Diversity im Comic

Neue Helden braucht das Land

Diversity im Comic: Iron Man bekommt lediglich eine neue Rüstung, Captain America eine neue Hautfarbe und Thor wechelt das Geschlecht.

Es kommt nicht oft vor, dass Neuankündigungen auf dem Comic-Markt es bis ins Feuilleton schaffen. Der US-amerikanische Verlag Marvel, der seit 2009 zu Disney ­gehört, hat es geschafft. Zwei der Relaunches, die der Verlag für den Herbst angekündigt hat, sind offenbar so spektakulär, dass selbst Medien, die mit Superheldenheftchen sonst wenig anzufangen wissen, nicht an ihnen vorbeikommen, und haben zugleich dafür gesorgt, dass der dritte angekündigte Relaunch – der von Iron Man – gänzlich unbeachtet blieb.
Tatsächlich wirkt die Nachricht, dass Tony Stark wieder mal eine neue Rüstung bekommen soll, vergleichsweise fade, wenn man zur selben Zeit erfährt, dass Thor in Zukunft weiblich und Captain America schwarz sein wird. Man könnte sagen, dass es sich um eine kulturelle Zäsur handele. Ebenso könnte man aber auch behaupten, der Verlag versuche lediglich, seine Hefte abzusetzen. Die drei Serien gehören nicht gerade zu den Verkaufsschlagern des Hauses, und wären sie nicht allesamt in den vergangenen Jahren erfolgreich verfilmt worden, wären sie wohl längst eingestellt worden.
Marvels Strategie, auf mehr Diversität zu setzen, könnte erfolgreich sein, auch wenn die Neuerungen wohl nur einzelne Erzählstränge betreffen und demnächst wieder ein männlicher Thor den Hammer schwingen und ein weißer Captain America das Schild übernehmen könnte. Allerdings ist das Marvel-Universum längst vielfältiger geworden: Bereits vor drei Jahren überraschte der Verlag die Leserschaft, als man neben Peter Parker einen zweiten Spiderman etablierte – Miles Morales, Sohn eines Afroamerikaners und einer Puertoricanerin. Mit Kamala Khan als neue Ms. Marvel hatte dann im vergangenen Jahr die erste muslimische Superheldin ihren Auftritt.
Die Geschichte der Diversität in Superhelden-Comics ist jedoch schon sehr viel älter. Waren die ersten Superhelden allesamt weiß, männlich und heterosexuell, so dauerte es nicht lange, bis Anfang der vierziger Jahre die ersten Superheldinnen auf der Bildfläche erschienen. Die bis heute bekannteste Heldin, Wonder Woman, erblickte bereits Ende 1941 das Licht der Welt und damit nur dreieinhalb Jahre nach Superman, dem ersten männlichen Superhelden. Konzipiert wurde Wonder Woman von dem Psychologen William Moulton Marston, der von der Überlegenheit der Frau überzeugt war und sich eine langmähnige Amazone wünschte, die dominant, charmant und attraktiv sein sollte. Dass Marston eine Vorliebe für Bondage hatte, war seiner Lasso schwingenden Heldin dann auch deutlich anzumerken und brachte ihm eine Menge Ärger ein.
Wonder Woman gehört wie Superman zum Superhelden-Universum des Verlags DC, dem größten Konkurrenten von Marvel. DC hat stets versucht, neue Zielgruppen anzusprechen, indem klassische Figuren neu erfunden und umgedeutet wurden. Eine der unzähligen Inkarnationen der Figur Green Lantern etwa wurde 2011 nachträglich als schwul geoutet, ein anderer Green Lantern war schwarz. Batwoman, die 2006 einen Relaunch erfuhr, ist seitdem lesbisch. Im vergangenen Jahr kam es aber zum Bruch zwischen Batwomans Autorenteam und DC, weil der Verlag nicht zulassen wollte, dass Batwoman eine Frau heiratet. Die offizielle Begründung, dass Superhelden gleich welchen Geschlechts nicht heiraten sollten, fanden aber nicht alle Fans überzeugend.
Vielleicht ist Marvel doch der bessere Ort für vielfältiges Heldenpersonal und die Emanzipation von Supermännern und -frauen. Bereits 1992 gab es dort mit Northstar vom Superheldenteam Alpha Flight den ersten offen homosexuellen Superhelden, dem im Laufe der Jahre Wiccan, Hulkling, Xavin und etliche mehr folgten. Bereits in den frühen Neunzigern gab es mit Jim Wilson, einem Freund des Hulk, sogar eine Nebenfigur, die HIV-positiv war – und das zwei Jahre vor Tom Hanks in »Philadelphia«.
