Proteste gegen die Privatisierung des Erdölsektors in Mexiko

Versiegende Quellen

In Mexiko wird gegen die geplante Privatisierung der Erdölausbeutung demons­triert. So wie jetzt kann es mit dem staatlichen Ölkonzern Pemex aber auch nicht weitergehen.

Andrés Manuel López Obrador brachte die Sache für alle auf den Punkt: »Sie wollen mit den ausländischen Ölkonzernen den Wohlstand teilen, den sich unser Volk und unsere Nation erarbeitet haben«, schimpfte der linke mexikanische Politiker vorige Woche bei einer Demonstration in Mexiko-Stadt. Gemeint waren natürlich die Herrschenden in Mexiko, konkret ging es um den Präsidenten Enrique Peña Nieto von der Partei der Institutionellen Revolution (PRI). Gegen dessen geplante Energiereform waren an jenem Tag Tausende auf die Straße gegangen. Kein politisches Thema bewegt die Menschen in Mexiko derzeit mehr als das Vorhaben der Regierung, das staat­liche Erdölunternehmen Pemex zu privatisieren. Denn Erdöl ist in Mexiko mehr als ein fossiler Brennstoff: Es ist der Inbegriff nationaler Unabhängigkeit, seit der damalige Präsident Lázaro Cárdenas 1938 Unternehmen wie Shell, Standard Oil und BP aus dem Land gejagt und die Ölindustrie verstaatlicht hat. Für Gewerkschafter, Linke und andere Oppositionelle steht deshalb fest: Wer Pemex verkauft, betreibt den Ausverkauf der Nation ans internationale Kapital.

Ohne die Erdölförderung sähe es für Mexiko tatsächlich schlecht aus. Im vergangenen Jahr konnte der Konzern einen Umsatzrekord von umgerechnet 93 Milliarden Euro verbuchen. Mehr als die Hälfte davon landet in der Staatskasse, wovon Sozialprogramme, Straßenbau und weitere Dienstleistungen finanziert werden. Pemex ist für etwa ein Drittel des Haushalts verantwortlich, nur etwa zehn Prozent nimmt der Staat über Steuern ein – das ist die niedrigste Quote aller Staaten der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD). Außerdem bietet Pemex 151 000 Menschen einen Arbeitsplatz, der ein hohes Niveau an sozialer Sicherheit garantiert: Kündigungsschutz, sichere Rente, starke Gewerkschaft. Kein Unternehmen symbolisiert besser das alte System der ehemaligen Staatspartei PRI, in dem wichtige gesellschaftliche Gruppen durch Alimente zufrieden- und damit ruhiggestellt wurden. Wenig verwunderlich ist daher das Resultat einer Umfrage zivilgesellschaftlicher Organisationen, nach der sich vier von fünf Mexikanern gegen eine Verfassungsänderung aussprechen, die für die Privatisierung der Ressourcenausbeutung nötig wäre.
Der nationale Wohlstand, den López Obrador nicht verspielen will, könnte jedoch bald vorbei sein. Nur steigende Ölpreise und günstige Wechselkurse verschaffen Pemex derzeit hohe Umsätze, die Fördermengen hingegen sanken drastisch: von 3,4 Millionen Barrel pro Tag (bpd) im Jahr 2004 auf 2,6 Millionen bpd 2011. Die Technologie des Konzerns ist komplett veraltet, neue Ölfelder können nicht ausgebeutet werden. Schon jetzt schickt Mexiko 40 Prozent seines Rohöls in die USA, weil die Kapazitäten der eigenen Raffinerien nicht ausreichen. Folglich importiert Mexiko fast die Hälfte seines Treibstoffs zu hohen Preisen. Auch die Arbeitseffektivität ist bescheiden. Laut einer Studie der Rice University in Houston von 2011 erwirtschaftet ein Beschäftigter von Pemex die Hälfte des Pro-Kopf-Umsatzes im Vergleich zu seinem Kollegen beim brasilianischen Ölkonzern Petrobras und nur ein Viertel eines Mitarbeiters der britischen BP.
»Wir brauchen mehr Investoren, neue Technologie und müssen die Produktivitätskapazität steigern«, fordert deshalb Hector Moreira Rodríguez, ein Mitglied des Vorstands von Pemex. Dessen Vorsitzender Emilio Lozoya Austin meint gar, Mexiko habe gemeinsam mit Nordkorea den weltweit restriktivsten Rahmen für die Vermarktung seiner Bodenschätze. Der Ruf nach Reformen ist nicht neu. Schon lange drängen wirtschaftsliberale Politiker auf eine Öffnung, doch bislang mit wenig Erfolg. Der ehemalige Präsident Vicente Fox (2000 bis 2006) von der konservativ-liberalen Partei PAN gab nach dem ersten Widerstand auf, sein Nachfolger und Parteifreund Felipe Calderón (2006 bis 2012) erreichte lediglich, dass die Regierung weniger direkten Einfluss auf Unternehmensentscheidungen hat. Nun soll es also ein Politiker des PRI richten. Peña Nieto, der sich voriges Jahr bei den Wahlen auch gegen López Obrador, damals Kandidat des sozialdemokratischen PRD, durchsetzen konnte, hat vorgesorgt: Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hat er mit Führern des PAN und des PRD einen »Pakt für Mexiko« geschlossen, in dem eine Energiereform vorgesehen ist. Bekommt er genügend Vertreter des wirtschaftsfreundlichen PAN auf seine Seite, erhält er zudem im Senat und im Abgeordnetenhaus die für eine Verfassungsänderung nötige Zweidrittelmehrheit.

