Die Krise der Piratenpartei nach »Bombergate«

Klarmachen zum Ändern geht anders

Bei der Piratenpartei gibt es einen politischen Richtungsstreit. Am Wochenende trat im Zuge der Auseinandersetzungen fast die Hälfte des Bundesvorstands der Partei zurück. Auslöser für die jüngsten Querelen in der Partei war das sogenannte »Bombergate«, eine Protestaktion von zwei Politikerinnen der Partei gegen die Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens.

»Freiheit statt Angst« – das Motto der Demonstrationen gegen Massenüberwachung und Vorratsdatenspeicherung sowie für Datenschutz wird von Mitgliedern der Piratenpartei gern als Beschreibung ihrer Vision einer künftigen Gesellschaft benutzt, in der jeder Mensch ohne Furcht vor Repressionen so leben können soll, wie es ihm gefällt. In der Realität bestach die Partei, deren Vorstand seit dem Rücktritt von gleich drei der sieben erst vor wenigen Monaten gewählten Mitglieder am Wochenende handlungsunfähig ist, bislang jedoch dadurch, dass sie das Internet, welches sie als ihren natürlichen Lebensraum begriff, mit beängstigender Konsequenz in eine Art Vorhölle verwandelte – und jeder ihnen dabei zugucken konnte. Das Arsenal ist auf allen Seiten erstaunlich: Anonyme Blogs und Social-Media-Accounts, mit deren Hilfe die jeweiligen Parteifeinde persönlich angegriffen oder gleich körperlich bedroht werden, hasserfüllte Tweets, in denen – gern auch auf Basis nur unvollkommen verstandener Fakten – zum Mobbing gegen Kritiker aufgerufen wird, »Kompromat« genannte Screenshot-Sammlungen, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit hervorgekramt werden, auch wenn sich der Urheber schon längst für eine Äußerung entschuldigt hatte, plus nur wenig verbrämte Gerüchte über Beziehungen und Sexleben. Dabei stand eigentlich schon sehr früh fest, dass sich unter der orangefarbenen Piratenfahne versammelt hatte, was nicht zusammengehört – jedenfalls für nicht der Partei angehörende Beobachter.

Um zu erkennen, wen Phrasen wie die von der Meinungsfreiheit oder dem Kampf gegen Zensur anlocken würden, hätte ein Blick in eines der einschlägigen Foren gereicht, in denen beständig beklagt wird, dass bestimmte Meinungen zu haben als ein Verbrechen gelte. Nazis bezeichnen unter anderem die Leugnung der Massenvernichtungen im Dritten Reich gern als bloße Meinungsverbrechen und halten es für einen Skandal, dass Volksverhetzung verboten ist, weswegen man immens dankbar auf das Auftauchen der Partei reagierte. Dass ausgerechnet das sogenannte »Bombergate« – eine Aktion im Femen-Stil von zwei Politikerinnen der Piratenpartei, bei der Anne Helm auf ihrem nackten Oberkörper Bomber Harris dankte – die ideologischen Differenzen zutage förderte und zu den bislang schärfsten Auseinandersetzungen in der an scharfen Auseinandersetzungen nicht eben armen Parteigeschichte führten, verwundert nicht. Meinungsfreiheit gilt nämlich einem erstaunlich großen Teil der Mitglieder lediglich als die Freiheit, die Meinung zu äußern, die man selber hat. Dass auch das vielbeschworene Recht auf Anonymität nur dann als schützenswert gilt, wenn es um die eigene Peergroup geht, zeigte sich rasch, als die Fotos der beiden vermummten Frauen von Parteikollegen bis hin zu Brustvergleichen öffentlich akribisch auf Hinweise nach der Identität der Abgebildeten untersucht wurden und man am Ende die Ergebnisse einer Berliner Boulevardzeitung überließ. »Nicht links, nicht links, aber auf keinen Fall links und wenn doch, dann lieber tot«, fasst Klaus Peukert, ein ehemaliges Mitglied des Bundesvorstands, im Gespräch mit der Jungle World die reaktionärsten Reaktionen der Partei auf »Bombergate« zusammen.

