Iván Cepeda Castro im Gespräch über das Ergebnis der Wahlen in Kolumbien

»Es gab keine Alternative«

Am 15. Juni wurde in Kolumbien der konservative Präsident Juan Manuel Santos im zweiten Wahlgang im Amt bestätigt. Selbst einige Linke in Kolumbien wählten Santos, da er die Friedensverhandlungen mit der Guerilla Farc weiterführen will. Sein Konkurrent in der Stichwahl war der noch weiter rechts stehende Óscar Iván Zuluaga, der vom ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez protegiert wurde. Die Jungle World sprach mit dem Menschenrechtsanwalt und Politiker Iván Cepeda Castro über das Ergebnis der Wahlen und deren Bedeutung für den Friedensprozess in Kolumbien. Er ist langjähriger Sprecher der Opferorganisation Movice (Bewegung der Opfer von Staatsgewalt) und seit 2010 Abgeordneter des Polo Democrático Alternativo, einer linken Sammelbewegung. Im April 2014 wurde er wieder in den Kongress gewählt und gilt als einer der eifrigsten Widersacher des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez, dem enge Beziehungen zu paramilitärischen Gruppen nachgesagt werden.

Mitte vergangener Woche hat Juan Manuel Santos ein Gesetz unterschrieben, das sexualisierte Gewalt als Kriegsverbrechen definiert. Ist das ein Fortschritt und ein Entgegenkommen des im Amt bestätigten Präsidenten Santos gegenüber seine linken Wählerinnen und Wählern?
Ja, dieses Gesetz ist ein Fortschritt, ich habe an ihm mitgearbeitet und bin froh, dass es nun implementiert wird. Ein derartiges Gesetz war immer wieder von Frauen gefordert worden, denn Vergewaltigungen gehören zu den Menschenrechtsverletzungen, die in Kolumbien kaum geahndet werden. Sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen, Heranwachsenden und Kindern ist in den Bürgerkriegsregionen Kolumbiens weit verbreitet und das Gesetz versucht, den Zugang zur Justiz zu erleichtern und Wiedergutmachung zu ermöglichen. Ob es ein Entgegenkommen des Präsidenten gegenüber der Linken ist, will ich nicht beurteilen. Sicher ist, dass dieses Gesetzes ein Meilenstein für die Befriedung des Landes ist. Um ein Land zu befrieden, muss es Gerechtigkeit für die Opfer geben.
Welche Bedeutung hat die Wiederwahl von Juan Manuel Santos für Kolumbien?
Die Wahlkampagne wurde sehr verbissen, sehr polarisierend und alles andere als sauber geführt. Letzten Endes ist Santos wiedergewählt worden, weil er der Kandidat war, der glaubwürdig versichern konnte, dass er den Verhandlungsprozess mit der Farc zu einem positiven Ende bringen würde.
Santos als Friedenspräsident und sein Gegner als Vertreter der harten Hand?
Genau, aber das ist nur ein wichtiger Grund für seine Wiederwahl. Für uns war entscheidend, dass sich Santos für einen Wandel in seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik ausgesprochen hat.
Wo sehen Sie denn die zentralen Erfolge der ersten Amtszeit von Santos?
Er hat es geschafft, Friedensverhandlungen sowohl mit der Farc als auch der Guerillaorganisation ELN zu beginnen. Das sind entscheidende ­Signale für die Zukunft eines Landes, in dem seit mehr als 50 Jahren ein Bürgerkrieg herrscht, der unendlich viel Leid hervorgebracht hat. Die Verhandlungen mit der Farc sind so weit gediehen wie noch nie zuvor und es gibt eine echte Chance auf Frieden. Zudem sollen nun auch endlich die Opfer bei den Verhandlungen zu Wort kommen – das ist ein Fortschritt, der kurz vor dem Wahltermin bekanntgegeben wurde.
Im sozialen Bereich, aber auch aus Perspektive der Opfer sind die Fortschritte allerdings bescheiden.
