Der neue UN-Bericht über Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea

Terror gegen alle

Ein neuer Bericht der UN zu Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea beschreibt den Terror durch das Regime. Eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht.

Die Vereinten Nationen haben den Druck auf Nordkorea erhöht. Ein Bericht der UN-Untersuchungskommission für Menschenrechte bezichtigt das Regime des Aushungerns und der Ausrottung der eigenen Bevölkerung. In dem 372 Seiten starken Papier ist von Mord, Versklavung, Folter, Vergewaltigung, erzwungenen Abtreibungen, der Entführung von Personen und der Verfolgung von Bürgerinnen und Bürgern aus politischen, religiösen und »rassischen« Gründen im staatlichen Auftrag die Rede. Im Fokus des Dokuments stehen die Führungskader um Machthaber Kim Jong-un. Die Kommission hatte versucht, die direkte Verantwortung von Regierung, Partei und Armee zu belegen und kam zum Ergebnis, dass Kim Jong-un von etlichen Vorgängen zumindest gewusst haben dürfte. In gut einem Dutzend Fällen von Verbrechen gegen die Menschheit gebe es klare Hinweise, dass der Befehl direkt vom »Obersten Führer« gekommen sei, sagte der Vorsitzende der Kommission, Michael Kirby, bei der Vorstellung des Berichts in Genf.
Die Kommission habe Kim Jong-un mitgeteilt, dass er zu den Angeklagten gehören könnte, sollte es zu einem Verfahren am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag kommen. Für die Verbrechen gegen die Menschheit in Nordkorea könnten »mehrere hundert« Menschen verantwortlich sein, so Kirby. Bislang hat Kim auf die Anschuldigungen nicht direkt reagiert, lediglich die nordkoreanische Vertretung in Genf hatte den Bericht, noch bevor er offiziell erschien, als unwahr verurteilt.
»Inhaltlich bringt der Bericht nichts dramatisch Neues ans Tageslicht«, sagt Werner Pfennig, Professor am Institut für Koreastudien der FU Berlin. Informationen über Menschenrechtsverletzungen seien schon seit Jahren bekannt. Neu sei aus seiner Sicht vor allem die öffentliche Resonanz – was auch damit zusammenhänge, dass der Bericht unter dem Siegel der UN erscheint: 80 Zeugen traten laut UN in öffentlichen Befragungen auf, 240 weitere sprachen hinter verschlossener Tür mit der Kommission.

Strafrechtlich relevante Beweise waren bislang so gut wie nicht zu bekommen. Der Zugang zu Nordkorea ist für Außenstehende stark eingeschränkt und fast nur offizielle Nachrichten gelangen hinaus in die Welt. Dennoch gab es in der Vergangenheit immer wieder Berichte über Menschenrechtsverletzungen. So veröffentlichte Amnesty International bereits 1979 einen Augenzeugenbericht aus einem der zahlreichen Straflager. 2008 traf der damalige UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Nordkorea, Vitit Muntarbhorn, in Tokio Familien, deren Angehörige vom nordkoreanischen Regime verschleppt worden waren.
All diese Berichte sind bekannt und zeugen davon, dass in Nordkorea seit Jahrzehnten Terror praktiziert wird. »Gewalt ist systemimmanent«, sagt Pfennig vom Institut für Koreastudien. Die Volkswirtschaft sei auf Zwangsarbeit aufgebaut. Mehr als drei Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter sorgen dafür, dass die knapp 25 Millionen Einwohner mit Nahrung, Strom und Wasser versorgt werden – auf äußerst niedrigem Niveau. So komme es regelmäßig vor, dass Rationen gekürzt werden und internationale Hilfe nicht bei den Bedürftigen ankomme. Hungersnöte sind keine Seltenheit. Ihnen fallen vor allem Kinder zum Opfer. »Die internationale Gemeinschaft kann nicht untätig zusehen, wie solch unverständliche Verbrechen begangen werden«, sagt Roseann Rife, Forschungsleiterin für Ostasien bei Amnesty International. Der Untersuchungsbericht belege, dass der UN-Sicherheitsrat im Fall Nordkoreas nicht nur Sicherheits- und Friedensfragen, sondern auch Menschenrechtsfragen auf die Agenda setzen müsse.
Die UN-Kommission schlägt eine Überweisung des Falls an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag durch den UN-Sicherheitsrat oder die Einrichtung eines Ad-hoc-Tribunals vor, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Amnesty International selbst trug zu den Erkenntnissen bei. Im Dezember 2013 veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation Satellitenbilder, die den stetigen Ausbau der beiden größten nordkoreanischen Gefangenenlager belegen. Dieses Beweismaterial wurde auch der UN-Untersuchungskommission vorgelegt: Hunderttausende Menschen, einschließlich Kinder, sind in po­litischen Gefangenenlagern und anderen Hafteinrichtungen in Nordkorea eingesperrt. Viele von ihnen haben keine Straftaten begangen, sondern wurden verhaftet, weil Familienangehörige politischer Verbrechen beschuldigt wurden. »Schuld durch Zugehörigkeit« lautet das Prinzip der Kollektivhaftung.

