Die deutschen Rüstungsexporte

Außenpolitik durch die Hintertür

Deutsche Waffen sind Kassenschlager. Nur zwei Länder auf der Welt exportierten 2012 noch mehr Kriegsgerät.

Seit Bundespräsident Joachim Gauck Ende Januar auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine »entschiedenere und substantiellere« militärische Außenpolitik forderte, wird darüber diskutiert, wie viele Soldaten die Bundeswehr künftig wohin schicken könnte. Doch nicht nur Personal, auch Gerät entscheidet über die Kräfteverhältnisse in den Konflikten dieser Welt. Dabei hat Deutschland in der Vergangenheit alles andere als Zurückhaltung geübt. »Die deutschen Waffenexporte sind völlig außer Kontrolle, es gibt kaum noch Grenzen für die deutschen Waffenschmieden«, sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Jan van Aken.
Wie die Exportpolitik der Großen Koalition aussehen wird, ist derzeit umstritten. Im Wahlkampf hatte der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ernst-Reinhard Beck, gefordert, die Beschränkungen für deutsche Waffenexporte zu lockern. Er verlangte eine »offensive Betonung nationaler Sicherheitsinteressen« und lehnte ein Parlamentsveto in Rüstungsexportfragen ab.
Vor der Wahl hatte die SPD noch dagegengehalten. Sigmar Gabriel forderte mehr Transparenz bei Rüstungsgeschäften, über die bislang der geheim tagende Bundessicherheitsrat entscheidet. Dass Deutschland zu den größten Waffenexporteuren gehört, nannte er »eine Schande«. Nach der Wahl sieht der nunmehrige Wirtschaftsminister die Dinge etwas anders. Anfang Februar verteidigte er eine Bürgschaft von über einer Milliarde Euro für den Verkauf von etwa 100 Patrouillen- und Grenzüberwachungsbooten an Saudi-Arabien, das damit seine Ölanlagen schützen wolle. Die Schiffe seien »nicht dafür geeignet, mit Raketen umgerüstet zu werden, um andere Länder zu bedrohen«, rechtfertigte Gabriel seine ­Position, auch könne man damit nicht auf Demonstranten schießen. Außerdem sei die Exportgenehmigung schon vor Jahren erteilt worden. Ansonsten aber gelte weiterhin eine restriktive Rüstungsexportpolitik, sagte seine Sprecherin.

Andreas Seifert von der Informationsstelle Militarisierung zweifelt daran. »Der für Rüstungsexporte zuständige Bundessicherheitsrat hat eine politische Agenda«, sagt er. Die offiziellen Kriterien verbieten zwar den Export in »zweifelhafte Demokratien« und Länder, die sich die Waffen nicht leisten können. Seine Entscheidungen transparent machen müsse das Gremium aber nicht. Die Ausfuhrpolitik diene wirtschaftlichen Interessen. Würde man die aus der rot-grünen Regierungszeit stammenden Rüstungsexportrichtlinien ernst nehmen, wären »sämtliche Exporte nach Saudi-Arabien nicht zulässig«, sagt Seifert. Doch die Ölmonarchie ist einer der besten Kunden der deutschen Rüstungsindustrie. Auch wenn ein geplanter Deal mit Leopard-Panzern offenbar geplatzt ist, kaufte das saudische Regime zuletzt für über eine Milliarde Euro in Deutschland Waffen und sogenannte Sicherheitstechnik ein. »Man will so Partner aufbauen, denen man die Schaffung von Stabilität zutraut«, sagt Seifert. »Die Merkel-Doktrin lautet: Wir rüsten sie auf, damit wir selber nicht eingreifen müssen.«
2011 etwa reiste Angela Merkel nach Angola, um Patrouillenboote für 60 Millionen Euro zu verkaufen. Es sei im Interesse Deutschlands, wenn Afrika regionale Konflikte durch regionale Truppen selbst befrieden könne, sagte sie damals. Das sei aber nicht alles, glaubt Seifert: »Das Land entwickelt sich positiv, es gibt Rohstoffe und Bodenschätze. Deutschland steht da in Konkurrenz zu Ländern wie Brasilien, Frankreich und vor allem China. Mit solchen Deals bringt man sich als wirtschaftlicher Partner auch jenseits des Militärischen ins Spiel.«
Kriegswaffen für Hunderte Millionen Euro gingen 2012 auch nach Südkorea, in den Irak und nach Singapur. Genehmigungen für den Export von Panzern an Indonesien und Katar wurden erteilt, Algerien und das kleine Sultanat Brunei bekamen Kriegschiffe. Die Staaten Nordafrikas durften für insgesamt 300 Millionen Euro einkaufen, darunter auch das in weiten Teilen von Milizen kontrollierte Libyen und das in der Westsahara umstritten agierende Marokko.

Ein Jahr nach den Umstürzen in den arabischen Ländern lieferte Deutschland in den Nahen und Mittleren Osten keineswegs nur Waffen, die für zwischenstaatliche Konflikte gedacht sind. 2012 wurden Exporte von Kleinwaffen und Munition für knapp 100 Millionen Euro genehmigt, mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Sie gingen unter anderem an Saudi-Arabien, Jordanien, Katar, Libanon, Oman und die Vereinigte Arabische Emirate. Die Verwendung von Gewehren und Pistolen – und nicht etwa die von Bomben und Raketen – gilt als Ursache für die meisten Todesfälle in bewaffneten Konflikten weltweit.
Welche Folgen die Lieferung von Kleinwaffen haben kann, war besonders eindrücklich in Mexiko zu betrachten. Dorthin verkaufte Hecker & Koch zwischen 2003 und 2006 rund 9 500 hochmoderne G36-Sturmgewehre. Die Bundesregierung erlaubte dies unter der Bedingung, dass die Gewehre in einer Reihe besonders konfliktreicher Bundesstaaten nicht zum Einsatz kommen sollten. Das geschah aber doch – Armee und Polizei benutzten sie auch in Regionen, in denen es Menschenrechtsverletzungen gab. Um Scherereien zu vermeiden, versucht die Rüstungsindustrie seit einiger Zeit eine neue Kategorie zu etablieren: Die »Sicherheitstechnik«. Es handele sich dabei um Güter »aus einer Grauzone«, erläutert Seifert, »die werden jetzt Sicherheitstechnik genannt, dienen aber auch der Repression. Mit dem neuen Namen sollen sie aber nicht mehr als Waffen gelten.« Diese Strategie der Industrie werde fruchten, glaubt Seifert. Auch jenseits davon werde »die Große Koalition dem Wunsch nachkommen und Ausfuhrbeschränkungen reduzieren«.