Der Roman »Am Ende schmeißen wir mit Gold« von Fabian Hischmann

Expeditionen ins Menschenreich

Jugendliche unterrichten oder lieber Tiere filmen? In seinem Roman »Am Ende schmeißen wir mit Gold« begleitet Fabian Hischmann seinen Protagonisten bei der Suche nach sich selbst und dem richtigen Beruf.

Peng! Immer wieder knallt es in Fabian Hischmanns Debütroman »Am Ende schmeißen wir mit Gold«. Doch es dauert lange, bis sein Protagonist Max Flieger, ein unteram­bitionierter Junglehrer, der sich gerne Tierfilme im Fernsehen ansieht, aus seiner Lethargie erwacht. Wer sich eher zu den erlebnishungrigen Menschen zählt und wen die neueste Variante des deutschen Popromans, in dem stets das Liebesleben und die Identitätskrisen der heutigen Twenty-Somethings im Mittelpunkt stehen, nicht die Bohne interessiert, der tut recht daran, den Roman nach dem exemplarischen Eingangssatz beiseite zu legen: »Gerade beobachte ich in gestochen scharfen Bildern die Geburt von acht Stachelschweinbabys und bin zu gleichen Teilen gerührt wie angewidert. Das pralle Leben flimmert über den Bildschirm, und ich hänge als blasses Gegenstück auf dem Sofa, zwirble meinen Schwanz und das Schamhaar, lutsche alte, hart gewordene Gummibärchen.« Noch viele Seiten wird der verhinderte Tierfilmer, der als melancho­lischer Ich-Erzähler wie ein Zaungast in seinem eigenen Leben wirkt, benötigen, bis er gegen Ende, als Zeichen neugewonnener Aktivität, zumindest doch mal mit dem symbolischen Gold seiner Kindheit – Tannenzapfen – schmeißen möchte.
Doch zunächst treibt Max das Schicksal in den Schwarzwald, wo übrigens auch der 29 Jahre alte Autor geboren wurde. Später in seinem Generationenbefindlichkeitsroman wird eine New Yorker Creative-Writing-Studentin zu Max sagen, sie orientiere sich bei ihrer Arbeit an dem Satz Ernest Hemingways, man solle nur über das schreiben, was man kennt. Für die Poparchivare der neunziger Jahre wie Benjamin von Stuckrad-Barre, Christian Kracht und Benjamin Lebert gilt das ähnlich wie für die Pop­literaten von heute. Der Unterschied bei Hischmann besteht darin, dass seine Figuren angenehm unironisch und uncool daherkommen.
Max’ Eltern wollen nach Kreta in den Urlaub fliegen und bitten ihren einzigen Sohn, Haus und Hund zu hüten. Der Leser freut sich, dass der nicht unsympathische Abhänger zusagt, und noch mehr darüber, dass anscheinend wenigstens in dessen Kindheit deutlich mehr Dinge passiert sind, als in seinem mit wenigen unverkrampften Sätzen skizzierten gegenwärtigen Leben. In der Nähe seines elterlichen Wohnhauses hat Max »zum ersten Mal geraucht, zum ersten Mal gefickt und einmal fast einen umgebracht«. Na also, das ist doch schon mal was, ist man versucht ermunternd auszurufen, denn Hischmann gelingt es erstaunlich rasch, den geneigten Leser für diesen recht langweiligen, doch durchaus empathiefähigen Endzwanziger, der ganz offensichtlich im falschen Leben gelandet ist, zu interessieren.