Zu fürchten hat der Präsident jedoch neben dem Druck der Straße seine eigene Parteibasis. Schon als Fox die Reform ins Spiel brachte, protestierten die starken, traditionell dem PRI nahestehenden Gewerkschaften gegen eine Privatisierung. Nicht zuletzt deshalb laviert Peña Nieto, wenn es um seine konkreten Pläne geht. »Wir Mexikaner werden auch künftig die einzigen Besitzer der Erdölrente sein«, behauptet er. Und der Pemex-Chef Lozoya konkretisiert: »Es handelt sich nicht um eine Öffnung für privates Kapital, sondern um die Möglichkeit, dass Pemex zur Erkundung von Rohstofflagern, zur Schaffung von Raffinerien oder zum Transport von Gas Joint Ventures mit anderen Geschäftspartnern eingehen kann.« Das klingt doch nach Öffnung. Das Ziel sei nur, beteuert Lozoya, das mexikanische Potential in der Energiegewinnung zu nutzen.
Zweifellos muss sich Pemex modernisieren. Die Lagerstätte Cantarell, aus der das Erdöl seit 1971 aus dem Meeresboden sprudelt und die 60 Prozent der Fördermenge Mexikos liefert, versiegt. Um neu entdecktes Tiefseeöl im Golf von Mexiko zu fördern, braucht es aber große Investitionen in die Technologie. Für die Schiefergaslager, die mit der umstrittenen Fördermethode Fracking ausgebeutet werden könnten, fehlt dem staatseigenen Betrieb ebenso das Geld, Pemex ist mit 60 Milliarden US-Dollar verschuldet. Hier liegt das strukturelle Problem. Wenn mehr als die Hälfte der Einnahmen direkt in die Staatskassen fließt und der Rest überwiegend zwischen korrupten Beamten, Politikern und Gewerkschaftern aufgeteilt wird, bleibt kaum Geld für Investitionen. Jahrzehntelang haben PRI-Funktionäre sich selbst und ihre Klientel alimentiert, anstatt die Anlagen zu warten und zu modernisieren. Förderinseln verrotten, regelmäßig leckt Öl aus kaputten Rohren, mehrmals kamen bei Explosionen Menschen ums Leben. Gleichzeitig finanzierte das Unternehmen den Wahlkampf des PRI und Funktionäre wie der Vorsitzende der Gewerkschaft der Pemex-Arbeiter, Carlos Romero Deschamps, häufen Reichtümer an. Selbst die Mafia bedient sich. Seit Jahren zapfen Kartelle Pipelines an und verkaufen das gestohlene Öl in den USA.
Eine kapitalistische Öffnung wird diese Verhältnisse kaum ändern. Klar aber ist: Wenn künftig private Investoren am Erdölgeschäft mitverdienen, wird Pemex erheblich weniger Geld in den Staatshaushalt bringen. Peña Nieto will deshalb den Spitzensteuersatz anheben und Steuerschlupflöcher schließen. Ebenso ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer, unter anderem auf Arznei- und Lebensmittel, geplant. Auch dagegen gehen Oppositionelle derzeit auf die Straße. Man müsse einfach die Gehälter der hohen Funktionäre halbieren, schlägt López Obrador stattdessen vor. Und man müsse die Korruption bekämpfen, anstatt Pemex zu privatisieren. Damit hat er sicher recht, nur wird er das marode Unternehmen mit solchen Willensbekundungen kaum auf die Schnelle aufpolieren können. Und viel Zeit bleibt nicht, bis die bisher ausgebeuteten Quellen versiegen: Aus Cantarell wird schon jetzt nur noch ein Fünftel der früheren Menge gefördert.