Proteste gegen Flüchtlingsheim in Baden-Württemberg

Nein zum Heimle

Auch in Baden-Württemberg lehnen ­Anwohnerinnen und Anwohner die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften ab.

Anonyme Flugblätter landeten an Weihnachten in den Briefkästen der Gemeinde Steinegg im baden-württembergischen Enzkreis. Auf ihnen war zu lesen: »Wenn eine Katastrophe droht, müssen wir zusammenhalten und bereit sein, ungewöhnliche Schritte zu unternehmen und gewisse Opfer zu bringen.« Mit der Katastrophe ist eine geplante Flüchtlingsunterkunft in dem kleinen Ort mit seinen 1 000 Einwohnern gemeint. Er liegt zwischen Pforzheim und Stuttgart in den nördlichen Ausläufern des Schwarzwalds.

Dort will der Landkreis ihm zugeteilte Flüchtlinge unterbringen. Ein ehemaliges, seit kurzem nicht mehr genutztes Altenheim ist dafür vorgesehen. Das Gebäude liegt in der Ortsmitte. Wenn es nach dem Kreis geht, sollen hier bis zu 50 Geflüchtete unterkommen. Dafür soll das Haus gekauft werden. Gegenwärtig befindet es sich im Besitz der Pfarrgemeinde des Orts Neuhausen, dessen Ortsteil das Dorf Steinegg ist. Kreis, Pfarrgemeinde und Bürgermeister gingen mit diesen Informati­onen zunächst nicht an die Öffentlichkeit. Umso größer war die Erregung der Einwohnerinnen und Einwohner, als sie an Weihnachten publik wurden.
Das Geschehen im ländlichen und abgelegenen Steinegg zeigt beispielhaft, was angesichts der Vorgänge in Hellersdorf, Schneeberg und Hoyerswerda gerne übersehen wird: Auch im Westen wollen Bürger keine Sammelunterkünfte in der Nachbarschaft. Das verkrafte Steinegg nicht, schrei­ben die Verfasser des Flugblatts, dessen Tonfall dem anderer Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte in nichts nachsteht. Die Risiken für Sicherheit, Eigentum und Ansehen des Dorfes seien enorm, behaupten die Schreiber. Sie haben auch schon einen Plan, die Unterbringung von Flüchtlingen im Dorf zu verhindern: Die Bürger sollen das Haus kaufen. »Wir hätten dann für immer unsere Ruhe, unser Gemeindeleben würde aufgewertet und unser Dorf ist gerettet.«
Das Flugblatt versetzte die Leser offensichtlich in Aufregung, schließlich kamen mehrere hundert Leute Ende Dezember zu einer Bürgerversammlung zum Thema. »Um Asyl kommen wir nicht rum, das müssen wir mittragen«, sagte eingangs ein Mann, der sich als Schreiber des Flugblatts vorstellte und während der Veranstaltung das Wort führte. Man habe im Ort schließlich auch einmal versucht, die Abschiebung einer Familie zu verhindern. Er habe nichts gegen Ausländer. Wer ihm länger zuhörte, erhielt einen anderen Eindruck. Der geplante Standort für das Flüchtlingsheim liege direkt an der zentralen Bushaltestelle, sagte er. Wenn seine Frau oder Tochter abends mit dem letzten Bus nach Hause käme, hätte er ein schlechtes Gefühl. Vieles in seiner Rede blieb bloß Andeutung, trotzdem war die Botschaft völlig klar. »Wenn das Heim kommt, was passiert dann nach 18 Uhr, wenn die örtliche Polizeidienststelle geschlossen ist?« fragte der Mann suggestiv. Ein Raunen ging durch die vollbesetzten Stuhlreihen des Pfarrgemeindesaals.

