Berlin Beatet Bestes. Folge 214

Es geht um Spaß, Knalltüte!

Berlin Beatet Bestes. Folge 214. Seibi Schränzer: Taiger Rägg (1974).

Handwerkliche Kunstfertigkeit gilt nicht ganz zu Unrecht als langweilig. Man denke nur an den Studiomusiker, der zwar technisch auf höchstem Niveau spielt, aber zu keiner eigenständigen Idee fähig ist. In der Populärmusik hat sich seit dem Blues und dem Jazz immer das Primitive durchgesetzt. Es erscheint überraschender, authentischer und deshalb inno­vativer. Ebenso sieht es in der Bildenden Kunst aus. Der pfiffige Künstler denkt sich: »Handwerkliche Fähigkeiten auszubilden, ist mühselig, dauert sehr lange, und noch dazu besteht ­die Gefahr, dass mein Werk konventionell wird. Warum also nicht gleich eine Abkürzung nehmen, wenn der Fehler sowieso herausragt und später gelobt wird?«
Natürlich muss der primitive Stil genauso geübt werden wie der sogenannte konventionelle. Also wird fleißig mit links gemalt, bis die eigene Gewöhnlichkeit erfolgreich verschleiert ist. Seltsamerweise langweilt die prätentiöse Schrägheit die Kritiker bisher nicht, obwohl die Lust am Falschspielen ein uralter Hut ist. Genau genommen lässt sie sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen.
Ein Beispiel ist die sogenannte Katzenmusik. Sie diente dazu, Mitbürger zu ächten, die sich angeblich einer Verfehlung, beispielsweise der Heirat mit einem sehr viel älteren oder jüngeren Partner, schuldig gemacht hatten. Mit der Lärmdemonstration vor dem Haus mobbten die braven Bürger die Betroffenen. Auf diesen asozialen Brauch geht die bis heute in der Schweiz und in Teilen Süddeutschlands in der Fastnacht gespielte Guggenmusik zurück. Gugge bedeutet auf Schweizerdeutsch soviel wie Blechbläser. Das bewusste Falschspielen in Gemeinschaft mit korrekt spielenden Bläsern ergibt eine disharmonische Harmonie, die im Karneval vor allem laut gespielt wird. Das Richtigspielen ist dabei streng verpönt. Zu hören ist dies auch auf der EP der 1949 in Basel gegründeten »Seibi Schränzer«, die sie aus Anlass ihres 25jährigen Jubiläums veröffentlichten. Munter verprügeln sie darauf Hits wie »Hernando’s Hideaway« aus dem Doris-Day-Film »Picknick im Pyjama« und den 1917 von der Original Dixieland Jass Band aufgenommenen Jazzstandard »Tiger Rag«.
Heutige Guggenmusiker spielen Songs von den Toten Hosen und Green Day nach. Für die meisten Gruppen steht der Spaß am richtigen Falschspielen immer noch im Vordergrund, allerdings macht sich auch eine neue Professionalität bemerkbar. Die Debatte darüber lässt sich auf Youtube verfolgen:
»Geiler Übergang vom Trommelsolo zum Lied«, meint jemand, »finde aber, dass ihr das zu professionell gespielt habt. Das ist eigentlich nicht der Sinn einer Guggemusik.« »Von wegen zu perfekt gespielt, soll man extra einen falschen Ton blasen, damit es sich besser anhört?« fragt ein anderer und bekommt zur Antwort: »Es geht nicht darum, perfekt zu spielen, es soll Spaß machen, du Knalltüte!«

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.