondern sich tatsächlich von den übrigens Fans isoliert. Das ist nicht nur deswegen schade, weil bis heute unklar ist, warum es, so der vorgebliche Zweck dieses Konzepts, überhaupt nötig sein soll, die Sicherheit im Stadion zu verbessern. Sind sich Experten doch einig, dass die deutschen Fußballarenen zu den sichersten der Welt gehören.
Es ist auch gefährlich, weil gewiss nicht alle, aber doch viele Ultragruppen – trotz ihres Selbstverständnisses als »unpolitisch« – dafür gesorgt haben, dass Fankultur in deutschen Stadien eher bunt als braun ist. Dass das nicht immer so war, darauf wies bereits im März 2012, bevor die Sicherheitsdebatte im Fußball eskalierte, der Journalist Andrej Reisin auf Publikative.org hin: »Bis weit in die Neunziger hinein war es in sehr vielen deutschen Sta­dien gang und gäbe, schwarze Spieler zu beschimpfen, ihnen Bananen zuzuwerfen oder vermeintliche Affengeräusche und ähnliches mehr von sich zu geben.« Dass sich dies geändert habe, sei vor allem Verdienst der Ultras: »Ohne jeden Zweifel hat das Aufkommen der Ultra-Bewegung ab Ende der Neunziger entscheidend dazu beigetragen, rechten Hools und Nazischlägern die Dominanz in den Kurven zu nehmen, die sie bis dahin ebenso zweifellos hatten.« Nun aber liefen die Vereine Gefahr, dass »ihnen Hools und Nazis im Stadion, die sich dort aber unauffällig verhalten, weniger ins Auge fallen als aufmüpfige, antiautoritäre ­Ultras«.
Statt gegen die sich inzwischen erneut in den Kurven breit machenden Nazis ein klares Zeichen zu setzen und antirassistisch engagierte Ultragruppen einzubinden, wurden hingegen im neuen Sicherheitskonzept in bewährter Manier »Gewalt«, »Rassismus«, »politischer Extremismus« und »Pyrotechnik« in einen Topf geworfen und gut verrührt. Ein kleiner Lichtblick ist da die Tatsache, dass der seit Jahresbeginn amtierende DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig den aktiven Fans ein offenbar ernst gemeintes Gesprächsangebot machte. Es diente der Kampagne »12Doppelpunkt12« als offizielle Begründung für den Abbruch der Proteste, die ihr in gewissem Maße einen Gesichtsverlust ersparte. »Wir werden uns auf Einladung von Herrn Rettig in den nächsten Tagen zusammensetzen und uns zunächst beschnuppern«, sagte deren Sprecher Jan-Henrik Gruszecki.