Streit um die Extremismusklausel in Dresden

Extrem weltoffen

Zwischen der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden und dem sächsischen Landespräventionsrat gibt es einen Streit um Fördermittel. Der Freistaat Sachsen fordert, dass zwei Referenten aus Tschechien die sächsische ­Ex­tremismusklausel unterzeichnen.

Im Bewusstsein der deutsch-tschechischen Geschichte war es für Hildegart Stellmacher, die Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden e.V., eine Selbstverständlichkeit, dass sie den tschechischen Referenten bei einer Veranstaltung im Sommer vorigen Jahres keine deutsche Extremismusklausel zur Unterschrift vorlegte. Ihr Verein hatte Geld beim Landesprogramm »Weltoffenes Sachsen« beantragt, um mit einer Diskussionsrunde zum besseren Verständnis der Situation der jüdischen Gemeinden und der religiösen und politischen Zusammenarbeit im Nachbarland beizutragen. Martin Prudky und Tomáš Kraus referierten, moderiert von Hildegart Stellmacher, in der Dreikönigskirche in Dresden. Stellmacher war der Ansicht, dass es ausreiche, wenn sie selbst die Extremismusklausel unterzeichne. »Wir sind dankbar, dass wir Geld aus dem Programm ›Weltoffenes Sachsen‹ erhalten«, sagt sie im Gespräch mit der Jungle World, »unsere Arbeit wird dadurch sehr erleichtert. Diese Extremismusklausel ist ein notwendiges Übel, dass wir da natürlich in Kauf nehmen müssen«. Dass der Freistaat den Schwur auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung auch von den tschechischen Referenten einforderte, hielt sie anfangs für ein Versehen. Doch auch auf ihre Nachfrage hin blieb man auf Seiten des Landespräventionsrats Sachsen unnachgiebig.

Martin Prudky ist stellvertretender Dekan der Karlsuniversität in Prag und ein renommierter Theologe. Tomáš Kraus ist Vorsitzender der Föderation der Jüdischen Gemeinden der Tschechischen Republik und Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses. Beide waren aktiv an der tschechischen »Novemberrevolution« 1989 beteiligt. Beide Referenten sollten nach Ansicht des sächsischen Innenministeriums unterschreiben, dass sie sich »zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und keine Aktivitäten entfalten, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechen«. Ohne diese Unterschriften ist die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit aller Voraussicht nach gezwungen, das Fördergeld, das sie aus dem Landesprogramm »Weltoffenes Sachsen« erhalten hat, wieder zurückzuzahlen.
»Wer eine solche Erklärung als unzumutbar empfindet, entlarvt sich selbst«, hatte Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) anlässlich der Einführung der sächsischen Extremismusklausel geäußert. Dass die 2011 von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) eingeführte Ex­tremismusklausel in erster Instanz vom Verwaltungsgericht Dresden im April 2012 für unzulässig erklärt wurde, schert das sächsische Innenministerium wenig. Ganz im Gegenteil verkündet man hier immer wieder stolz, eine eigene Klausel mit eigenen Regeln zu haben.

In Sachsen wird die umstrittene Klausel in einer verschärften Form angewendet. Die sächsische Landesregierung verlangt die Unterschrift nicht nur von denjenigen, die die Fördergelder vom Land erhalten, sondern verpflichtet die Fördermittelempfänger dazu, diese Erklärung von allen unterschreiben zu lassen, denen im Rahmen einer bewilligten Maßnahme Geld ausgezahlt wird. Das ist einmalig in der Bundesrepublik. Stellmacher hat einen Brief an das Bundespräsidialamt geschrieben, um im Sinne des »Respekts vor den tschechischen Referenten und der Achtung des demokratischen Nachbarlandes« um Unterstützung zu bitten. Dort wird vom zuständigen Referatsleiter zwar bestätigt, dass die sächsische Verfahrensweise »keine Entsprechung in der Demokratieerklärung des Bundes« finde, aber auch darauf hingewiesen, dass es dem Bundespräsidenten nicht zustehe »Angelegenheiten zu kommentieren oder gar zu kritisieren, die originär in der Zuständigkeit eines Bundeslandes wurzeln«.
Für Christian Staffa von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAGKR) ist der Vorgang ein Skandal. Im Gespräch mit der Jungle World weist er darauf hin, dass dieses Beispiel die Absurdität der Extremismusklausel in besonderer Weise vor Augen führe: »Beide Referenten sind gestandene Demokraten. Es ist einfach unglaublich, sie jetzt auf die deutsche Grundordnung schwören lassen zu wollen.« Der Historiker Jürgen Zarusky, der am Münchner Institut für Zeitgeschichte derzeit zum Münchner Abkommen von 1938 forscht, findet, der Vorgang sei »an Peinlichkeit nicht zu überbieten«. In Anspielung auf den Titel des Förderprogramms sagt er: »Wer die Fahne der ›Weltoffenheit‹ schwenkt, der sollte etwas mehr historische Sensibilität aufbringen und es sich zweimal überlegen, tschechischen Gästen auf Versöhnungsmission ein Bekenntnis zur deutschen Verfassung abzuverlangen, mag sie noch so demokratisch sein. Vollends beschämend wird es, wenn man bedenkt, dass Tomáš Kraus der Sohn zweier Holocaust-Überlebender ist.«
In der sächsischen schwarz-gelben Regierungskoalition sorgte der Vorgang nach seinem Bekanntwerden zumindest für Irritationen. Carsten Biesok, der rechtspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, ist ein grundsätzlicher Befürworter der Extremismusklausel, in diesem Fall hält er es jedoch »für unzulässig, diese Erklärung zu verlangen«. Nach Rücksprache mit dem sächsischen Innenministerium sei ihm dort signalisiert worden, dass die Angelegenheit geklärt werden konnte. Lothar Hofner, stellvertretender Pressesprecher des Ministeriums, konnte dies gegenüber der Jungle World nicht bestätigen. Zum Einzelfall könne er aus Datenschutzgründen nichts sagen, aber Hofner betonte, dass »in der Richtlinie des sächsischen Staatsministeriums des Innern zur Förderung von Maßnahmen« alles geregelt sei. Dieser Richtlinie zufolge müssen die als Partner ausgewählten Personen die Extremismusklausel unterschreiben. Die Generalkonsulin der Tschechischen Republik in Dresden, Jarmila Krejčíková, ist über den Fall informiert. Das Konsulat argumentiert formaljuristisch und meint, dass Tschechen auf deutschem Boden die Gesetze und Vorschriften des Landes zu akzeptieren haben. Es schlägt vor, dass die Referenten freiwillig auf ihre Honorare aus Deutschland verzichten und stellt in Aussicht, dass die Kosten von der tschechischen Seite übernommen werden.

Die Oppositionsparteien im sächsischen Landtag, die die generelle Abschaffung des »Gesinnungs-TÜV« fordern, sind empört über den Vorgang. Miro Jennerjahn, demokratiepolitischer Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, fordert, »dass im Innenministerium die zuständigen Personen anfangen, das Gehirn einzuschalten«, und bezeichnet den Vorgang als »Perversität«. Für Henning Homann von der SPD-Landtagsfraktion ist es »beschämend, dass der Freistaat Sachsen die Demokratieinitiativen im Land dazu zwingt, so unsensibel mit ausländischen Partnern und Partnerinnen umzugehen«. Kerstin Köditz von der Fraktion der Linkspartei im sächsischen Landtag will den Vorfall parlamentarisch aufarbeiten. »Das ist wohl die neue Form deutscher Großmachtgelüste: Das Grundgesetz soll universell verpflichtend gemacht werden.«