Peng! Da steht sie plötzlich vor ihm: Maria – seine Exfreundin, die mit seinem einstigen Rivalen und heimlichem Schwarm Jan seit kurzem wieder in ihrer gemeinsamen Heimat auf einem Bauernhof in einer Art Retro-HippieKommune wohnt. Ihr Anblick versetzt Max, der im multioptionalen Leben der Mittelstandskinder in eine Sackgasse geraten ist, in seine Kindheit zurück. »Die Möglichkeit eines Dreiecks«, einer Dreiecksbeziehung der ehemaligen Freunde, kommt Max in den Sinn. Und das ist bemerkenswert an Hischmanns Coming-of-Age-Roman: Als ein anderer Freund von Max, Valentin, auftaucht, fragt man sich, ob es sich möglicherweise um einen schwulen Entwicklungsroman handeln könnte, bis dem Leser ­irgendwann dämmert, dass sich dem labilen Schluffi die Frage, ob der Mensch, den er liebt und begehrt, einen Penis hat oder nicht, ganz einfach gar nicht stellt.
Peng! Dann knallt es schon wieder ohrenbetäubend in Max’ Leben: Seine Eltern sind bei einer Gasexplosion in ihrem Urlaubsdomizil gestorben. Wenig später meldet sich eine alte Freundin seiner Eltern, von deren Existenz Max bislang nichts wusste – wie er sich ohnehin erstaunlich wenig im Leben seines Vaters und seiner Mutter auskennt. In dem Haus ihrer auf Kreta lebenden Freundin Hannah, mit der Max’ Eltern einige Zeit in einer »Menage à trois« gelebt haben, sind die beiden ums Leben gekommen. Max reagiert im Moment dieser gewaltigen Verunsicherung zunächst, wie schon häufig in seinem Leben: mit Autoaggression.
Doch das Schicksal verlangt dem Spätentwickler ab, sich den Tatsachen zu stellen: Zunächst fliegt er nach Kreta, um die Leichen seiner Eltern in die Heimat zu überführen, dann entschließt er sich, ein zweites Mal zu seiner neugewonnen Ersatzfamilie nach Kreta zu reisen, um dort seinem alten, in der Kindheit rasch wieder aufgegebenen Traum vom Tierdokumentarfilmer nachzuspüren. Mit der Kamera, die ihm einst sein Vater geschenkt hat, nicht gerade das neuste Modell, jedoch »das einzige Modell, das Sinn ergibt«. Das alles klingt ein wenig konstruiert und ist es auch, dennoch gelingt es Hischmann, den Leser durch anschauliche Sprache und einen lockeren Ton auf diese unspektakuläre Reise des Protagonisten zu sich selbst mitzunehmen. Gemeinsam kraxelt man zuguterletzt mit ihm zu einem Adlernest hinauf: »Der Pfad zum Nest ist nicht breiter als ein Schwebebalken. In der Felswand stecken alle paar Meter rostige Haltegriffe, die mir die Gefahr, die Tiefe des Abgrunds, nur noch deutlicher machen.«
Peng! Die darauf folgende späte Rächer-Episode in New York macht arg den Eindruck, im popkulturellen Selbstbedienungsladen zusammengestellt worden zu sein. Max entschließt sich, nach New York zu reisen, um sich seinem größten Trauma zu stellen. Vor Jahren war er dort Zeuge eines Gewaltverbrechens an einer Frau und hat sich einfach feige vom Acker gemacht. Jetzt kehrt er dahin zurück und gibt ziemlich unglaubwürdig den Robin Hood, man ist versucht, diese allzu klischeehafte Schlüsselszene dem vielerorts verpönten Literaturstudium des Autors an den einzigen beiden deutschen »Literaturkaderschmieden« in Hildesheim und in Leipzig anzulasten; sein Roman steht ja auch auf der Shortlist für Belletristik des Preises der Leipziger Buchmesse. Dennoch kann man als Leser mit diesem etwas ungelenken Ausbruch des jungen Autors in das Thriller-Genre gut leben. Man verlässt den späten Helden, der lange nicht nach dem Sinn seines Lebens gefragt hat, schließlich mit dem guten Gefühl, einer insgesamt recht authentischen Expedition zu sich selbst beigewohnt zu haben. Und man hat große Lust, die Entwicklung dieses neuen Popliteraten, aber auch seines Protagonisten Max, weiterzuverfolgen.

Fabian Hischmann: Am Ende schmeißen wir mit Gold. Roman. Berlin-Verlag, Berlin 2014, 256 Seiten, 18,99 Euro