Die Kölnerin Veronique Schmitz gehört zu den vier Vorstandsmitgliedern, die nicht zurückgetreten sind. Im Bundesvorstand habe es »genau wie in der gesamten Partei in den letzten Wochen viele Gespräche und Diskussionen« über »Bombergate« gegeben, sagt sie der Jungle World. »Darin zeichnete sich für mich die Möglichkeit des gemeinsamen Rücktritts ab. Es gab Ideen zum weiteren Verlauf und Gesprächsangebote, die nun leider nicht mehr wahrgenommen wurden.« Von den Rücktritten sei man schließlich überrascht worden, erfahren habe man davon »Sonntag in einem Satz per E-Mail, genau eine Stunde bevor das Statement der zurückgetretenen Kollegen rausging«. Der verbliebene Vorstand sei nun »laut Parteisatzung handlungsunfähig« und müsse daher »einen Parteitag einberufen. Das war ja offensichtlich auch genau das Ziel dieser Aktion, da es auf demokratischem Weg begründet keine Mehrheit im Gremium dafür gab.« Schmitz sagt, sie sei »enttäuscht und verärgert, dass ein Teil dieses Gremiums sich plötzlich aus dem Dialog verabschiedet hat, um seine persönliche Agenda durchzusetzen«. Sie sehe überdies nicht, »dass ein Personaltausch an der Spitze die tiefergehenden Ursachen der Konflikte in der Partei lösen wird. Ich hätte gern die bereits in Gang gesetzten und so notwendigen Debatten zur Ausrichtung der Partei unterstützt und aus dem Bundesvorstand begleitet.« Zudem halte sie es für »unverantwortlich, durch Personaldebatten wieder den Fokus von unseren Themen zu nehmen, die wichtig für die anstehenden Europa-, Kommunal- und Landtagswahlen sind«. Nun soll baldmöglichst – nach derzeitigem Stand im Juni – ein Parteitag stattfinden, auf dem ein neuer Vorstand gewählt werden wird. Was wenig überraschend Anlass für ausgedehnte Anfeindungen liefert: Dass die verbliebene Führung der Piratenpartei es nicht innerhalb von drei Tagen schaffte, gleich für das kommende Wochenende eine mindestens 2 000 Personen fassende Halle anzumieten sowie Einladungen an die Mitglieder zu verschicken, gilt einem – selbstverständlich lautstarken – Teil der Partei bereits als Verschwörung sowie als Indiz, dass die verbliebenen Vorstandsmitglieder an ihren Pöstchen klebten sowie mit den »Linken« aka »den Berlinern« im Bunde seien. Und selbstverständlich wird auch die Wahl des Versammlungsorts ein Politikum, denn die Mitmachdemokratie der Piratenpartei führt zwangsläufig dazu, dass die meisten Parteitagsteilnehmer aus dem Bundesland kommen, in dem die Veranstaltung jeweils abgehalten wird.

Und so könnten am Ende der ausgewählte Ort, die Hotelpreise, die Verkehrsanbindung sowie der Termin darüber entscheiden, ob die Piraten eine linke oder doch eine eher rechte Partei werden. Halt, nein, so einfach ist es natürlich nicht. Denn nimmt man frühere Parteitagsbeschlüsse und Pressemitteilungen als Maßstab – unter anderem den Unvereinbarkeitsbeschluss, nach dem Doppelmitgliedschaften bei der Piratenpartei und rechten Parteien verboten sind, sowie die klaren Absagen an Rassismus, Antisemitismus und Ausländerhass sowie Statements gegen Abschiebungen von Asylbewerbern –, dann ist die Sache eigentlich schon längst klar. Aber wie kein einziger Beschluss dazu geführt hat, dass beispielsweise Judenhasser die Partei freiwillig verließen oder ihr erst gar nicht beitraten, so wird auch die bereits als Richtungsparteitag gehandelte Veranstaltung im Juni keine wirkliche Entscheidung bringen. Nach dreimonatigem öffentlichem Dauerstreit werden ganz einfach diejenigen, die es geschafft haben, genug Kumpels zum Parteieintritt zu bewegen, ihre Wunschkandidaten durchbringen. Die unterlegene Fraktion wird dies nicht etwa zum Anlass nehmen, auszutreten und womöglich eine eigene Abspaltung zu gründen, sondern sich auf die Kernkompetenzen der orangefarbenen Politiksimulation besinnen: Meckern, rufmorden, drohen, beleidigen und hoffen, dass man den jeweiligen Gegnern das Leben oder auch nur das Internet derart zur Hölle machen kann, dass sie freiwillig weggehen. Ein Sterben in Würde wird das alles jedenfalls nicht.