Bettina Brokemper im Gespräch über die Reaktionen auf den von ihr produzierten Film »Hannah Arendt« in Israel

»Sie war einfach zu früh«

Am 26. April wird in Berlin zum neunten Mal der Deutsche Filmpreis Lola vergeben. In sechs Kategorien nominiert ist der Spielfilm »Hannah Arendt« von Margarethe von Trotta (Regie) und Bettina Brokemper (Produktion). Brokemper studierte Ende der neunziger Jahre an der HFF München und ist seitdem national und international als Produzentin tätig. Hannah Arendts Buch »Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen« über den Eichmann-Prozess 1961 erntete in Israel, aber auch den USA und Deutschland, viel Kritik, da sie unter anderem Eichmann als Schreibtischtäter beschrieb, die Rolle der Judenräte bei der Vernichtung betonte und den Prozess mit einer Show verglich. Die Jungle World sprach mit Brokemper über den Film »Hannah Arendt« und die Reaktionen auf ihn in Israel nach dem dortigen Kinostart am 5. April.

Wann sind Sie Hannah Arendt bzw. ihren Schriften das erste Mal begegnet?
Irgendwann gegen Ende meiner Schulzeit kam ich auf Hannah Arendt und Kant – was man eben so liest, wenn man anfängt zu denken. Ich war sehr begeistert und habe mich gleichzeitig darüber gewundert, wie wenig Filmisches es über Hannah Arendt gab. Sie hat so eine Aktualität in ihrem Denken und in dem, was sie zu totalitären Systemen und überhaupt über Menschen gesagt und von ihnen gefordert hat. Das fand ich immer schon spannend. Und ich glaube, dass viel von der damaligen Kontroverse um ihren Bericht über den Eichmann-Prozess seinen Grund darin hatte, dass es einfach zu früh war und sie in einem Ton gesprochen hat, den die Leute damals nicht ertragen konnten.
Es gibt jedes Jahr ein Treffen unter einigen Produzenten und Produzentinnen, wo wir über »Filme, die die Welt nicht braucht«, sprechen und über »Filme, die die Welt nicht hat, und man weiß nicht, warum«. Und in dem Zusammenhang sagte ich, dass man dringend einen Film über Hannah Arendt machen müsse. Das war so 2002, 2003. Michael Schmid-Ospach, der damalige Chef der Filmstiftung NRW, meinte, ihm hätte gerade Margarethe von Trotta erzählt, dass sie einen Film über Hannah Arendt plant. Er machte uns miteinander bekannt. Ich wusste nicht, dass Margarethe vorher schon mit anderen Produzenten gesprochen hatte, die aber alle Hannah Arendt nicht kannten und eher so mit »Hannah wer?« reagierten. Dann haben wir uns in Brüssel getroffen und uns auf Anhieb sehr gut verstanden. Zu der Zeit gab es eine erste Fassung des Drehbuchs von Margarethe von Trotta und Pam Katz, und auf dieser Grundlage fingen wir dann an.
Der Film ist wieder eine internationale Koproduktion – wer ist dabei?
Ziemlich schnell hatten wir Partner in Frankreich und Israel, aber das reichte noch nicht zusammen mit den Geldern aus Deutschland, und dann kam zum Glück Luxemburg dazu, der Retter in der Not. Auf einem Koproduzentenmarkt hatte ich Alexander Dumreicher-Ivanceanu getroffen und ihm von Hannah Arendt erzählt, und er meinte dann: »Das haben wir auch schon lange vor, aber es nie geschafft.« Und als er dann das Drehbuch las, fand er es ganz toll. Wir haben dann in Luxemburg beispielsweise die New Yorker Szenen gedreht, und hatten auch Luxemburger Darsteller und Musiker, also klappte das mit der restlichen Förderung.
Aber zwischen Hannah Arendt und Luxemburg gibt es keine Verbindung, oder?
Nicht, dass ich wüsste. Zur Schweiz schon eher, dort hat sie Jaspers besucht. Aber in Luxemburg ist sie sehr bekannt.
Also eigentlich überall bekannter als hier in Deutschland.
Ja, in Frankreich hatte ich schon dieses Gefühl und auch in Luxemburg, dort steht sie auf den Lehrplänen der Schulen. Hier ist das anders, sie ist sehr lange nicht gelehrt worden. Dieses Jahr kommt sie erstmals zumindest in drei Bundesländern in den Lehrplan. Ich habe mich immer sehr über ihre Abwesenheit gewundert, denn es gibt ja nicht so viele deutsche Frauen, an die man sich erinnert, und Hannah Arendt ist schon eine der bekannteren. Sie selbst hat sich ja nicht Philosophin genannt, sondern politische Denkerin, und das ist halt eine Männerdomäne. (lacht laut)
Der Film hatte gerade Premiere in Israel.
Ja, da war ich auch dabei.
Ist er da auch in der Originalfassung gelaufen, auf Deutsch, Englisch und Hebräisch, nur eben mit hebräischen Untertiteln?