Großen Einfluss auf die Gestaltung der Figuren hatten der Autor Stan Lee und der Zeichner Jack Kirby, die in den fünfziger Jahren zu Marvel kamen. Sie hatten ihre bürgerlichen jüdischen Namen geändert, weil sie fürchteten, dass diese – Stanley Martin Lieber und Jacob Kurtzberg – vielen in der Branche nicht amerikanisch genug klingen würden. Wenn diese beiden Männer von Diskriminierung erzählten, dann wussten sie also sehr genau, wovon sie sprachen.
Bereits bei den Fantastic Four, der ersten Gruppe von Superhelden, die die beiden 1961 für Marvel schufen, war mit Ben Grimm alias The Thing auch eine jüdische Figur vertreten. In Grimms steinernem Superheldenkörper konnte man die Figur des Golem aus der jüdischen Mythologie deutlich erkennen. Fünf Jahre später entwickelten sie mit Black Panther einen der ersten schwarzen Superhelden. Ein Jahr vorher hatte Lee, ausnahmsweise nicht zusammen mit Kirby, sondern mit dem Zeichner Bill Everett, die Figur des blinden Superhelden Daredevil und damit einen der ersten Superhelden mit Behinderung geschaffen.
Bereits 1959 hatten Lee und Kirby den telephatisch begabten Superhelden Charles Xavier alias Professor X erfunden, der nach einem Unfall im Rollstuhl saß. Xavier war so etwas wie der Spiritus Rector einer Gruppe von Superhelden, die sich X-Men nannte. Die Grundidee der Serie, dass Superhelden evolutionär durch Mutation des menschlichen Genoms entstehen, ermöglichte es den Autoren und Zeichner, beständig neue Figuren verschiedener Art und Herkunft einzuführen.
Mit der durch Wände gehenden Kitty Pryde alias Shadowcat wurde die erste jüdische und mit der Anführerin Ororo Munroe alias Storm die erste schwarze Superheldin geschaffen. Der Russe Piotr Rasputin alias Colossus bewährte sich auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs als Superheld und mit Kurt Wagner alias Nightcrawler durfte sich sogar ein Deutscher in der Heldenrolle ausprobieren. Auch die Figur des Oberschurken und Hauptwidersachers der X-Men ist gebürtiger Deutscher, genauer gesagt: jüdischer Deutscher und Überlebender der Shoah. Als Kind muss Max Eisenhardt, der später den Namen Magneto annimmt, miterleben, wie seine gesamte Familie von den Nazis ermordet wird. Sein Vertrauen in die Menschheit ist erschüttert und entsprechend harsch reagiert er, als die US-Regierung sich daran macht, Gesetze zur Überwachung von Mutanten zu erlassen. Um sich dagegen zur Wehr zu setzen, gründet er die Brotherhood of Mutants, eine Art Selbstschutzorganisation der Mutanten.
Der Gegenspieler der X-Men ist bei Lee und Kirby also nicht etwa in dämonischer Weise böse oder ein Megalomane. Er hat gute und nachvollziehbare Gründe für sein Handeln. Magneto ist eine innerlich zerrissene und gerade dadurch zutiefst glaubhafte Figur.
Ähnliches gilt auch für die drei Superhelden, denen Marvel derzeit einen Relaunch spendieren will. Iron Man wurde von Lee und Kirby als einsamer Held konzipiert, der sich hinter seinem eisernen Schutzpanzer versteckt. Und ihr Thor ist ein von Odin auf die Erde verbannter Gott, der sich später für die Liebe und gegen seinen angestammten Platz in Asgard entscheidet. Captain America, der ursprünglich in den Vierzigern von Kirby und Joe Simon als eine Art Nazis verprügelnder Supersoldat geschaffen wurde, entwickelte sich in den Sechzigern zu einem vom Krieg traumatisierten Veteranen mit Anpassungsschwierigkeiten – es war die Zeit, als sich die USA in den Krieg in Vietnam stürzten.
Längst ist den Helden dieser drei Erzählungen die Puste ausgegangen. Ob der Wechsel der Rüstung, des Geschlechts und der Hautfarbe allein den Geschichten und ihren Protagonisten neues Leben einhauchen können, darf man bezweifeln. Entscheidend für die Glaubwürdigkeit der Charaktere werden deren Innenleben, ihre Motive, ihre Vorgeschichte, ihr Handeln sein. Im Fall von Spiderman und Ms. Marvel scheint genau das gelungen zu sein. Warum also nicht auch hier?