Aus gesellschaftlicher Perspektive ist die Entwicklung ernüchternd, denn Santos hat die Freihandelsverträge mit der Europäischen Union und den USA Realität werden lassen, er hat eine Politik der generösen Förderung ausländischer Investoren – vor allem im Bergbau und Erdölsektor – durchgezogen. Das hat negative Folgen für die nationale Industrie und noch mehr für die nationale Landwirtschaft gehabt. Obendrein hat die Regierung es trotz des »Gesetzes zur Landrückgabe und zur Entschädigung der Opfer« nicht geschafft, den Prozess der Landkonzentration zu durchbrechen. Kolumbien ist ein Land, in dem sich große Teile der fruchtbaren Flächen in den Händen weniger befinden. Das ist ein historisches Problem. Darüber hinaus gibt es Defizite im Bildungs- und Gesundheitssystem, die Jugendarbeitslosigkeit ist nach wie vor hoch und der Arbeitsmarkt bietet zu wenige Möglichkeiten. Das führt dazu, dass Verelendung und Armut in vielen Landesteilen zu beobachten sind. All das sind Herausforderungen, denen sich die Politik stellen muss. Der Frieden in Kolumbien lässt sich nicht mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik realisieren.
Was macht Sie so sicher, dass Präsident Santos seinen ökonomischen Kurs ändern wird?
Der Druck von unten, denn es wird massive soziale Mobilisierungen geben. Das haben die Demonstrationen der Bauern und der Studenten gezeigt, die im vorigen und in diesem Jahr auf die Straße gingen und sich miteinander solidarisierten.
Allerdings gab es auch viele Stimmen für Óscar Iván Zuluaga.
Das ist richtig. Hinter ihm stehen die traditionelle Großgrundbesitzer, nicht die einfachen Bauern. Denn die sind es schließlich, die unter dem Krieg am meisten zu leiden haben. Es gibt rund sechs Millionen Opfer von Vertreibung in Kolumbien in den letzten 20 Jahren und die allermeisten sind eben Bauern. Sie wären die ersten, die vom Frieden in Kolumbien profitieren würden. Wer den Frieden auf dem Land nicht will, das sind die Großgrundbesitzer. Die haben viel Einfluss und ihren Besitz durch die Besetzung von Land und die Vertreibung von Kleinbauern erweitert. Sie haben vom Frieden nicht viel Positives zu erwarten, denn sie müssten illegal erworbenes Land wieder abtreten.
Aber die Landelite allein erklärt nicht die hohe Stimmenzahl für Zuluaga.
Óscar Iván Zuluaga ist das Mündel von Álvaro Uribe Vélez und hinter ihm steht die konservative Landelite Kolumbiens. Uribe und mit ihm Zuluaga stehen für ein autoritäres politisches und gesellschaftliches Modell, wo alles auf einen Caudillo, einen Anführer, zugeschnitten ist. Unter der Ägide von Uribe Vélez hat es Tausende von Menschenrechtsverletzungen im Rahmen seiner ­Politik der »demokratischen Sicherheit« gegeben. Da wurde auf militärische Präsenz gesetzt, um soziale Problem zu unterdrücken. Und Zuluaga steht für die Fortsetzung dieser Politik. Dabei richtet sich der Blick auch auf andere Länder wie Venezuela, wobei Militärinterventionen durchaus als probates Mittel betrachtet werden.
Sie hatten die Wählerinnen und Wähler Ihrer Partei Polo Democrático Alternativo zur Wahl von Santos aufgerufen. War es eine Entscheidung für das geringere Übel?
Für eine Alternative, die für den Frieden steht. Wir haben uns gegen eine Remilitarisierung Kolumbiens gewandt und für eine Politik des sozialen Wandels. Es gab schlicht keine andere Option als Santos und sein Projekt der Befriedung des Landes durch Verhandlungen verdient Unterstützung.
Welche Rolle spielte in diesem Kontext die kurz vor den Wahlen erzielte Einigkeit im Umgang mit den Opfern?
Eine große, denn viele Kolumbianer haben sich erst kurz vor dem zweiten Wahlgang dafür entschieden, Santos ihre Stimme zu geben. Darunter auch viele linke Wählerinnen und Wähler.
Verhandlungen mit der Guerilla ELN, die zwischen 2 000 und 5 000 Kämpfer im Einsatz haben soll, wurden lange herausgezögert. Kurz vor den Wahlen wurden sie dann aufgenommen. War dies ein weiteres Signal von Santos an die Wähler?
Ja, sicherlich, aber Sondierungsgespräche hatte es bereits lange zuvor gegeben.
Wie beurteilen Sie Kolumbiens Zukunft?
Wir haben die extreme Rechte an den Urnen besiegt, das ist ein Erfolg, der Mut für die Zukunft macht. Dabei ist der Friedensprozess entscheidend und in dessen Kontext wollen wir Santos zu sozialen und ökonomischen Reformen verpflichten, denn die Wirtschaftspolitik muss sich ändern. Wir haben die Chance, eine demokratische Öffnung zu initiieren und dafür arbeiten wir.