Mit ganz ähnlichen Sätzen hatten Funktionäre der NPD im vergangenen Jahr, gerne auch getarnt als vermeintliche Anwohnerinnen und Anwohner, den Protest vielerorts gezielt vorangetrieben. Im kleinen Steinegg aber ist der Redner allen bekannt und für sein ehrenamtliches Engagement hoch angesehen. »Und die Christl, die direkt neben dem ehemaligen Altenheim wohnt, die hat Angst«, sagte er. Die Masse nickte es ab.
Das Spiel mit der Angst ist gefährlich. 2013 hat sich die Zahl der Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt. Dies geht aus einer aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linkspartei hervor. Zudem gab es zum Jahresende sogar deutlich mehr Aufmärsche vor Heimen als unmittelbar vor der Bundestagswahl. Solchen Szenen wird, wenn sie sich im Osten ereignen, viel eher Beachtung geschenkt. Vorkommnisse wie in Steinegg dürften sich wohl nicht in solchen Statistiken finden. Dort steht der Protest noch am Anfang, anders als im 30 Kilometer entfernten Ort Bretten, wo über Facebook gegen eine Unterkunft agitiert wird. Im südbadischen Wehr kam es im November zu einer Brandstiftung an einer Einrichtung. Der Vorfall taucht in den von der Bundesregierung vorgelegten vorläufigen Zahlen politisch motivierter Kriminalität nicht auf. In Fellbach-Oeffingen klagten Anwohnerinnen und Anwohner Flüchtlinge aus dem bereits bezogenen Heim: Diese Vorfälle listet »Netz gegen Nazis« im Jahresrückblick auf und kommt zu dem Schluss, es gebe auch im wohlhabenden Südwesten Rassismus, der außerhalb des extrem rechten Milieus in der Mitte der Gesellschaft vorhanden sei.
In Steinegg tritt dieser Rassismus in Form vermeintlich ehrlicher Sorge auf. Einerseits sprechen die aufgeregten Bürger von einer »tickenden Zeitbombe«, andererseits wollen sie den Flüchtlingen das marode Gebäude nicht zumuten, das bis vor kurzem noch den Ansprüchen eines Altenheims genügte. Iraker, Iraner und Ägypter kämen zudem unter einem gemeinsamen Dach nicht miteinander klar, heißt es. Denen, die anfangs noch das Flugblatt kritisierten, da es den Ort als »ausländerfeindlich« dastehen lasse, werden mit den vermeintlich in bester Absicht vorgebrachten Bedenken die Argumente genommen. »Einige Familien, Kinder oder Vollwaisen kann der Kreis gerne herbringen, aber keine jungen Männer, die zu Hause bestens arbeiten können, es hier aber gar nicht dürfen«, äußerte sich ein Besucher der Bürgerversammlung. Vor allem aber sorgt man sich um den Wertverlust der Grundstücke und Immobilien. Er falle um ein Vielfaches größer aus als die Geldsumme, mit der man dem Kreis das vormalige Altenheim noch wegschnappen könnte. Für den Einfall, das Gebäude selbst zu kaufen, bekommen die Leute aus Steinegg inzwischen auch Zuspruch in den Kommentarspalten des rechten Weblogs »Politically Incorrect«.
Das Land und die Kreise haben aber in jedem Fall Platzbedarf: 12 500 Asylanträge sind im vergangenen Jahr bis Ende November in Baden-Württemberg gestellt worden, die Zahlen halten sich auf diesem Niveau. Damit steht das Ländle bundesweit an dritter Stelle. Eine Zuweisung nach Baden-Württemberg ist für Flüchtlinge trotz ­allem nicht das Schlechteste. Ende Dezember verabschiedete der Landtag auf Initiative der grün-roten Landesregierung ein neues Flüchtlingsaufnahmegesetz. In den Unterkünften sollen pro Person sieben statt bisher viereinhalb Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung stehen, die vorläufige Unterbringung ist nicht auf Sammelunterkünfte beschränkt, sondern auch in Wohnungen möglich. Deutschkurse soll es unter anderem auch für Geduldete geben, die Belange von besonders Schutzbedürftigen sollen in der Erstaufnahme berücksichtigt werden, wo zudem eine Verfahrens- und Sozialberatung geplant ist. Diese Maßnahmen wertet der Flüchtlings­rat Baden-Württemberg als Verbesserungen.
Bisher liegt das Land in der Heimunterbringung nur hinter Bayern: 73 Unterkünfte in Baden-Württemberg führt Pro Asyl in einer Statistik an. In Anbetracht des größer werdenden Platzbedarfs sind seit 2010 geschlossene Unterkünfte wieder geöffnet worden. Und auch das von grundlegender Infrastruktur abgelegene Steinegg ist in Anbetracht der Kaufpläne des Kreises wohl langfristig als Ort für die Unterbringung vorgesehen – nur nicht nach Ansicht der in Gründung befindlichen Bürgerinitiative. Sie würde das Haus wohl auch als Objekt für Feuerwehrübungen kaufen. Bloß nicht lange fackeln.