Kroatien, Land der Grenzen

Licht an, Käse raus!

In Kroatien gibt es mehr Grenzen als Nachbarländer. Jetzt bekommt das Land auch noch eine EU-Außengrenze. Das könnte kompliziert werden. Oder auch nicht.

Links das Meer, rechts die Berge und nach der scharfen Nordkurve ist auch schon Schluss. In Kroatien stößt man schnell an Grenzen. So schroff wie die natürlichen Grenzen, so schroff verläuft auch die kroatische Vaterlandsgrenze: ­Jeder, der in diesem Land mit einer Meinung die Grenzen der Sippschaft überschreitet, wird mindestens verdächtigt, Serbe, Bosnier, Zigeuner, Ausländer oder Spion zu sein. Woanders ist das auch nur um Nuancen besser. Hier aber, in diesem eng geschnittenen und ebenso eng gedachten Landstrich, herrscht dank des Vaterländischen Krieges die Besonderheit der permanenten Grenzüberquerung.
Will man beispielsweise vom kroatischen Gruda ins bosnische Trebinje, was viele Leute gerne machen, um den in Tierhaut reifenden Käse Torotan zu kaufen, konnte man bis 1991 die paar Kilometer auch einfach mal mit einem ausgedehnten Spaziergang bewältigen. Heute braucht man mit dem Auto fast eine Stunde, muss bei einer Hin- und Rückfahrt gefühlte zwölf Mal den Pass vorzeigen und wissen, welche Gesetze in dem jeweiligen Land für die Verwendung des Autolichts gelten. So ist es in Montenegro Pflicht, das Licht immer, auch tagsüber, anzuschalten. Hat man sich gerade einen Überblick verschafft, in welchem Staat man nun eigentlich gerade ist, steht bereits zehn Meter hinter der Grenze ein Polizist, der einen rauswinkt und 15 Euro für das nicht eingeschaltete Licht verlangt.
Die Sorge, dass ab 1. Juli die kroatischen EU-Grenzer mit dem geschmuggelten Käse aus Trebinje so verfahren wie die Montenegriner mit dem Licht, ist unter den Bewohnern groß. Aber wahrscheinlich gar nicht allzu berechtigt, zumindest solange der Käseschmuggler ein kroatisches und kein herzegowinisches Kennzeichen hat. Die Kroaten nämlich würden mit der EU-Außengrenze zu Bosnien am liebsten das machen, was sie am besten können: sie zubetonieren! Jene bosnischen Kroaten aus der Herzegowina, die man früher in Busse stopfte und ins kroatische Mutterland fuhr, damit sie dort für die Heimatliebe demons­trieren, gelten den künftigen EU-Bürgern jetzt nur noch als Ursache für alles, was den Fortschritt Kroatiens behindert, als Leute, die man in Busse stopft und an die kroatische Adria karrt, um dort »unsere schöne Küste zu verschandeln«.
Das skurrilste Grenzproblem ist denn auch der Neum-Korridor. Eine fünf Kilometer lange Bucht an der kroatischen Adria-Küste, die bosnisches Territorium ist. Will ein Kroate nach Dubrovnik, überquerte er bislang entspannt die kleine Brücke von Neum, auf der ein Zollhäuschen stand, und fuhr, nur selten von einem Grenzbeamten zur Kenntnis genommen, mal eben kurz durch Bosnien-Herzegowina. Ab 1. Juli, dem Beginn der touristischen Hochsaison, befürchten die Kroaten, mehrere Stunden vor, auf und hinter der Brücke im Stau zu stehen, denn die EU-Kroaten müssen ihre Außengrenzen dann nach EU-Norm kontrollieren.
Ein Tunnel durch das Hinterland, eine Transitautobahn, Fährverbindungen oder Brücken, die über die Insel Pelješac führen – keine der diskutierten Lösungen wurde bislang verwirklicht. Allerlei geostrategische Gründe werden dafür seit Jahren angeführt. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass es sich mit dieser Grenze so verhalten wird wie mit all den anderen Grenzen auch, die hier durch die blutige Parzellierung entstanden sind – dafür wurden sie ja letztlich auch geschaffen: Wenn man die richtigen Papiere hat, wenn man von den Schweinehälften, Käselaiben, Zigaretten- und Dynamitstangen dem Zöllner etwas abgibt und immer brav das Licht anmacht, wird im Grenzverkehr alles weiter so laufen wie bisher im Großen und Ganzen auch – bei Kriegsverbrechen, Korruption, Waffenschmuggel, Homophobie oder Rassismus: weggucken und durchwinken! Es sei denn, man hat ein bosnisches Nummernschild. Oder kann nicht zahlen.