Ja, der Film wird überall nur so gezeigt. Die israelische Kinopremiere war am 5. April, aber wir hatten ihn auch schon im November 2012 auf dem Frauenfilmfestival in Rehovot gezeigt. Dort kam der Film sehr gut an, es gab drei ausverkaufte Vorstellungen. Die Premiere jetzt in Jerusalem war sehr gut, volles Haus, tolle Leute, ein Teil des Teams war auch dabei, das war super. Vorher hatten alle, und wir ja auch, erwartet, dass es in Israel große Kritik geben würde, aber dem war nicht so. Jedenfalls wurde es uns nicht direkt gesagt, und der Koproduzent David Silber meinte auch, die Presse ist gut. Bei der Premiere gab es eine sehr schöne Einführungsrede von einem Vertreter von Yad Vashem, der Hannah Arendt vorstellte. Generell war mein Eindruck, dass die Israelis eigentlich dachten: »Gut, dass da jetzt mal drüber geredet wird, sie ist so lange hier nicht besprochen worden.«
Viele in Israel werden sie schon auf Englisch gelesen haben, das erste Buch von ihr wurde erst 2000 ins Hebräische übersetzt.
Es war ihr ja auch angedroht worden, dass ihre Bücher in Israel nicht erscheinen werden, und jetzt sind sie es doch, aber das hat sehr lange gedauert. Ich glaube, es ging auch früher nicht oder es gab kein Interesse.
Aber bei unserer Filmpremiere gab es nun nicht diese Kontroverse, auf die wir gewartet hatten, sondern interessanterweise gingen die Reaktionen eher in die Richtung: »Ja, muss man nicht teilen, man muss auch nicht richtig finden, was sie gedacht hat, aber es ist gut, dass mal drüber gesprochen wird.« Und gleichzeitig ist interessant, dass wir kürzlich bei einer Vorpremiere in Paris zum ersten Mal den Vorwurf hörten, wie denn ausgerechnet Deutsche so einen Film machen könnten. Das, was wir in Israel erwartet hatten, passierte also in Frankreich. Für Menschen in Israel war das damals, als Hannah Arendt von dem Prozess berichtete, eine ganz sensible Geschichte, und sie hat ja auch nicht gesagt, dass die Judenräte die Bösen waren, sondern sie hat genau das Dilemma geschildert. Aber der Zeitpunkt, zu dem sie das schrieb, der war so früh, dass es niemand ertragen konnte. Dann natürlich auch der etwas ironische Ton und die Art, wie sie schrieb, das wurde als sehr kalt empfunden.
Wir mussten unseren Film ja auch in Israel drehen, und ich habe dann ganz früh einen israelischen Koproduzenten, den ich kenne, gefragt, ob es ein Problem geben könnte, hier einen Film über Hannah Arendt zu machen. Nein, überhaupt nicht. Die israelischen Kolleginnen und Kollegen waren alle ganz angetan und fanden das eine richtige und wichtige Geschichte, und sie kannten Hannah Arendt interessanterweise auch alle. Das hat wieder einmal gezeigt, dass manches in Israel selbst wesentlich harmloser gesehen wird, als wenn man von außen darauf schaut, und dass dieser Verteidigungshaltung gegenüber Israel, die hier manchmal herrscht, stärker ist als die Haltung der Israelis selbst. In Israel gibt es wirklich einen großen demokratischen Freiraum für alle Meinungen. Ich habe zum Beispiel einen Film gemacht: Lemon Tree.
2008, mit Eran Riklis.
Genau. Der Film ist durchaus kritisch, aber wir haben sogar Geld vom israelischen Staat erhalten, weil die Kunst und die Kultur dort frei sind und man sich auch kritisch äußern darf. Ich habe Israel immer als ein sehr freies Land empfunden, mit all den Problemen, die es da gibt und die ja auch alle in die Verzweiflung treiben, aber ich finde es immer komisch, wie das hier gesehen wird, wie schlimm manche Berichte über Israel sind, denn sie beschreiben nicht, wie es ist.
Ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag gab es diese versuchte Hackerattacke »Israel aus dem Netz löschen« von Anonymous, die sich ja eigentlich für den freien Datenverkehr und für Redefreiheit einsetzen.
Eben! In Israel gibt es ja komplette Redefreiheit, jeder darf da sagen, was er will, und die ganzen Parteien und sonstigen Gruppen, die unterstützen ja auch kritische Sachen, und deswegen bin ich immer wieder erstaunt. Wie gesagt, die Israelis hatten keine Probleme mit unserem Film. Der Verleih hatte interessanterweise entschieden, ihn am Holocaust-Gedenktag herauszubringen. Gleich am ersten Wochenende hatten den Film schon über 4 000 Menschen gesehen, was für Israel angeblich gut ist, und er läuft mit zehn Kopien. Der größte Start in Israel sind 20 Kopien, also ist unserer schon relativ groß.
Noch mal zurück zu Hannah Arendt. Neben der inhaltlichen Kritik an ihrem Bericht vom Prozess wurde ihr ja auch vorgeworfen, dass sie so kalt erscheine. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte man da überhaupt Wärme erwartet, oder wäre es da nur um die Inhalte gegangen?
Ich glaub schon, dass das Geschlecht auch eine Rolle spielt. Das ist ja wie zu sagen: Ein Mann ist kämpferisch und eine Frau ist zickig. Hannah Arendt hat sich damals in einer reinen Männerdomäne bewegt, und da werden natürlich an Frauen manchmal absurdere Ansprüche gestellt als an Männer. Ich glaube aber schon, dass auch ein Mann Kritik geerntet hätte, weil es einfach auch sehr früh war für solche Inhalte.