Die Linke und die Intervention in Mali

Klassenfeind mit Kufiya

Die ausländische Intervention in Mali begann nicht erst mit dem französischen Militäreinsatz, doch die Linke sträubt sich, nichtwestliche global player ernstzunehmen.

Hicham Bilal kam aus dem Niger, um sich den ­Jihadisten in Nordmali anzuschließen. Er brachte es bis zum Bataillonskommandanten der Mujao (Bewegung für Monotheismus und Jihad in Westafrika), doch im November vergangenen Jahres desertierte er. »Für sie sind Schwarze weniger wertvoll als weiße Araber«, klagte er über seine Vorgesetzten. Für die gefährlichsten Kampfeinsätze seien immer die Schwarzen ausgewählt worden.
Ein Jihadist wie Bilal mag als wenig zuverlässiger Zeuge gelten, doch berichtet die Journalistin Lindsey Hilsum aus dem befreiten Gao über das Justizsystem der Jihadisten: »Eines der verstörendsten Dinge, die ich erfahren habe, ist, dass die zu harten Strafen verurteilten alle schwarze Malier waren – Sonrai, Peul, Bamba und Della, traditionell die Sklaven der Tuareg.«
Der Rassismus ist nicht allein eine Folge traditioneller Ressentiments, die viele Araber und Tuareg gegen Schwarze hegen. In seinem Buch »Wegzeichen« schreibt Sayyid Qutb, der bedeutendste Theoretiker des militanten Islamismus: »Als der Islam ins Zentrum Afrikas kam, kleidete er nackte Menschen, sozialisierte sie, holte sie aus tiefer Isolation und lehrte sie die Freude an der Arbeit.« Überheblicher hätte es kein westlicher Kolonialherr formulieren können, auch wenn er natürlich dem Christentum die zivilisatorische Mission zugesprochen hätte.
Die ausländische Militärintervention in Mali hat bereits vor mehr als einem Jahr begonnen. Zuerst strömten libysche Söldner ins Land, ihnen folgten Kämpfer aus diversen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie den Nachbarstaaten und auch einige Europäer. Finanziert wurde die Operation wahrscheinlich maßgeblich von Golfmonarchien. »Viele Malier betrachten diese Gruppen als ausländische Invasoren, motiviert von Rassismus und Gier ebenso wie von einer pervertierten, sogar ignoranten Interpretation ihres Glaubens«, berichtet der Ethnologe Bruce Whitehouse aus Bamako. Vor der französischen Militär­intervention veröffentlichte Umfragen bestätigen, dass die Franzosen keine Jubelmalier engagiert haben, um die Trikolore zu schwenken. 78 Prozent der Befragten befürworteten bereits vor der Offensive der Jihadisten im Januar eine ausländische Militärintervention.
Aus Sicht der emanzipatorischen Linken kann die Frage nur sein, wie die Jihadisten vertrieben werden können, und nicht, ob das überhaupt notwendig ist. Gab es eine Alternative zum Eingreifen der Franzosen? Die meisten Malierinnen und Malier hätten das Problem lieber selbst gelöst, doch war offensichtlich, dass die Armee auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein würde, den Norden zurückzuerobern. Die oppositionelle »Volksbewegung 22. März« (MP22) beharrt dennoch auf einer nationalen Lösung. Der Putsch vom 22. März 2012 sei ein »heilsamer Akt« gewesen, urteilt sie. Doch von Anfang an war klar, dass die bereits geschwächte Armee – viele Soldaten waren zu den Jihadisten übergelaufen, andere desertiert – nach dem Putsch vornehmlich mit internen Zerwürfnissen und und dem Konflikt mit der zivilen Oligarchie beschäftigt sein und daher weiter an Kampfkraft verlieren würde. Ein begnadeter Stratege ist der Putschistenführer Amadou Sanogo gewiss nicht, und es ist völlig unklar, wie die von MP22 erhoffte »Belebung der Demokratie« aussehen soll.

In Nordmali gab es Vorbereitungen für einen Aufstand, doch scheint dort kaum jemand zu bedauern, dass ein so riskantes Unternehmen nun überlüssig geworden ist. Auch die »afrikanische Lösung« wird in Mali offenbar nicht bevorzugt. Unter den vor dem Beginn der »Opération Serval« befragten Befürwortern einer ausländischen Intervention präferierten 23 Prozent die US-Truppen und 18 Prozent das französische Militär, während die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) mit 15 Prozent auf dem letzten Platz landete.
Wer Afrika nicht als großes Dorf betrachtet, wird von diesem Ergebnis nicht allzu überrascht sein. Während des Konflikts in der Côte d’Ivoire wurden Zehntausende malische Migrantinnen und Migranten von nationalistischen Milizen vertrieben und die von Nigeria geführte westafrikanische Interventionstruppe Ecomog fiel in der Vergangenheit nicht selten durch Plünderungen und extralegale Hinrichtungen auf. Rund 60 Jahre nach der Unabhängigkeit ist es höchste Zeit, die Afrikaner als politische Subjekte ernst zu nehmen. Längst gibt es eine innerafrikanische Machtpolitik. Da Bourgeoisie und Mittelschicht noch schwach entwickelt sind, wird sie maßgeblich von Fraktionen aus dem Staatsapparat bestimmt, und die schwache Institutionalisierung ermöglicht es oftmals einzelnen Oligarchen oder kleinen Interessengruppen, erheblichen Einfluss zu nehmen. Es gibt jedoch keinen grundsätzlichen Unterschied zum Konkurrenzkampf der Nationalstaaten in anderen Teilen der Welt.
Die Epoche des Neokolonialismus endete nicht, weil Franzosen und Briten auf einmal von Gewissensbissen geplagt wurden. Im subsaharischen Afrika begann die Demokratierung bereits 20 Jahre vor dem Beginn der arabischen Revolten, von den Klienten der ehemaligen Kolonialmächte haben sich nur wenige halten können. Überdies bedeutet Neokolonialismus auch Abschottung des Marktes eines abhängigen afrikanischen Landes gegen konkurrierende Großmächte, und dies ist mit dem heutigen Freihandelsregime nicht vereinbar.

