Die deutsche Russland-Politik

Wladimir, wir stehn zu dir!

Trotz der Besetzung der Krim will die Bundesregierung die guten Beziehungen zu Russland nicht gefährden.

»Wen soll ich anrufen, wenn ich Europa sprechen will?« soll in den siebziger Jahren der damalige US-Außenminister Henry Kissinger gefragt haben. Mittlerweile kennen die US-Politiker die Telefonnummer, und es ist nicht die der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton. »De facto leader ­of the European Union« (The New Yorker) und somit auch die Ansprechpartnerin für die Koor­dina­tion der Ukraine-Politik ist Kanzlerin Angela Merkel.
Sie würde wohl lieber weiter die Edathy-Affäre aussitzen. Man weiß nicht, ob sie gerührt war, dass wenigstens außerhalb der EU Menschen begeistert die blaue Fahne mit den Sternchen schwenken, oder ob sie sich gefragt hat, warum diese Ukrainer so naiv sind, von der EU Hilfe zu erwarten. Unübersehbar ist jedenfalls, dass für die Bundesregierung einmal mehr Investitions- und Exportinteressen Vorrang haben und sie darauf drängen wird, Sanktionen gegen Russland auf das notwendige Minimum zu beschränken.
Die bisherigen Beschlüsse der USA und der EU deuten auf eine simple Strategie hin: Begnügt sich der russische Präsident Wladimir Putin mit der Krim, hat er keine ernsthaften Sanktionen zu befürchten. Osteuropäische Regierungen hätten sich eine härtere Reaktion gewünscht, doch neben Großbritannien, dessen Finanzindustrie auf die Milliarden russischer Oligarchen nicht verzichten will, bremste vor allem Deutschland.
Dafür gibt es ideologische und ökonomische Gründe. Viele Konservative bewundern das Land, in dem der Präsident noch weiß, was eine Leitkultur ist, und liebevoll archaische Männlichkeitsrituale pflegt. Aber auch in der SPD mangelt es nicht an Freunden der Basta-Kultur Putins. Überdies gibt es Sympathien für eine »eurasische« Strategie, eine engere Bindung an Russland als Alternative zum Bündnis mit den USA. Die wirtschaftlichen Beziehungen gehen über den Handel weit hinaus. So ist an der Nord Stream AG, deren Aufsichtsratsvorsitzender Gerhard Schröder ist, neben Gazprom der deutsche Energiekonzern Eon beteiligt, der wiederum Anteile an Gazprom hält. Solche Kapitalverflechtungen lassen langfristige politische Absichten zuverlässiger erkennen als diplomatische Erklärungen.
So verständlich angesichts der Alternative Putin der Wunsch vieler Ukrainer ist, sich der EU anzuschließen – es spricht wenig dafür, dass es ihrem Land anders ergehen würde als der Türkei, die bereits 1963 ein Assoziierungsabkommen noch mit der EWG abschloss. Nicht einmal angesichts der derzeitigen Bedrohung ist Merkel bereit, die Ukraine ohne eine Verpflichtung zu Austeritätsmaßnahmen vor dem Bankrott zu bewahren. Ihre Politik folgt dem aus dem Umgang mit den arabischen Revolten bekannten Muster. Bemüht um »Stabilität«, versucht die EU zwischen den Machtblöcken zu vermitteln, ohne die Interessengegensätze zwischen Demokratiebewegung, Oligarchen und rechtem Sektor – in der arabischen Welt die Islamisten, in der Ukraine die Faschisten – auch nur zu reflektieren. Zum Rückfall in auto­ritäre Herrschaftsmuster hat man dann wenig zu sagen, das Eingreifen ausländischer Truppen, ob saudi-arabischer in Bahrain oder russischer auf der Krim, wird hingenommen. Nicht anders als die arabische steht daher auch die ukrainische Demokratiebewegung allein.