Doch auch die Herrschaftsriege ist vor Verfolgung und Tötung nicht geschützt. Kim Jong-un hat seit seinem Amtsantritt vor gut zwei Jahren 14 führende Militärangehörige hinrichten lassen – unter anderem, weil sie den am 17. Dezember 2011 verstorbenen Kim Jong-il, Kim Jong-uns Vorgänger und Vater, nicht angemessen betrauert hätten, heißt es. Zu den Opfern gehörte auch Kims Onkel Chang Song-thaek, die Nummer zwei der nordkoreanischen Nomenklatur. Von der staatlichen Nachrichtenagentur wurde das Urteil öffentlich gefeiert, mit der Begründung, er sei »Abschaum« und »schlimmer als ein Hund« gewesen. »Chang hatte sich bestimmte Freiräume in den Beziehungen zur VR China und auch im ökonomischen Bereich geschaffen, aber was genau vorgefallen ist, bleibt unklar«, sagt Pfennig.
Das Militär herrscht jedenfalls weiterhin in Nordkorea. Nach dem Völkerrecht befindet sich das Land seit 1953 mit Südkorea im Kriegszustand. Im vergangenen Jahr wurde das Waffenstillstandsabkommen aufgekündigt. Schon bevor Kim Jong-il im Jahr 1994 die Herrschaft übernommen hatte, gab es in unregelmäßigen Abständen Provokationen. 1985 unterzeichnete Nordkorea auf Druck seines damaligen Verbündeten UdSSR den Atomwaffensperrvertrag, arbeitete aber weiter an seinem Atomprogramm, das damals wohl noch keine dezidiert militärische Komponente hatte. Nordkorea verfügt derzeit offiziell über 50 Kilogramm Plutonium, was für sechs bis zehn Bomben reichen würde. Hinzu kommt ein Programm zur Urananreicherung. Es hat aber noch kein erfolgreich getestetes Trägersystem, was sowohl die USA als auch China durchaus begrüßen dürften. »Das Land hat fast alle Unterstützer verloren. Das einzige, was als Überlebensgarantie angesehen wird, ist die Atombombe«, meint Pfennig. Nordkorea leistet sich eine Streitmacht mit rund 1,1 Millionen Soldaten und Millionen Reservisten. Dem stehen 800 000 südkoreanische Soldaten plus Reserve gegenüber, die wesentlich moderner ausgerüstet sind, unterstützt durch knapp 28 000 in Südkorea stationierte US-Soldaten. Hinzu kommen 40 000 US-Soldaten in Japan.

Die vom nordkoreanischen Regime angekündigten Wirtschaftsreformen und innenpolitischen Liberalisierungen blieben bislang ohne Folgen, abgesehen davon, dass Hardliner im Umfeld von Kim Jong-un diesen Veränderungen skeptisch gegenüberstehen. Auch andere Projekte, etwa eine Öl- und Gas-Pipeline von Russland nach Nordkorea, kommen nicht voran. Eine Transitstrecke für den Verkehr von Südkorea über den Norden mit Anschluss an das Eurasische Verkehrsnetz ist zwar vorhanden, es mangelt aber an der Modernisierung der Trassen durch Nordkorea.
Die Bemühungen der USA, den Dialog mit Nordkorea aufzunehmen, um Kompromisse bezüglich des Atomprogramms zu erörtern, endeten 2001 mit dem Amtsantritt von George W. Bush. Solange die Menschenrechtslage sich nicht entscheidend bessere, sei auch auf anderen Gebieten keine Lösung in Sicht, hieß es damals seitens der US-Regierung. Allerdings hatte diese auch vorher keine klare Linie im Umgang mit Nordkorea: Die Positionen reichten von Versuchen, einen Regimewechsel offensiv herbeizuführen, bis hin dazu, den Norden Koreas zu ignorieren.
Dass das derzeit laufende gemeinsame Manöver der USA und Südkoreas an der Ostküste Nordkoreas zur Entspannung beitragen wird, darf bezweifelt werden. »Die Führung Nordkoreas fühlt sich offenbar stärker bedroht als in der Vergangenheit – und ist sich zudem nicht mehr sicher, ob sie sich wirklich auf die Unterstützung durch die Volksrepublik China verlassen kann«, meint Pfennig. Die chinesische Regierung unterstütze zum Beispiel die Raketen- und Nuklearpläne nicht. Dennoch sei ihr an einer kontrollierten Spannung auf der koreanischen Halbinsel gelegen, so Pfennig. »Das hält die USA in Schach und betont die chinesische Vermittlerrolle.«
Zur Verbesserung der Lage der nordkoreanischen Bevölkerung trägt das alles kaum bei und so ist zu befürchten, dass der UN-Bericht zwar für einen Aufschrei der Empörung sorgen, langfristig aber in den Regalen Staub ansetzen wird.