Dass nun jeder mitbieten darf, wenn es um Bergbaukonzessionen und Infrastrukturprojekte geht, verbessert die Lage nicht. Denn auch kapitalistische Entwicklungspolitik erfordert staat­liche Wirtschaftslenkung und Einschränkungen der Handelsfreiheit etwa durch Schutzzölle, wie die Geschichte der asiatischen »Tigerstaaten« zeigt. Das Freihandelsregime, durchgesetzt von transnationalen Finanzinstitutionen und »Geberstaaten«, erzwingt jedoch eine wirtschaftsliberale Politik.
Es gibt also weiterhin ein Machtgefälle, doch das »Imperium« kann nun ebenso von einem chinesischen Staatskapitalisten oder einem nigerianischen Bankier repräsentiert werden wie von den üblichen Verdächtigen aus den westlichen Konzernzentralen. Was Investitionen in ideologische Einflussnahme betrifft, haben die Golfmonarchien den Westen in afrikanischen Staaten mit einem nennenswerten muslimischen Bevölkerungsanteil längst überholt. Der wahhabitisch geprägte Islam soll die »schwachen Muslime« Afrikas, die überwiegend unorthodoxen Traditionen folgen und wenig Begeisterung für die Sharia zeigen, zu größerer Glaubensstrenge erziehen.
Da die Jihadisten in keinem anderen ihrer Einsatzgebiete so einhellig gehasst werden wie in Nordmali, könnte es gelingen, ihre Aktivitäten wieder auf das in den Vorjahren herrschende Niveau sporadischer Angriffe und krimineller Geschäfte zu drücken. Aber auch ein langjähriger Guerillakrieg ist möglich, doch war angesichts der expansiven Strategie der Jihadisten nie die Frage ob, sondern nur wo gekämpft wird.
Der Krieg bringt politische Gefahren mit sich. Die nun geforderte »nationale Einheit« kann sich schnell gegen Araber und Tuareg richten, gegen die viele Schwarze Ressentiments hegen, und sie könnte auch als Rechtfertigung für die Unterdrückung von Oppositionellen dienen. Bei einer rein malischen Offensive wären diese Gefahren jedoch größer gewesen, denn immerhin kann sich nun kein Offizier oder Politiker des Landes als Kriegsheld in Szene setzen.
Es wäre erfreulicher gewesen, wenn revolutionäre malische Milizen mit Unterstützung internationaler Brigaden der globalen Linken die Jihadisten in die Wüste gejagt hätten. Dass Malis Himmel seine Sterne nun über französischen Schützenpanzern ausbreitet, sollte jedoch für die emanzipatorische Linke kein Grund sein, unter den zahlreichen ausländischen Interventionen in Mali ausgerechnet die »Opération Serval« ins Zentrum der Kritik zu stellen.

Frankreich interveniert als »Weltpolizist« gegen rechtsextreme Terroristen, und ebenso wenig wie es eine Schande oder eine Bejahung der bürgerlichen Ordnung ist, angesichts der Bedrohung durch neonazistische Schläger die Polizei zu rufen, wenn die Antifa nicht stark genug ist, bedeutet eine Befürwortung oder Akzeptanz der »Opération Serval« den Friedensschluss mit dem Kapitalismus. Denn auch wenn alles gut geht: In extremer Armut ohne Aussicht auf eine baldige Verbesserung der Verhältnisse auf die nächste der in immer kürzeren Abständen wiederkehrenden Dürreperioden zu warten, ist auch ohne Auspeitschungen kein Vergnügen.
Den Jihadismus als Folge der Armut zu deuten, verkennt dessen ideologische Ziele. Der Anschluss an eine Bewegung, die nicht einmal vorgibt, sich für Entwicklungspolitik zu interessieren, kann schwerlich als Parteinahme für die Armen gelten. Vergleichbar der Situation am Ende des 19. Jahrhunderts rüsten sich die »zu spät gekommenen Nationen« für den globalen Machtkampf und der Islamismus ist die erste transnationale Ideologie aufstrebender Mächte und Bewegungen.
Wer eine internationalistische Politik in der nun hervortretenden »multipolaren Weltordnung« entwickeln will, in der die revolutionäre Linke keine nennenswerte Rolle spielt, muss von einer Position der Defensive ausgehen. Dass die bürgerliche Demokratie einem rechtsextremen Regime vorzuziehen ist, sagen einem nicht nur die Vernunft und der Überlebensinstinkt, sondern auch die Überlieferungen der linken Tradition. Um auch nur eine theoretische Alterna­tive zum Freihandelsregime zu entwicklen, muss der Kapitalismus als globales waren- und ideo­logieproduzierendes System verstanden werden, dessen Dynamik weiterhin große Teile der Welt marginalisiert, aber auch neue Großmächte aufsteigen lässt. Im 21. Jahrhundert kann der Klassenfeind auch eine Kufiya tragen.